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Kunstreligion

Esmé Quartett in der Kirche des Priesterseminars: Mitreißende Virtuosität.

Was kann über den Musikgiganten Beethoven überhaupt noch Neues gesagt werden?  Eine Nachlese zum Symposion Musik und Kirche: Beethoven – Religion – Freiheit  von Barbara Fuchs.

 Lag es nur an der Coronapandemie, dass der 250. Geburtstag des Musikgenies Beethovens ähnlich wie jener seines Zeitgenossen Hölderlin in der Öffentlichkeit eher verhalten wahrgenommen wurde? Andererseits – haben nicht gerade die coranabedingten Programmänderungen an manchen Orten, wie etwa bei den Salzburger Festspielen, aus der Not eine Tugend entstehen lassen? Konkret, indem in einem Marathonzyklus alle 32 Klaviersonaten Beethovens präsentiert wurden?

Auch die Brixner Initiative Musik und Kirche hielt an ihrem geplanten Symposion 250 Jahre Ludwig van Beethoven fest und wagte eine mit peniblen Sicherheitsmaßnahmen begleitete Tagung mit 2 alternativen Konzerten, dem Verzicht auf große Orchesterwerke, aber trotz Beschränkung mit beachtlichem Mut für Neuerung.

Was kann über den Musikgiganten Beethoven überhaupt noch Neues gesagt werden? Welche Rolle spielt sein Werk im Konzertbetrieb, welche in der öffentlichen Wahrnehmung? Kirchenmusiker fragen sich schließlich, ob Beethovens „übersteigerte Orchestermusik“ überhaupt als „Elevationsmusik“ im Sinne der Religion verstanden werden kann. Genau dieser Frage ging der Theologe und Musikwissenschaftler Meinrad Walter in seinem Eröffnungsvortrag „Beethoven – Transzendenz – Theologie“ auf den Grund. Beethoven werde oft mit der Präposition „über“ charakterisiert: „über-fordern“, „über-steigern“, „über-wältigen“, aber auch „über-winden“ und „über-irdisch“. Ausgehend von dieser Feststellung ging Walter auf Beethovens Gottesbild ein und stellte es zeitgenössischen Vorstellungen gegenüber. Dass er sich Gott eher über Kants Ausspruch vom „gestirnten Himmel über mir“ erschloss als über das von der Kirche tradierte „Bild von dem Gott am Kreuz“, lässt sich unschwer erkennen. Vieles spricht für eine Kunstreligion, die sich mit Beethoven erstmals manifestierte und die das Transzendieren als einen Akt der Freiheit feiert. Sein Freiheitsbegriff und die Tendenz zum Performativen stehen Pate in seiner Missa solemnis und der 9. Symphonie, mit denen er die Bereiche Kirche, Bühne und Konzertsaal zusammenführen und überbrücken wollte.

Als Freiheitsheld und Repräsentant eines neuen Menschentyps wurde Beethoven im ausgehenden 19. Jahrhundert stilisiert. Helmut Loos, emeritierter Professor der historischen Musikwissenschaft, Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaft aus Leipzig, demontiert mit Detailkenntnis und komparatistischer Methodik das Bild, das sich Generationen von Musiktheoretikern und Musikliebhabern von Beethoven machten. Begonnen habe dies alles mit der Verklärung der Kunstreligion durch Wilhelm Heinrich Wackenroder, E.T.A. Hoffmann und Bettina v. Arnim, den Höhepunkt fand es durch Wagners Pilgerfahrt zu Beethoven. Der in Herrscherpose sitzende Beethoven des 1902 entstandenen Denkmals von Maximilian Klinger, das zentrale Kunstobjekt der Wiener Secession, erscheint in  Verbindung mit der Architektur und Gustav Klimts Beethovenfries wie die oberste Gottheit einer neuen Gesellschaft, vermittelnd zwischen Antike und Christentum. Beethoven, der neue Titan, in Sieger- und Herrscherpose galt vielen als Prophezeiung eines neuen „dritten“(!) Reiches. Bereits zeitgenössische Karikaturen machten sich über diese Art der Vergöttlichung lustig, dennoch überlebte das einmal geschaffene Beethovenbild alle Diktaturen des 20. Jahrhunderts, wie Loos lapidar feststellt.

Eine fachkundige Annäherung an Beethovens Kompositions- und Kunstideal schafft Hans-Joachim Hinrichsen in seinem Referat „Beethoven Unabhängigkeit – Freiheit – Autonomie“, räumt aber ebenso mit Klischees der Beethovenrezeption auf: seine rebellische und antiautoritäre Attitüde, sein unbedingter Freiheitsbegriff. Man dürfe sich das philosophische Konzept der Freiheit im Verständnis Beethovens nicht zu einfach machen und müsse es durch die flankierenden Begriffe Unabhängigkeit (von etwas) und Autonomie (Freiheit zu etwas) ergänzen. Während die politische Freiheit zu Beethovens Zeit noch als eine Utopie erschien, erwünschte man sich in der Nachfolge Rousseaus, Schillers und Kants mit seinem kategorischen Imperativ die Verwirklichung eines moralphilosophischen Freiheitsbegriffs: verstanden als ästhetische Autonomie. Der Habitus des von Konventionen befreiten, von höfischem Mäzenatentum unabhängigen Musikers und Formzertrümmerers Beethoven ist ein Etikett, das ihm später angeheftet wurde, sein Schaffen als Naturgenie, das die Gesetze der Komposition mit dem Ingenium des Künstlers ausbalanciert, zwingt laut Hinrichsen vielmehr zum Nachdenken über die Komplexität von Freiheit.

Stepan Simonian: Mutige Entscheidung, das Klavierkonzert mit Choralvorspielen Bachs in der Bearbeitung von Ferruccio Busoni und den beiden Klaviersonaten op. 110 und op. 111 von Beethoven im Brixner Dom zu veranstalten.

Im Verhältnis zwischen Kunst und Religion erkennt Heinrich Schwazer in seinem Referat ein Beziehungsdrama ohnegleichen, das seinen Ursprung in den Zelten der Stämme Israels habe. Ausgehend von dem biblischen Verbot, sich ein Bildnis von Gott zu machen, habe sich die Geschichte der Kirche als eine Abfolge von Bilderstürmen erwiesen und nach Höhenflügen der Kunst unter dem großzügigen Mäzenatentum der Kirche etwa in der Renaissance zu einer unüberbrückbaren Entfremdung geführt, die nur noch „freundliche Grüße aus der Ferne“ (Arnulf Rainer) zulasse. Der Wert und die Funktion von bildender Kunst wurden auf Konzilen verhandelt. Dabei gingen die Vorstellungen weit auseinander: von der heilsnotwendigen Darstellung, der spirituellen Anwesenheit des Dargestellten bis hin zur Abwertung des Bildes als überflüssiges Beiwerk. Immerhin galt bis zur Reformation die bildliche Darstellung religiöser Themen als nützliche Form der Glaubensvermittlung für eine Gesellschaft, in der der Großteil der Menschen Analphabeten waren. Propagandistische Vereinnahmung und entsprechende Einflussnahme auf die Künstler erfolgten dann durch das Trienter Konzil im Zuge der Gegenreformation. Seit der Aufklärung ist der Bruch zwischen Kunst und Kirche nicht mehr zu kitten. Immerhin erkannte man beim 2. Vatikanischen Konzil die Autonomie der Kunst an. Seither entwickeln sich religiöse und nichtreligiöse Kunst nebeneinander, obwohl die Freiheit von Kunst und Religion dieselben Wurzeln haben und die Kirche die Kunst braucht, wie Papst Johannes Paul 1980 in seiner Rede vor Journalisten betonte. Ob die Annäherung von Kunst und Kirche heute wünschenswert wäre, lässt sich nur mit einer Gegenfrage beantworten: was entscheidet heute über den Wert eines Kunstwerkes, wo Geld als die „düsterste Religion“ erscheint? (Walter Benjamin)

Direkt in das Zentrum von Beethovens Kompositionskunst führt das abschließende Referat mit dem Titel „Schauervoll, pathetisch – wahre Kirchenmusik?“ des ausgewiesenen Klassikexperten Felix Diergarten. Mit großer Detailgenauigkeit und zahlreichen Hörbeispielen weist Diergarten nach, wie Beethoven in den beiden Messen C Dur und Missa solemnis Elemente alter Musik mit seiner innovativen Musiksprache verknüpft. Von der Erhabenheit der Musik eines Palestrina überzeugt weist sein kreativer Umgang und effektvolle Inszenierungen in eine neue musikalische und spirituelle Richtung, was als Akt der Freiheit und Mündigkeit gesehen werden kann.

An beiden Abenden des Symposions hatte das Publikum Gelegenheit zu außergewöhnlichem Musikgenuss.  Am ersten Abend war es das Esmé Quartett, das in der Kirche des Priesterseminars das 3. Streichquartett von Alfred Schnittke und Beethovens Streichquartett Nr.15 op. 132 zur Aufführung brachte. Das aufführungstechnisch äußerst vielschichtige Werk von Schnittke haben die vier koreanischen Musikerinnen mit mitreißender Virtuosität präsentiert. Mit Intensität und Präzision interpretieren sie Beethovens spätes Streichquartett und entführen den Zuhörer in sphärische Klänge, etwa im 3. Satz Molto adagio.

Die mutige Entscheidung der Initiative Musik und Kirche, das Klavierkonzert mit Choralvorspielen Bachs in der Bearbeitung von Ferruccio Busoni und den beiden Klaviersonaten op. 110 und op. 111 von Beethoven im Brixner Dom zu veranstalten, erwies sich als ausgesprochener Glücksgriff. Stepan Simonian zelebrierte diese Premiere ganz im Sinne von Beethovens Intention, nämlich als Brückenschlag zwischen Kirche, Bühne und Konzertsaal – und erntete euphorischen Applaus!

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