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Amongst Nazis / Unter Nazis

Der Literaturwissenschaftler Thomas Antonic macht sich auf die Spuren der Leitfigur der Beatniks William S. Burroughs in Wien.

 Von Helmuth Schönauer
Unter Bibliothekaren entsteht immer ein gewisser Aufruhr, der in einen dienstlichen Aufschwung mündet, wenn ein so genanntes zweisprachiges Buch eintrifft. Niemand weiß vorerst, in welcher sprachlichen Abteilung das Buch untergestellt werden kann. Für eine Entscheidung braucht es eine Spontanlektüre. Zweisprachige Bücher haben also den Vorteil, dass sie zumindest von Bibliothekaren rasch gelesen werden. In Südtirol, wo mehrsprachige Bibliotheken zu sprachlichen Intensivstationen ausgebaut sind, entledigt man sich dieses Problems oft dadurch, dass man das Buch an der Sprachkante auseinanderreißt und die jeweiligen Teile in den passenden Abteilungen aufstellt.
Thomas Antonic erklärt zu Beginn seines Forschungsberichts über William S. Burroughs Wien-Aufenthalt 1936/37, warum eine zweisprachige Ausgabe unumgänglich ist. Die Nazis nämlich lassen sich nur festmachen, wenn man ihre Parolen in Originalsprache zitiert. Das hat auch W. S. Burroughs für seine Arbeit antizipiert und Teile seiner Vorstudien für „Naked Lunch“ in deutscher Originalsprache notiert.
In diesem Zusammenhang lässt sich eine Leseerinnerung zu Walter Abishs grandiosem Roman „How German is it“ (1980) herstellen. Darin wird ständig gefragt, wie deutsch etwas ist, um daraus den Naziquotienten zu berechnen.
Der Essay „Amongst Nazis“ geht der Frage nach, ob ein Wien-Aufenthalt der späteren Leitfigur der Beatniks Spuren im Werk hinterlassen hat. Und die Antwortet lautet, ja unbedingt.
William S. Burroughs Reise nach Wien ist ursprünglich eine Belohnung für seinen Schulabschluss, weshalb er zuerst einmal als Tourist auftaucht. Bald darauf beginnt er im Wien des End-Ständestaates ein Medizinstudium und spürt selbst als Student bereits den Umbau der Universität, wo jüdische Professoren auf diverse Listen geraten, während Nazi-Personal bereits die kommende Ideologie in Wort und Lehre herausplärrt.
Schlagzeilen, Parolen, Liedgut bei Trinkabenden und Studenten-Rituale geben „zündenden“ Stoff für Geschichten, die demnächst hochgehen werden. Burroughs notiert einiges aus diesem Sprachmaterial in Originalsprache und lässt diese dann in die Romane einfließen.
Viele reale Floskeln wirken im Roman ausgesprochen obszön und „gaga“, was sich in den Übersetzungen der amerikanischen Originale ins Deutsche zeigt. Da geniert man sich in der Post-Nazizeit für die harte Sprache und lässt Obszönitäten im Original stehen oder übersetzt sie sogar fälschlicherweise in ein einlullendes Amerikanisch zurück.
Im Essay werden einige dieser Hardcore-Fügungen behandelt. Am Beispiel „Futball“ zeigt sich etwa ein rauer Subton, konnotiert diese Schreibweise doch den „vulgären“ Sprachabdruck des weiblichen Geschlechtsorgans.
Neben der medizinisch-universitären Welt hat es den Studenten vor allem die sexuelle Szenerie angetan, in Bädern und ausgewiesenen Spa-Bereichen kann die Homosexualität ungeniert ausgelebt werden. Den Beobachter beeindruckt vor allem die Ungeniertheit, mit der hier gegen Geld alles angeboten wird. Der Besucher kommt zum Schluss, dass man in dieser sozialen Lage in Wien für Geld alles kaufen kann, was sexuell am Markt ist.
In einem Abstecher des Essays kommt der Ausflug von Burroughs nach Dubrovnik zur Sprache, wo er quasi aus der Hüfte heraus Ilse Herzfeld heiratet, um ihr ein Visum nach Amerika zu ermöglichen. Diese Pragmatik ist eine vernünftige Antwort auf die monströse Judenverfolgung, das Verhältnis Logik, Entgleisung, Monstrosität, Genie und Wahnsinn zieht sich später durch die Romane.
Die sehr kompakte Bösewicht-Figur Dr. Benway ist aus den Elementen Arzt, Medizin, Wien und Nazisprache zusammengesetzt. In einem Interview fällt zig Jahre später die Begründung für die gelungene Installation dieser Figur: „Ich habe 1936 ein Jahr in Deutschland verbracht.“ (113). Die Gleichsetzung Österreichs mit Deutschland ist perfekt.
Thomas Antonic erfüllt mit seiner Analyse die Gelüste der Burroughs-Forschung, Licht in den bislang schwach ausgeleuchteten Europaaufenthalt zu bringen. Für Beatnik-Fans und angespornte Leser stellt der Essay eine interessante Methode vor, wie man das letztlich unbegreifliche Leben von Beat-Autoren begreifbar machen könnte: Durch Aufsuchen jener Ritzen der Gesellschaft, in welche die jeweiligen Protagonisten gewollt oder ungewollt gefallen sind beim Bestreben, für den üblichen Literaturbetrieb unbegreiflich zu bleiben.
Eine fette Bildersammlung, sauber zwischen die beiden Sprachflügel gesetzt, unterstützt diese Suche nach Bildern, die nicht in übliche Biographien passen.
Ein aufregender Essay, der mindestens auf drei Metaebenen funktioniert!

Thomas Antonic: Amongst Nazis. Unter Nazis. William S. Burroughs in Vienna 1936/37. Illustriert von Kai Pohl. Englisch und deutsch. Schönebeck: Moloko Print 2020. 135 Seiten. EUR 15,-.

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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