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Busoni-Finale online? Undenkbar!

Peter Paul Kainrath: Sollte das Glocal Piano Project auch nur zur Hälfte gelingen, wird der Busoni Klavierwettbewerb in Zukunft internationaler, nachhaltiger und innovativer als je zuvor sein. (Foto: Gregor Khuen Belasi)

Die ursprünglich für den Sommer geplanten Vorauswahlen zum Busoni Klavierwettbewerb werden heuer Covid bedingt im Rahmen des Glocal Piano Projects weltweit an den Heimatorten der Kandidat*innen durchgeführt. Funktioniert das? Ein Gespräch mit dem künstlerischen Leiter Peter Paul Kainrath.

Tageszeitung: Herr Kainrath, die ersten 49 von insgesamt 97 Kandidaten zum Finale des Busoni Klavierwettbewerb 2021 haben ihre Auftritte bereits absolviert. Entspricht das Glocal Piano Project den Erwartungen?

Peter Paul Kainrath:  Es ist noch viel zu früh, dies zu beurteilen. Bisher hat das Glocal Piano Project jedenfalls alle Erwartungen übertroffen, einfach weil weit über 300 Personen zwischen Klavierhändlern in 23 Städten, Journalisten und Aufnahmestudios aus 19 Ländern, Kandidaten aus aller Welt und eben dem Bozner Team alles möglich machen, um auch unter diesen Umständen die Kerze des Klavierspiels hoch zu halten – und wohlgemerkt bei größter Ernsthaftigkeit gegenüber den aktuellen gesundheitstechnischen Herausforderungen. Der Busoni Klavierwettbewerb ist bereits heute durch das Glocal Piano Project ein anderer und hat in dieser Zeit der Ausdünnung kultureller Veranstaltungen eine enorme Sichtbarkeit erlangt.

Ist die Jury bei den Vorspielen live zugeschaltet oder bekommt sie eine Aufzeichnung zu sehen?

Zunächst haben wir alle Vorbereitungen getroffen, das gesamte Glocal Piano Project live zu übertragen; als sich dann die territorialen Lockdowns weltweit und überall unterschiedlich abzuzeichnen begannen, haben wir uns für ein zeitversetztes Format entschieden; die Aufnahmen sind also live entstanden ohne jegliche Schnitte, aber eben etwas zeitversetzt auf unsere Homepage gestellt. Für die Beurteilung ändert sich hier kein einziges Komma.

Die Erfahrung eines Online-Votings ohne Konzertatmosphäre dürfte auch für die Mitglieder der Jury neu sein. Wie kommen sie damit zurecht?

Es sind sehr erfahrene Juroren und wenn ich denke, dass Präsident Weingarten beispielsweise daran beteiligt war, Horowitz wieder nach einer langen Pause nach Europa zu bringen, bin ich sehr zuversichtlich, dass sie diese Fokussierung auf das reine Spiel ohne dem größeren Bild des Konzertsaales gut zu nützen wissen.

Und die Kandidaten selbst? Noch mehr Aufregung, noch mehr Gänsehaut, oder weniger?

Vorspiel in Paris (Foto: Deyan Parouchev)

Wir haben da die ganze Bandbreite. Diese reicht von großer Dankbarkeit – wir zählen weltweit zu den wenigen Wettbewerben, die stattfinden – bis hin zu einer sehr fordernden Haltung, sprich, dass man dieselben Bedingungen erwartet, die man üblicherweise in Bozen offeriert bekommt. Wir haben die Hälfte der Wegstrecke zurückgelegt. Lassen Sie uns sehen, wie das ganze Bild nach dem Verdikt der Jury aussieht.

Die Kandidaten treten vor einem lokalen Publikum an ihrem Wohnort auf. Wie garantieren Sie, dass ein Kandidat aus Taiwan und einer aus den USA oder Italien unter den gleichen Bedingungen auftritt?

Die Bedingungen sind natürlich nicht gleich, aber vergleichbar. Alle Kandidaten werden weltweit auf dem Model D von Steinway & Sons spielen; das ist der Rolls Royce unter den Flügeln und garantiert einfach einen hohen Standard; alle 23 Recordingpartner sind auf das Genaueste von unserem Team gebrieft worden, auf dass die Qualität der Mikrofone und bestenfalls auch der Kameras maximal vergleichbar sind. Dazu kommt, dass die Jury sehr wohl von den jeweiligen Gegebenheiten abstrahieren kann und das künstlerische Potential – und um das geht es in dieser ersten Runde des Wettbewerbes – recht punktgenau erkennen kann. Wir krempeln unsere Ärmel hoch und stellen uns auch der Kritik. Eh klar. Aber absagen war für uns eigentlich keine Option.

Erstmals darf auch das Online-Publikum bei bis zu drei Kandidaten mitentscheiden, wer zum Finale fahren darf. Ein bevölkerungsreiches Land wie China ist dabei klar im Vorteil gegen beispielsweise Finnland.

Zunächst glaube ich nicht, dass das Musikleben derart nationalistisch geworden ist, dass Chinesen nur für Chinesen stimmen. Darüber hinaus ist der Busoni Klavierwettbewerb stark genug, auch die eine oder andere Unschärfe auszuhalten. Wichtiger ist, dass wir imstande sind, für diese Bozner Kulturinstitution ein größeres, internationaleres Publikum – sei dies nun offline oder online dabei – als je zuvor begeistern zu können. Im vom Essayisten Nathan Gardels herausgegeben Noema Magazine war kürzlich zu lesen: die Antwort auf die Pandemie kann weder eine nationale noch eine globale sondern nur eine planetarische sein.

Wäre nach den Erfahrungen mit dem Glocal Piano Project auch das Finale im Online-Format möglich?

Kategorisch Nein! Andere Wettbewerbe haben dies in diesem Jahr gemacht und die Resultate sind überschaubar. Natürlich ist es löblich, dass überhaupt etwas stattfindet. Aber die Aura eines Künstlers ist nur im Hier und Jetzt der realen Bühne wirklich erlebbar und so sind wir glücklich, dass wir unsere Künstler auf eine Reise von einem lokalen Kleinstpublikum über eine digitale Begutachtung seitens der ersten Jury bis zu den Auftritten in Bozen im kommenden Jahr begleiten können. Aber sollte das Glocal Piano Project auch nur zur Hälfte gelingen, wird der Busoni Klavierwettbewerb in Zukunft internationaler, nachhaltiger und innovativer als je zuvor sein. Das ist doch kein schlechtes Ergebnis für solch dunkle Zeiten.

 Interview: Heinrich Schwazer

 

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