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„Was sich an den Rändern abspielt“

Carmen Trocker: Wir wollen einen Film mit den Frauen, nicht über die Frauen machen.

Die in Berlin lebende Kastelruther Filmemacherin Carmen Trocker dreht einen Dokumentarfilm über migrantische ArbeiterInnen in einem Südtiroler Hotel, ohne die die Tourismusmaschinerie zum Stillstand käme.

Tageszeitung: Frau Trocker, Ihr Filmprojekt mit dem Titel  „Personal“ wird von der IDM gefördert. Worum geht es in der Doku?

Carmen Trocker: Der Film erzählt von migrantischen ArbeiterInnen in einem Südtiroler Hotel. Wir begleiten die Frauen bei ihren täglichen Herausforderungen im Ablauf des Hotelalltags und fragen nach ihren Geschichten: woher sie kommen, wer sie sind, was sie bewegt.

Wie haben Sie recherchiert, wo spielt Ihre Doku?

Ich habe viele Gespräche und Interviews mit migrantischen ArbeiterInnen in Südtirol geführt. Im Laufe der Recherche hat sich gezeigt, dass die Konzentration auf ein Hotel und ein Team ein Rahmen ist, der für den Film, der mir vorschwebt, richtig ist. Es ermöglicht uns konzentriert und fein zu beobachten und zu erzählen und mit den einzelnen Geschichten etwas anklingen zu lassen, das über das Sichtbare hinausgeht …wie in der Poesie, in der die Anordnung und der Gebrauch weniger Worte große Räume öffnen kann.

Hotelgeschichten erzählen meist Geschichten von mondänen Reisenden. Sie hingegen interessieren sich, frei nach Brecht, für die Menschen im Schatten. Man sieht sie nicht, aber ohne sie würde alles stillstehen. Welche Geschichten erzählen diese Menschen?

Ihre Geschichten reihen sich ein in die große Geschichte der Arbeitsmigration. Es sind die Geschichten mutiger und starker Frauen, die sich auf den Weg gemacht haben, in ein Land, das sie nicht kannten, eine Sprache, die sie erst erlernen mussten, oft unter Verlust ihres sozialen Status und ihrer Familien, um für sich und ihre Kinder bessere Lebensbedingungen zu schaffen.

 Angestellte im Hotelbereich sind häufig Frauen mit Migrationshintergrund. Wie bringen Sie diese Frauen zum Reden?

Meine Art zu arbeiten basiert auf gegenseitigem Vertrauen, das sich nur über die Zeit entwickeln kann. Es ist eine sehr fragile Situation, in die wir uns als FilmemacherInnen begeben und wir werden gemeisnam mit den Frauen einen Raum entstehen lassen, in dem sie sich zeigen können und ihre Version der Geschichte erzählen.

Meist sind sie kamerascheu. Wie gewinnen Sie das Vertrauen dieser Menschen und gibt es auch welche, die sich verweigern?

Wir wollen einen Film mit den Frauen, nicht über die Frauen machen. Wir werden in einem kleinen, weiblichen Filmteam arbeiten und für eine gewisse Zeit teilhaben am Alltag der Frauen. Wir werden sie begleiten, beobachten und in einen Dialog mit ihnen treten. Dabei wird sich immer wieder neu zeigen, wer seine Geschichte mit uns teilen will.

In Ihrer Filmographie stehen unter anderem Filme über eine Bergbäuerin und die „Hexe“ Martha Silbernagl. Beides Frauen, die in einer von Zwängen geprägten Gesellschaft um Autonomie kämpfen. Ist das Ihr Thema?

Wenn es so etwas wie ein Thema gibt, dann würde ich eher sagen, ich finde interessant, was sich an den Rändern abspielt. In den beiden Filmen sind es Frauen, in meinem letzten Film war es ein Haus, das sich mit seiner eigenwilligen Form mitten in die architektonische Eintönigkeit eines Dorfes gesetzt hat. In diesem Projekt ist es die Unsichtbarbeit dieser Frauen, die mich interessiert. Die migrantischen ArbeiterInnen in der Tourismusindustrie sind in der touristischen Erzählung kaum vorhanden, dabei wäre ein Aufrechterhalten der Betriebe ohne ihre Arbeit nicht möglich.

Interview: Heinrich Schwazer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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