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„Hätte man Matilda retten können?“

Birgit Horrer mit der kleinen Matilda im September

Ein angeborener Herzfehler, eine auch wegen Corona immer wieder verschobene OP: Jetzt ist die sechs Monate alte Matilda aus Mölten tot. Wie die Mutter mit dieser Tragödie umgeht.

von Lisi Lang

War es Pech? War es Schicksal? Oder hätte man Matilda in einer Zeit ohne Corona retten können? Diese Fragen gehen Birgit Horrer derzeit durch den Kopf. Die junge Mutter aus Mölten hat Anfang Oktober ihre sechs Monate alte Tochter allzu früh verloren. „Seit dem 15. März 2020 haben wir alles getan, um Matilda auf ihre Herzoperation vorzubereiten“, erzählt die Mutter. Aber dann kam Corona. Und der Lockdown.

Von ihrem ersten Lebenstag an war die kleine Matilda eine Kämpferin. „Matilda ist mit einem schweren Herzfehler und einem Gendefekt zur Welt gekommen, aber die Ärzte haben von Anfang an gesagt, dass sie Matilda operieren können“, erzählt ihre Mutter. Normalerweise wird diese Operation im Alter von drei oder vier Monaten durchgeführt, genau das war eigentlich auch für Matilda geplant. „Durch den Herzfehler hat sich Matilda aber langsamer entwickelt und auch nur sehr schwer an Gewicht zugenommen, weshalb sie zuerst intensivmedizinisch betreut werden musste“, erinnert sich Birgit Horrer.

Kurz vor Ostern dann aber die Erleichterung: Die kleine Matilda musste zwar weiterhin über eine Magensonde ernährt werden, konnte  das Krankenhaus aber verlassen. Matilda war stabil. „Es war dann ein recht normaler Krankheitsverlauf, wie auch bei anderen Kindern mit diesem Herzfehler“, erklärt die junge Mutter.

Fünf Monate lang wurde Matilda über eine Nasenmagensonde ernährt. Mit sechs Monaten wog die Kleine 4,6kg und war 56cm klein. Nach einer erneuten Untersuchung im Juni wurde dann beschlossen, die Krankheitsunterlagen von Matilda nach Padua zu schicken, wo sie hätte operiert werden sollen.

Es vergingen aber wieder mehr als eineinhalb Monate, bis die Familie kontaktiert wurde, und dann auch wieder nur für eine weitere Untersuchung. „Ende Juli ist der Chirurg aus Padua nach Bozen gekommen, um sich Matilda anzuschauen. Der Arzt hat dann gesagt, dass man Matilda schon im Juli hätte operieren müssen, aber dass man jetzt schnellstmöglich einen OP-Termin in zwei oder drei Wochen organisieren wird“, erinnert sich Birgit Horrer.

Nach diesem Termin hieß es für die Familie aber wieder warten, nicht bis Mitte August sondern bis zum 4. September. „Mitte August wurden wir kontaktiert und es wurde uns endlich ein OP-Termin genannt – aber bereits eine Woche später wurden wir erneut kontaktiert und der Termin wurde verschoben, weil so viele Notfälle reingekommen sind“, erzählt Birgit Horrer. Das sei verständlich, sagt die junge Mutter, „weil ein Kind, welches ein Notfall ist, gleich operiert werden muss und nicht erst wenn es zu spät ist“. Zudem sei Matilda zu diesem Zeitpunkt stabil gewesen.

Für die vierköpfige Familie aus Mölten hieß es also weiterwarten. „Wir haben sechseinhalb Monate versucht, unsere Sozialkontakte als Familie weitestgehend einzuschränken, damit Matilda sich nicht auch noch einen Infekt holt, der ihr Herz und ihre Lunge belasten könnte. Wir haben zusammen gekämpft und jeden Tag auf diesen Anruf gewartet, dass Matilda endlich operiert werden kann“, erzählt Birgit Horrer. Dann wurde die Familie endlich wieder vom Krankenhaus kontaktiert und es wurde ein OP-Termin für den 29. September fixiert.

Dann aber der Schock: Vier Tage vor der Operation erkältete sich Matilda. „Sie entwickelte eine Bronchilitis“, sagt Birgit Horrer. Nun war Matilda ein Notfall. Ihre Mutter erinnert sich an diese schwere Zeit: „Unsere Kinderärztin hat uns sofort in die Erste Hilfe geschickt, wir wurden in der Pädiatrie aufgenommen und Matilda wurde untersucht und getestet. Sie wurde dann mit Sauerstoff versorgt, hat aber insgesamt keinen schlechten Eindruck gemacht.“

Nach drei Tagen hat sich Matildas Situation aber rapide verschlechtert. Sie bekam leichtes Fieber, hatte Husten und wurde mit Antibiotika behandelt. Die Herzoperation musste zu diesem Zeitpunkt erneut verschoben werden, weil Matilda erst die Infektion auskurieren musste.

Nur einen Tag später ist Matilda während einer Untersuchung kollabiert und musste wiederbelebt werden. „Ich war während der Reanimationsmaßnahmen im Nebenzimmer und habe alles gehört. Mir war deswegen klar, dass schwere Schäden zurückbleiben werden“, erinnert sich Birgit Horrer.

Die junge Mutter muss immer wieder Pausen einlegen, kämpft um Worte, um diese Situation und das Erlebte zu umschreiben. „Ich wusste nicht mehr worauf ich hoffen soll: Dass sie gehen kann, damit sie ein lebenswertes Leben hatte oder dass sie um jeden Preis zurückkommt“.

Matilda wurde dann noch am gleichen Nachmittag mit dem Hubschrauber nach Padua gebracht. Allerdings konnten ihr auch dort die Ärzte nicht mehr helfen. Matildas Herzchen konnte einfach nicht mehr und verlor den Kampf gegen das Erkältungsvirus am 2. Oktober.

Am 3. Oktober haben sich Birgit und ihr Mann am Strand in Chioggia noch einmal von Matilda verabschiedet: „Wir haben ihr in Gedanken das Meer gezeigt“

Der jungen Mutter gehen nach diesem tragischen Verlust viele Fragen durch den Kopf. Wäre Matilda heute noch am Leben, wenn sie am 4. September operiert worden wäre? Hätte sie es dann vielleicht geschafft? „Wenn man gewisse Dienste wegen des Notstandes nicht heruntergefahren hätte, dann glaube ich schon, dass man Matilda früher operiert hätte. Ob sie die OP überlebt hätte, ist eine andere Frage“, sagt die Mutter. „Man weiß nicht, ob man hätte mehr tun können, ob es genutzt hätte, wenn wir uns mehr gewehrt hätten – diese Fragen kann mir heute niemand mehr beantworten“, kämpft Birgit Horrer um Worte.

Matildas Mutter hat diesen schweren Schicksalsschlag öffentlich gemacht – sich eine derartige Resonanz  aber nicht erwartet. „Ich habe diese Zeilen aufgeschrieben, weil mich diese Situation einfach so aufgeregt hat, weil alle über die Corona-Toten reden, aber niemand über die Menschen spricht, die zwar nicht wegen Corona gestorben sind, aber die wegen des Notstandes und des Runterfahren der Krankenhäuser den Kampf gegen ihre Krankheit verloren haben.“

Sie hat ihre Geschichte aber auch veröffentlicht, weil sie verhindern möchte, dass es noch weitere solche Fälle gibt. „Wir können Matilda nicht mehr helfen, aber wenn auch nur ein einziges Kind gerettet wird, dann haben wir schon viel erreicht“, betont Birgit Horrer.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (24)

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  • andreas

    Frau Birgit Horrer hat ihren Post vor ca. einer Woche veröffentlich und bis jetzt haben die sonst in dem Medien omnipräsent Herren Zerzer und Widmann, welche sich damit gerühmt haben, überteuerte und nutzlose Schlauchtücher beim Cousin besorgt zu haben oder angeben, dass es für die zweite Lieferung der Masken von Oberrauch keinen Auftrag gab, nichts von sich hören lassen.

    Es wäre ihre Pflicht und auch die des Landeshauptmannes, umgehenst öffentlich zu diesem Fall Stellung zu nehmen, da er ein sehr schlechtes Bild auf die Sanität wirft.

    Es kann nicht in der Verantwortung von Eltern liegen, die Dringlichkeit einer Operation selbst einschätzen zu können und auch noch auf Einhaltung der Termine pochen zu müssen.

    Wo waren die 200.000 – 250.000 Euro Primare, welche für Privatuntersuchungen in Räumen des Krankenhauses 90 Euro für 20 Minuten abrechnen und ihre Zeit für „normale“ Patienten dadurch eingeschränkt ist?

    • steve

      Diese Ops werden nicht in Südtirol sondern in Padova durchgeführt.

      • steve

        Erfahrungsgemäß sieht man diese Mütter dann oft ein zwei Jahre später mit Kinderwagen und gesundem Kind: das wünsche ich dieser Mutter auch!

        • asterix

          @steve, ja glaubst du wirklich ein „gesundes Kind“ ersetzt ein verstobenes Kind??? Eine Mutter, bzw. Eltern kommen meist nie über so einen Verlust hinweg. Und wenn sie nachher noch 10 gesunde Kinder haben.

          • steve

            Aus eigener Erfahrung weiß ich dass das sehr wohl möglich ist und das Problem gern überbewertet wird. Was den Müttern auch gar nicht hilft denn jemand einzureden jetzt hast du einen Schaden fürs Leben ist nicht gerade aufbauend. Also liebe Frau Horrer nehmen sie das ganze als Teil ihrer Geschichte an , nehmen sie sich die Zeit sich damit zu befassen und blicken sie nach vorne. Alles Gute

          • andreas

            @steve
            Es steht dir nicht zu darüber zu urteilen, ob und wie ein solcher Schmerz zu verkraften ist.
            Spar dir doch bitte solche Aussagen.

      • andreas

        Das steht im Artikel, wozu also der Hinweis?

        Der behandelnde Arzt hat die Verantwortung für den Patienten und auch dafür, dass die notwendigen Behandlungen ausgeführt werden, unabhängig davon wo und von wem.
        Ein schwer krankes Baby ist keine Akte, welche man weiterreicht und sich damit des Problems entledigen kann.

        • asterix

          @andreas, voll ihrer Meinung. Ohne die Krankenakte der bedauernswerten Matilda zu kennen, wage ich zu behaupten dass der Staat und das Land mit seinen Corona Maßnahmen in der Sanität, die arme Matilda zum Tode verurteilt haben. Ich kann mir kaum einen dringerenden Notfall vorstellen, als ein krankes Kind. Der Fall gehörte angezeigt und vor Gericht. Ganz egal ob Padova oder Bozen verschoben oder gepennt haben. Und macht euch keine Illusionen, solche Fälle wie Matilda gab und gibt es viele, nachdem die Sanität ja fast nur mehr für Corona arbeitet. Mein Beileid den Angehörigen.

          • steve

            Also sie kennen die Krankenakte nicht und damit das Ergebnis solcher Operationen nicht: auf dieser Basis beschimpfen sie jemand der fahrlässigen Tötung und reden der Mutter einen dauerhaften Schaden ein: entschuldigung aber haben sie sie noch alle??

        • steve

          Ein schwerkrankes Kind ist auch nicht wie ein Gerät das man zur Reparatur gibt und dann wieder funktioniert. In der Schweiz z.B. werden manche Herzfehler gar nicht operiert weil das Ergebnis schlecht ist.

    • insider84

      @andreas
      Die Primare machen ihre Visiten außerhalb der Arbeitszeit, damit wird keinem normalen Patienten die Zeit gestohlen. Das Problem liegt in den Etagen drüber. Die taskforce zieht Anästhesisten ab, OP können nicht mehr durchgeführt werden.
      Und die 200.000-250.000 € sind im internationalen Vergleich so lächerlich, dass sich kein Kandidat aus dem Ausland hier bei uns bewirbt. Es gibt sogar Ausschreibungen, wo sich nur ein einziger Beworben hat!
      Willst du Top Medizin musst du Top bezahlen. Primare, Ärzte, Pfleger, nicht nur die Direktion

    • steve

      @andreas es steht ihnen nicht zu auf der Basis toter Kinder Gehaltsdiskussionen zu führen!

  • echnaton

    @andreas
    Voll Ihrer Meinung

  • olle3xgscheid

    Hätte hätte Fahrradkette…….oanfoch lai traurig. Due Spitze des,Eisbergs in unserem Wohlstandsland, fragt sich nur für wem…?

  • asterix

    Wir haben ja schon so einiges erlebt mit und in dieser Sanität. Von Saurer über Theiner, Stocker und Widmann als Landesräte und Fabi, Schäl und jetzt Zerzer. Aber so einen dilettantischen Haufen hatten wir noch nie.

  • zeit

    Solche traurige Nachrichten gibt es Gottseidank nicht oft,aber immer öfters.
    ohne jemand zu kritisieren oder neleidigen(ES FEHLT DER PENSIONIERTE PRIMAR AM KH.BOZEN)hm
    Bleibt nur der Familie alles gute zu wünschen.

  • sepp

    bevor nett amol an der spitze der sanität auf geräumt wird ändert sich nix de herrn gehören längst abserviert weil mit worten wir haben alles in griff ists nett getan wir sind dabei ins nächste chaos zu geraten mit den steigenden corona zahlen ich hoff nur das ihnen in maskenskandal was nachgewiesen kann

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