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„Ich bin besorgt“

Philipp Achammer

Schule und Kindergarten sind gestartet – aber was tun mit Maskenverweigerern, Impfgegnern und Coronaleugnern? Schullandesrat Philipp Achammer über die schwindende Solidarität in der Gesellschaft, über Hasskommentare im Netz, den ideologischen Kampf mit den Kindern und seine Erfahrung mit dem Schutz für die Schwächsten.

von Silke Hinterwaldner

Die allermeisten Eltern und Schüler sind vor allem froh darüber, dass die Schule nach sechs Monaten endlich wieder losgehen konnte. Aber Corona hat den Alltag verändert, auch den schulischen. Das bedeutet: Die Klassen dürfen sich nicht mehr treffen, Schüler müssen beim Eintritt und immer dann, wenn sie sich näher kommen wollen, einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Viele Schul- und Spielmaterialien müssen ständig desinfiziert werden, das gilt auch für die Hände.

Der Großteil der Schüler, Lehrer und Eltern wird versuchen, sich an die Vorsichtsmaßnahmen und Vorschriften zu halten. Aber es gibt auch jene, die grundsätzlich an der Existenz von Corona zweifeln, die das Tragen der Maske ablehnen, für sich selbst und auch für ihre Kinder. Wahrscheinlich gibt es an fast jeder Schule in Südtirol mehr oder weniger überzeugte Coronaleugner und Maskenverweigerer. Aber wie sollen die Lehrer reagieren? Was tun mit Schülern, die keinen Mund-Nasen-Schutz tragen? Der schwierige Start in dieses Schuljahr wirft ganz neue Fragen auf. Schullandesrat Philipp Achammer sucht nach Antworten.

TAGESZEITUNG: Herr Landesrat, es gibt Eltern, die das Tragen von Masken ablehnen und ihre Kinder deshalb ohne Mund-Nasen-Schutz in die Schule schicken. Wie sollen die Lehrer in dieser Situation reagieren?

Philipp Achammer: Man sollte versuchen auf die geltenden Regeln hinzuweisen und so gut es geht, diese Frage einvernehmlich klären. Grundsätzlich glaube ich: Die Kinder kennen dieses Problem weniger als manche Eltern. Ich kann nur den Kopf schütteln, weil ich diese Haltung nicht akzeptieren kann.

Eingefleischte Maskenverweigerer werden sich kaum durch ein einfaches Gespräch überzeugen lassen…

So sehr man mit den Regeln hadern kann, man muss sich trotzdem daran halten. Gerade in den ersten Tagen werden wir nach einer Lösung suchen. Aber es kann nicht akzeptiert werden, dass manche Schüler ohne Mund-Nasen-Schutz in die Klasse kommen. Deshalb meine Bitte: In den Gängen der Schule oder in Gemeinschaftsräumen die Maske zu tragen, ist kein Opfer. Das ist vertretbar. Diese Regeln sollen eingehalten werden. Wenn jemand behauptet, dass dadurch seine persönliche Freiheit beschnitten werde, dann ist das einfach falsch. Es gibt neben der Eigenverantwortung auch kollektive Verantwortung.

Die Maske schützt nicht vor allem den Träger, sondern soll verhindern, dass andere, vielleicht gesundheitlich schwächere Leute, sich nicht anstecken. Vermissen Sie diese Solidarität den Schwächeren gegenüber?

Ich vermisse dies vor allem in der Gruppe der Maskenverweigerer und Impfgegner. Hier wird immer damit argumentiert, dass sich die Politik nicht einmischen solle. Wir hatten gehofft, dass die Gesellschaft in der Coronakrise eng zusammensteht, aber in einigen Bereichen ist das Gegenteil passiert. Es ist Ausdruck einer Ego-Gesellschaft, wenn man nur auf sich selbst schaut. Das kann nicht funktionieren. Es geht aber auch um die Akzeptanz rechtsstaatlicher Prinzipien, wo man sich an gewisse Regeln halten muss. Ich kann Dinge kritisieren, aber muss in einem Rechtsstaat trotzdem bereit sein, diese Regeln einzuhalten. Man kann vor Gericht einklagen, was man für falsch hält. Aber bis zur Klärung gelten die Regeln.

Ganz besonders die Kleineren werden von ihren Eltern im Kampf gegen die Maskenpflicht instrumentalisiert. Sie können nicht allein entscheiden und fühlen sich zwischen Freunden, Lehrern und Eltern wahrscheinlich hin- und hergerissen…

Ich ersuche wirklich darum, keinen ideologischen Kampf der Eltern über die Kinder auszutragen. Das ist mehr als ungut. Man wirft mir auch in der Impfdebatte oft vor, ich würde diese Frage auf dem Rücken der Kinder austragen. Vermeiden wir es, den Kindern, die beim Schulbeginn gezeigt haben, dass sie kaum Schwierigkeiten mit den Regeln haben, das Leben schwer zu machen. Der ideologische Kampf hat in der Schule nichts verloren.

An vielen Schulen kommen jetzt jeden Tag Schüler ohne Maske, deshalb noch einmal die Frage: Was soll der Lehrer machen? Die Kinder nach Hause schicken?

Wenn man nicht bereit ist, sich an die geltenden Regeln zu halten, besteht die Möglichkeit zum Elternunterricht. Ich bin absolut nicht bereit zu akzeptieren, dass ein größerer Aufwand etwa mit Fernunterricht für diese Schüler betrieben werden muss. Damit würde man die Verweigerer auch noch belohnen. Wenn Eltern diese Schule nicht wollen, dann sollen und können sie ihre Kinder selbst unterrichten, so ist es seit jeher in der Verfassung vorgesehen.

Aber zum Elternunterricht kann man niemanden zwingen…

Diese Frage stellt sich spätestens in einer Woche nicht nur bei uns, sondern in ganz Italien. Das muss geklärt werden. In diesen Tagen sind die Schulen sehr bestrebt darin, Überzeugungsarbeit zu leisten.

Die Diskussion rund um die Coronakrise und die Maskenpflicht treibt nicht selten einen Keil zwischen Freundschaften und Familien. Bemerken Sie eine Radikalisierung der Debatte?

Absolut. Vor allem jene Gruppe, die sich dauernd beschwert nicht gehört zu werden, zeigt meist kein Interesse an einem echten Gespräch. Bei einem Teil der Maskenverweigerer und Impfgegner ist eine Radikalisierung im Gange, wobei mit Argumenten zurückgeschlagen und gekämpft wird, die nicht mehr vertretbar sind. Ich habe zu Hause Briefe und Drohungen erhalten, die untergriffig sind. Das ist nicht akzeptabel.

Auf beinahe jeden Ihrer Kommentare auf Facebook folgt ein offensichtlich organisierter Shitstorm. Wie reagiert man darauf am besten?

Wenn man die Öffentlichkeit selbst sucht, dann muss man auch mit den weniger guten Kommentaren zurecht kommen. Ich habe gerade zu Beginn der Coronakrise auch viel Zuspruch bekommen.

In einem Post haben Sie erklärt, dass sie selbst erfahren haben, wie wichtig es ist, immungeschwächte Kinder zu schützen…

Manche behaupten dann, es sei nicht zulässig aufgrund von eigenen Erfahrungen auf die Allgemeinheit zu schließen. Aber wofür wählt man dann einen Politiker? Ich habe miterlebt und gesehen, wie viele Kinder es gibt, die den Schutz der Gesellschaft brauchen. Diese Kinder brauchen die anderen, sie können sich nicht selbst schützen. Spätestens in diesen Fällen geht das Konzept der Eigenverantwortung nicht mehr auf. Wir müssen auch den Schwächsten in der Gesellschaft zur Seite stehen.

Schwindet die Solidarität gegenüber anderen in der Gesellschaft? Machen Sie sich diesbezüglich Sorgen?

Ich bin durchaus besorgt und habe mich letzthin manchmal gefragt, ob dies nur die Spitze des Eisberges ist. Ich möchte aber nicht, dass diese Diskussion zur Bewährungsprobe für Schule und Kindergarten wird. Dort wollen wir Werte wie Respekt, Ausgleich und Verständigung leben. Ich habe viel Dankbarkeit dafür erfahren, dass die Schule nach sechs Monaten wieder starten kann. Es gab aber auch Situationen, bei denen Schulführungskräfte und Lehrpersonen beschimpft wurden. Das darf nicht passieren. Und ich frage mich, ob wir selbst dazu beigetragen haben, völlige Beliebigkeit zuzulassen. Deshalb sage ich auch: Das eigene Tun muss Konsequenzen haben, ansonsten erwachsen daraus Probleme.

Stichwort Kindergarten und Ausschlüsse: War es im Rückblick ein Fehler, gerade in diesem schwierigen Coronajahr auch noch die Ausschlüsse von nicht ausreichend geimpften Kindern durchzusetzen?

Südtirol hat oft schon verschoben. Ich kann mich gut an die Pressekonferenz vor einem Jahr erinnern, wo wir hier in Südtirol noch einmal Zeit für Vormerkungen und Gespräche zugestanden haben. Viele haben jetzt wohl noch einmal damit spekuliert, dass es einen Aufschub gibt. Ich habe Verständnis für individuelle Situationen und schlechte Erfahrungen. Wenn das Gespräch aber ausartet, habe ich kein Verständnis mehr. Es ist nicht gut, dass mehrere schwierige Themen in diesem Jahr zusammengekommen sind, aber dieses Kapitel muss abgeschlossen werden. Ich war immer ein deklarierter Impfbefürworter. Natürlich kann man bezweifeln, ob Ausschlüsse allein der richtige Weg sind. Aber Gesetz ist Gesetz. Auch hier gilt der Schutz für die Schwächeren, den manche nicht ausreichend ernst nehmen.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (30)

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  • andreas

    Wann verschwindet der endlich?
    Mit Leuten wie Achammer ist die SVP nicht wählbar und wenn er geht, soll er noch diesen Durnwalder mitnehmen.

  • vinsch

    Herr Achammer, Sie sollten in den Dialog treten, aber dieses Wort ist Ihnen fremd. Sie gehorchen den Befehlen von Rom. Maske auf, Maske runter, Maske nur beim Eintreten …. Jeden Tag gibt es neue Befehle. Wir hatten einmal eine Autonomie, die haben Sie verschenkt, daher sind Sie als Obmann nicht mehr tragbar. Es kann nicht sein, dass jahrelang für die Autonomie gekämpft wurde und wir jetzt mitansehen müssen, dass es diese de facto nicht mehr gibt.

  • sepp

    der landehauptmann lässt grüssen mit der maske und dann den leute gesetze mach genau sie herr lachhammer sie und der LB haben am meisten versagt in der krise mal über rücktritt nach denken wäre besser sie haben überhaupt nix in griff ihre partei nicht und sonst auch nix

  • george

    Ihr hier mit eurer nicht zielführenden Diskussion liegt mindestens soviel daneben wie jene, die die Regeln erstellen; denn eure Argumentation ist nicht aufbauend, konstruktiv, sondern destruktiv zersetzend und damit die Gesellschaft spaltend, aufwiegelnd und einer gegen den anderen, anstatt überlegend, was man miteinander tun könnte um zu einer tragbaren Lösung und einem gesunden Leben zu führen.
    Wer immer gegen die Natur des Lebens geht, wird irgendwann einmal von dieser radikal unterworfen. Und genau das führen mehrere Kommentatoren hier x-mal vor und wiegeln dazu auf, gegen die natürlichen Verhaltenmaßnahmen zu gehen. Und weißt man sie darauf hin, dann werden sie frech, anstößig, aggressiv, beleidigend und verletzend.

  • artimar

    Auch laut Landesschulsprecher ist der Schulstart insofern geglückt.
    Seien wir also froh, dass hierzulande Kindergarten, Schule wieder stattfindet, während andernorts in Italien, laut Direktoren, der Beginn der didaktischen Tätigkeit an den Schule am 14.09.2020, noch nicht überall gewährleistet ist.
    Der sogenannte Widerstand Einzelner, auch durch verbreitete Realsatiren auf Youtube, die dort die monetarisiert werden, hat mit Schule und der Wirklichkeit dort zum Glück nichts zu tun.
    Es hat auch mit Ideologie bzw. mit Frust Einzelner gegenüber der Landespolitik, insbesondere dem LR Achammer gegenüber zu tun, die noch Ende August bei Eltern … in Bezug auf den Mund-Nasen-Schutz anscheinend Falsches vermittelt hat, obschon dem LR Achammer auch damals schon völlig klar sein musste, dass die Provinz Bozen diesbezüglich heteronome und keine autonome Zuständigkeiten besitzt.
    Eine glückliche Hand scheint der LR Achammer wirklich nicht zu haben, besonders bei seinen Veröffentlichungen von sogenannten Aufklärungsbroschüren (Stichwort: „Islam-Broschüre“) Nun ist es eine Corona-Broschüre für die Grundschule: https://neustart.provinz.bz.it/downloads/APS_Schule_Corona_Comicheft_DE_Ansicht.pdf , die für Aufregung und Empörung sorgt und pädagogisch allemal ein Griff ins Klo ist.
    So kommt jedenfalls keine Ruhe in die Schule, die sie jetzt nötig hätte.

  • huggy

    Ich bin auch besorgt und zwar weil solche Leute wie L Achammer in unserem Land etwas zu sagen haben.

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