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„Wir leben wieder ganz normal“

Der Südtiroler Musiker Werner Bauhofer lebt seit Jahren in China. Er erzählt, wie China das Virus unter Kontrolle gebracht hat – und warum Demokratie und Privacy Hindernisse bei der Bekämpfung einer Pandemie sind.

Tageszeitung: Herr Bauhofer, wie sieht das Leben derzeit in China aus?

Werner Bauhofer: Der Alltag ist wieder vollständig zurückgekehrt. Man sieht nur mehr sehr wenige Menschen mit Masken draußen. Nur mehr in letzten Hochburgen gibt es Maßnahmen, ansonsten gelten nahezu überall die gleichen Regeln wie vor dem Ausbruch des Virus. Einzige Ausnahme sind Spitäler und Banken, in denen es nach wie vor Pflicht ist, eine App vorzuzeigen, die jeder hier in China installiert hat, mit der man sieht, dass man aktuell nicht positiv ist.

Haben Sie eine Rückkehr zur Normalität für möglich gehalten?

Ich hätte mir das eigentlich nicht gedacht. Aber ich denke, dass das vor allem damit zu tun hat, dass in China auch den Sommer über strenge Maßnahmen gegolten haben. In Europa wurde die Urlaubszeit lasch angegangen, jeder durfte frei herumreisen. Das war in China nicht möglich. Ich habe gesehen, dass die Zahlen in Europa nach der Urlaubszeit abrupt gestiegen sind. Das wäre nicht passiert, wenn man vorsichtiger gewesen wäre.

Wie haben Sie den Lockdown zu Anfang des Jahres erlebt?

Der erste Lockdown war wirklich extrem. Selbst in Beihai, der Stadt, in der ich lebe, gab es keine großen Menschenansammlungen, aber auch in Städten mit 20 Millionen Einwohnern wie Peking oder Shanghai gab es keine Ansammlungen. Die Bürger selbst haben dabei sehr radikal reagiert und teilweise sogar Barrikaden errichtet, damit der jeweilige Wohnbezirk nicht verlassen werden kann. Man muss sich das wie in den geschützten Wohnanlagen in den USA vorstellen, wo es Wachmänner und Bürgerinitiativen gibt. Dasselbe gibt es auch in China und diese wurden dazu angewiesen, strenge Kontrollen durchzuführen. Alle zwei Tage durfte nur ein einziges Familienmitglied eines Haushaltes das Viertel verlassen, um Einkäufe zu tätigen. Es war also niemand auf den Straßen zu sehen.

Infektionen gibt es aber nach wie vor. Wie geht die Regierung bei neuen Infektionen vor?

Man hört nur noch von einzelnen Herden, die aufflackern. Dort wird sofort ein totaler Lockdown angewandt. In Qingdao beispielsweise, wo eine bekannte Biermarke ihren Sitz hat, war das der Fall. Bald danach hat man aber nichts mehr gehört. Dasselbe war in Xinjiang der Fall, wo viele Uiguren leben. Aber auch dort hat man nichts gehört.

Werner Bauhofer

Wird in China noch über das Virus gesprochen?

In vielen Orten ist vom Virus keine Rede mehr, einige Maßnahmen gibt es aber noch, diese wirken sich aber kaum auf das Leben aus. Über die vorhin erwähnte App werden immer wieder Nachrichten flächendeckend verteilt, sollte irgendwo ein neuer Herd aufkommen, sodass man weiß, dass man dort nicht hingehen soll. Diese App musste jeder installieren. Hotels müssen Gäste, die aus einem Bezirk mit steigenden Infektionszahlen kommen, sofort melden. Außerdem wurde in den Spitälern eine eigene Abteilung für Covid-Patienten eingerichtet.

Ist Datenschutz dabei nie Thema?

Kaum. Es scheint so, als ob Privacy und Demokratie Hindernisse für die Bekämpfung des Virus sind. Denn auch eine unabhängige Presse, die die Maßnahmen kritisiert, gibt es nicht. Die Maßnahmen werden von oben herab diktiert und alle müssen sich daranhalten. Aber die Maßnahmen wirken.

Sind Urlaube möglich?

Möglich sind sie zwar schon, aber dazu muss man einen Test vorweisen können, der nicht älter als drei Tage ist. Zudem muss man in den anderen Ländern oftmals für 14 Tage in Quarantäne. Viele verzichten also auf ihren Urlaub.

Hatte der Lockdown und die Pandemie irgendwelche Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben?

Das gesellschaftliche Leben ist genau wie vorher. Es gibt Partys, Feiern, Diskos, voll besetzte Restaurants und volle Straßen. Ich war in einer Theater-Vorstellung mit tibetanischer Musik, bei der rund 4.500 Leute dabei waren. Bei der Peking Opera, die in Heibai regelmäßig aufgeführt wird, sind ebenfalls mehrere Tausend Leute dabei. Dabei wird jeden Abend getanzt und gefeiert. Es gibt aber auch viele Betriebe, die aufgrund der Pandemie schließen mussten. Wirtschaftlich hatte der Lockdown also schon Auswirkungen, auch die Menge an Touristen ist noch nicht so groß wie zuvor.

Sie waren selbst lange Zeit Musiker. Können auch Kulturschaffende wieder arbeiten?

Ich selbst habe vor einigen Jahren ein Teil meines Gehörs verloren und bin sozusagen Frühpensionist, allerdings habe ich Kontakt zu Berufskollegen, die allesamt ihre Arbeit wieder aufnehmen konnten.

Was müsste sich in Europa ändern, um das Virus zu besiegen?

Wie gesagt, Demokratie und Privacy sind zwar nicht förderlich, darauf zu verzichten, ist in Europa aber nicht möglich. Man könnte aber schon darauf beharren, dass die Bevölkerung insbesondere bei der Installation von Apps Folge leistet, denn diese Apps sind ein gutes Mittel gegen die Verbreitung des Virus. Auch ist es nötig, die Bevölkerung gezielt über die Krankheit zu informieren. Es ist auch in China noch nicht klar, was dieses Virus genau ist. Im Vergleich zur Schweinepest sind viel weniger Menschen am Virus gestorben. Viele verstehen also nicht, womit sie es genau zu tun haben. In China ist das aber gelungen.  Wenn man das der Bevölkerung klar machen könnte, würden viele Leute auch aus Eigeninitiative handeln.

Ist China der große Gewinner, der aus dieser Pandemie hervorgeht?

Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, China zählt sogar zu den großen Verlierern. Wie vorhin gesagt, gibt es einige Betriebe, die schließen mussten. Auch jetzt geht es den Betrieben noch nicht gut, da das Virus den Rest der Welt im Griff hat. Das heißt, China kann auch nichts produzieren. Allein für den Bozner Weihnachtsmarkt werden zahlreiche Produkte in China hergestellt. Wenn man dann daran denkt, wie viel China für den Weltmarkt produziert, dann realisiert man schnell, dass China mehrere Milliarden vielleicht sogar Billionen Euro durch diese Pandemie verlieren wird. Andere Länder werden dieses Problem nicht haben.

Interview: Markus Rufin

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