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„Auf der Strecke geblieben“

Evelyn Hinteregger mit ihrer Tochter Theresa

Die Corona-Pandemie trifft Menschen mit Beeinträchtigungen besonders hart. Das weiß auch Evelyn Hinteregger, deren Tochter Theresa das Down-Syndrom hat. Warum die letzten Monate für die Familie aus Lüsen eine besondere Herausforderung waren.

von Lisi Lang

„Menschen mit Behinderungen sind weithin unsichtbare Leidtragende der Covid-19 Pandemie“, sagt Wolfgang Obwexer, Präsident im Dachverband für Soziales und Gesundheit, anlässlich des 3. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen. „Die Folgen von Covid-19 treffen sie und ihre Familien besonders hart und eine mühsam aufgebaute Normalität gerät ins Wanken“, weiß Obwexer. Isolation statt Inklusion, zum Schutz aller.

Das hat auch Evelyn Hinteregger mit ihrer Tochter Theresa in den letzten Monaten erlebt. Die zehnjährige Theresa hat das Down-Syndrom und musste wegen Corona plötzlich auf ihren gewohnten und geregelten Alltag verzichten. „Theresa hat die Pandemie im Frühjahr überraschend gut aufgenommen“, erzählt ihre Mutter Evelyn Hinteregger. „Sie geht zwar für ihr Leben gerne mit mir einkaufen und auf den Spielplatz, aber das war für sie im Frühjahr plötzlich kein Thema, weil sie verstanden hat, dass wir jetzt zuhause bleiben müssen“, erklärt Evelyn Hinteregger.

Mit einfachen Worten und viel Geduld haben Theresas Eltern versucht, ihr die Gründe für diesen veränderten und eingeschränkten Alltag zu erklären und sie zuhause zu beschäftigen. Im Frühjahr hat das, auch weil Theresa im Garten spielen konnte, recht gut geklappt – im Herbst war es dann aber schwieriger. Auch in der Schule: „Theresa sucht die Nähe ihrer Mitschüler und umarmt diese auch gerne und es ist dann für die Lehrer nicht immer einfach ihr zu erklären, dass sie Abstand halten muss und niemanden umarmen darf – das versteht sie auch schwer“, weiß die Mutter.

Corona hat den Alltag der sechsköpfigen Familie aus Lüsen von einem Tag auf den anderen komplett verändert, aber auch wenn die letzten Monaten für viele Familien keine einfachen waren, so war diese Zeit für Theresa und ihre Familie eine besondere Herausforderung. „Man hat in den letzten Jahren sehr stark an Inklusion gearbeitet, aber diese Zeit war effektiv ein Rückschlag“, unterstreicht Evelyn Hinteregger.

Wegen Corona sind viele Hilfen, die den Alltag der Angehörigen entlasten, weggefallen. Wichtige Therapien sind ausgesetzt und auch bei der Betreuung der Kinder waren die betroffenen Eltern immer wieder auf sich alleine gestellt – vor allem im Frühjahr. „Für Kinder mit Beeinträchtigungen war der Fernunterricht schlicht unmöglich“, erinnert sich Evelyn Hinteregger. Videokonferenzen waren für die zehnjährige Theresa ebenso wenig möglich wie selbstständiges Arbeiten. Aber auch der Unterricht an sich war für Theresa und auch für ihre Eltern eine große Herausforderung. „Wir wurden von den Lehrern und Mitarbeitern für Integration zwar unterstützt, aber neuen Stoff konnten wir eigentlich kaum machen“, erklärt Theresas Mutter.

Evelyn Hinteregger hat sich nach diesen schwierigen Monaten deswegen besonders auf die Sommerbetreuung und ein Stück Normalität für Theresa gefreut. Dann wartete aber bereits der nächste Rückschlag. „Ich habe mich wirklich gefreut, dass Theresa in der Sommerbetreuung endlich wieder andere Kinder treffen kann, dann aber die Mitteilung erhalten, dass sie ausgeschlossen wurde, weil sie eine Einzelbetreuung braucht“, erklärt die vierfache Mutter. „Ich bin wirklich aus allen Wolken gefallen – da war Null Inklusion und an die betroffenen Familien und Kinder hat niemand gedacht.“

Mit dieser Absage wollte sich Theresas Mutter aber nicht abfinden. Gemeinsam mit dem Arbeitskreis Eltern Behinderter und einigen engagierten Müttern konnte man so schlussendlich erreichen, dass auch Kinder mit Beeinträchtigungen zur Sommerbetreuung zugelassen wurden. „Ich finde es wirklich schade, dass wir so viel Energie und Zeit in Sachen investieren müssen, die eigentlich logisch sein sollten“, schüttelt Evelyn Hinteregger den Kopf.

Seit Anfang März hat Theresa zudem keine Therapie in der Reha in Brixen mehr bekommen, weil die Dienste zurückgefahren wurden. „Da ist man wirklich auf der Strecke geblieben“, erklärt Evelyn Hinteregger. Die Familie wollte Theresa aber nicht mehrere Monate ohne Therapie lassen, weshalb man Privatstunden genommen hat. „Aber das kann es auch nicht sein“, kritisiert die Mutter. „Logopädie ist für Theresa sehr wichtig und es ist auch wichtig, dass man kontinuierlich weiterarbeitet – da kann man nicht ein Dreiviertel Jahr alles aussetzen“, ärgert sich Evelyn Hinteregger.

Als dann bekannt wurde, dass auf Südtirol wegen der steigenden Neuinfektionen erneut Einschränkungen zukommen, musste die vierfache Mutter erst einmal tief Luft holen. Allerdings scheint sich die Situation für Betroffene zumindest in einigen Bereichen verbessert zu haben. „Die Notbetreuung im Herbst war sicher besser organisiert und wäre auch für uns eine große Hilfe gewesen“, erklärt Evelyn Hinteregger. Weil die Familie zu diesem Zeitpunkt in Quarantäne war, konnte man den Dienst zwar nicht nutzen, „aber man hat gemerkt, dass man die Familien stärker unterstützen wollte“, sagt Theresas Mutter.

Dennoch findet Evelyn Hinteregger es einfach nur schade, dass Angehörige von Menschen mit Beeinträchtigungen nach wie vor für Vieles kämpfen müssen. „Man hat mit der alltäglichen Betreuung schon viel zu tun und versucht die Kinder zu fördern – aber wenn man gleichzeitig auch noch Energie in Sachen investieren muss, die eigentlich logisch sein sollten, ist das einfach nur eine zusätzliche Belastung. Man muss sich immer wehren und das ist einfach nur anstrengend, weil man diese Energie anderswo brauchen würde“, bedauert Theresas Mutter. „Es müsste selbstverständlich sein, dass auch Kinder mit Beeinträchtigungen so wie in den letzten Jahren auch dabei sein können – aber wegen Corona wurden sie vielfach ausgeschlossen.“

Evelyn Hinteregger weiß, dass sich Eltern und Angehörige in solchen Situationen einfach nur zurückgelassen fühlen und enttäuscht sind: „Ich würde mir einfach wünschen, dass Kinder wie Theresa wie alle anderen Kinder behandelt werden – aber das ist leider nach wie vor nicht in allen Bereichen so“.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (6)

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  • bernhart

    Liebe Fam:Hinteregger, danke für Ihren Einsatz, leider sind unsere überheblichen Beamten und Politiker oft fehl am Platz und kennen die Probleme der Behinderten alten Menschen nicht ober sie stellen sich stur wenn man nachfragt, es kann nicht sein, dass Viel Geld für nutzloses ausgegeben wird und die Bevölkerung steht im Regen ohne Hilfe .Die gesamte Landesregierung hat versagt nur versprechen, bevormunden , jeden Tag eine neue Verordnung und Strafen, das waren die wichtigsten Entscheidungen unserer Politiker. Viele Bürger haben das Vertrauen in die Politik verloren.
    Frau Evelyn, ich kann sie sehr gut verstehen, es kann und darf nicht sein, dass Personen und vor allem Kinder mit Behinderung ausgegränzt werden, gerade in solchen Situationen sollte die Familien noch mehr Hilfe erhalten. Kämpfen sie bitte weiter für mehr Gerechtigkeit für bedürftige Personen.

  • olle3xgscheid

    Fr. Evelyn muß nicht für Gerechtigkeit kämpfen!!! Sie haben ohnehin alle Hände voll zu tun oder möchte das mal jemand „Nur“ einen Tag erleben?? Es genüge wesentlich, das die schon bestehenden Gesetze eingehalten werden , ohne wenn u aber…
    Auch darf gesagt werden das es nur das Beste ist was die Familie selbst investiert , aber es geht auch vor allem darum das die Familie entlastet wird , darum
    wünsche ich viel Kraft u Ausdauer

  • george

    Hatte einen Bruder, der seit den letzten Volkschuljahren (so wurde es damals genannt) über Jahrzehnte hinweg täglich epileptische Anfälle hatte und den ich in diesen vielen Jahren intensiv gemeinsam mit meiner Mutter und gelegentlich auch mit anderen Geschwistern vielfach begleitet hatte, bis er dann im mittleren Alter wegen der schweren Schäden, die er von dieser Krankheit erlitten hatte, verstorben ist. Das war zu einer Zeit, wo es noch nicht soviel Unterstützung gab wie heute. Zum Glück war mein Bruder recht intelligent und lernte sehr schnell sich trotz dieser Krankheit selbständig im Leben zurecht zu finden. Ich weiß, wieviel Kraft, Ausdauer. Behördengänge usw. es braucht, in dieser Hinsicht eine regelmäßige Unterstützung zu erhalten, wenn auch häufig nur in finanzieller Hinsicht oder in betreuten Werkstätten.
    Ich wünsche allen in einer solchen Familie sehr viel Kraft, Ausdauer und Entgegenkommen, aber auch Hilfe zur Selbsthilfe.

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