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„Regionalität ist im Trend“

Wird Corona unser Konsumverhalten verändern? Christian Fischer, Professor für Agrar- und Ernährungswirtschaft, über die Folgen der Covid-Krise auf unseren Konsum und die Gelegenheit zur Veränderung.

Tageszeitung: Herr Fischer, in der Krise haben viele Leute entdeckt, dass man für ein gutes Leben viel weniger braucht, als man bisher dachte. Welche Werte werden künftig unseren Konsum bestimmen?

Christian Fischer (Professor für Agrar- und Ernährungswirtschaft an der Uni Bozen): Langfristig mehr oder weniger die gleichen wie bisher. Corona ist ein Unfall für die Menschheit, so wie frühere Pandemien (Russische Grippe 1889, Spanische Grippe 1918, Asiatische Grippe 1957, Hongkong Grippe 1968, etc.). Wenn Sie sich beim Sport den Fuß verstauchen, hinterfragen Sie den Gesundheitswert der Bewegung auch nicht gleich. Natürlich kann es sein, dass ein Sportunfall so gravierend ist, dass Sie sich zeitlebens nicht mehr davon erholen. Dann ziehen Sie andere Schlüsse. Aber frühere Pandemien waren bisher gesundheitlich weit schwerwiegender als Covid-19 und dennoch haben sich die Menschheit und ihre Werte danach nicht grundlegend geändert. Unser übliches Konsumverhalten ist sehr viel stärker vom Alltag als von außergewöhnlichen Ereignissen geprägt.

Also werden die Leute nach Corona nicht unbedingt sparsamer und bewusster leben?

Derzeit herrscht verbreitet Unsicherheit, bei vielen Menschen sind Arbeitsplätze und Einkommen bedroht. Da ist es normal und sinnvoll, sich sparsam zu verhalten. Und in Zeiten von erhöhten gesundheitlichen Risiken einschließlich einem möglichen Todesfall wird man sich auch stärker der Endlichkeit seiner Existenz bewusst und tut eher Dinge, die man sich sonst vielleicht für eine spätere Lebensphase vorgenommen hat. Das alles wird sich aber wieder normalisieren, wenn die allgemeine Verunsicherung vergeht.

Viele befürchten langfristige Folgen der Krise wie Arbeitslosigkeit, Lohneinbußen usw. Will man vielleicht auch deswegen stärker die heimische Wirtschaft unterstützen?

Ja natürlich. Arbeitsplätze und Einkommen werden im Mittelpunkt stehen, sobald die Gesundheitsrisiken unter Kontrolle sind. Und wenn es uns dann wieder besser geht, denken wir wieder an Umwelt und Klima.

Man sieht, dass vor allem bei Lebensmitteln die Regionalität deutlich an Bedeutung gewonnen hat.

Regionalität ist im Trend. Aber wir sollten aufpassen, dass sie nicht zur Religion wird. Nicht überall sind ausreichend regionale Lebensmittel verfügbar, um Verbraucher ganzjährig und vielfältig damit zu versorgen. Und Vielfalt ist zentral für eine gesunde Ernährung. Auch sind regionale Produkte nicht in jedem Fall besser für Klima oder Umwelt. Das zeigen solide wissenschaftliche Untersuchungen eindeutig.

Beim Thema Fleisch haben spätestens die Corona-Ausbrüche in einigen Fleischbetrieben für ein Umdenken gesorgt…

Die skandalösen Arbeits- und Lebensbedingungen in der Fleischbranche gab es schon sehr lange vor Corona und sind Realität in vielen Ländern. Wenn die Pandemie hier nun hilft, diese Bedingungen für die dort tätigen Menschen langfristig und substanziell zu verbessern, dann hat das Virus tatsächlich auch etwas Positives mit sich gebracht.

Hat die Corona-Krise auch negative Auswirkungen auf unser Konsumverhalten?

Sie hat eigentlich hauptsächlich negative. Viele Arbeitsplätze und Einkommen hängen an der Konsumwirtschaft, auch in Südtirol. Stellen Sie sich vor, im Ausland oder im restlichen Italien kauft niemand mehr Südtiroler Äpfel, Wein, Speck oder Milchprodukte, weil sie dort nicht „regional“ sind. Und wenn viele Verbraucher nun weniger Geld haben, werden Sie auch an der Gesundheit sparen. Krisen bringen erstmal nichts Gutes außer die Gelegenheit zur Veränderung.

Herr Fischer, wird die Corona-Krise unser Konsumverhalten langfristig verändern? Oder wird diese Erfahrung von kurzer Dauer sein?

Das letztere.

Interview: Lisi Lang

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (6)

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  • andreas

    Wie er sagt, kauft jeder regional, können wir die ca. 12,6 Millionen Tonnen Äpfel und den Speck von ca. 3,5 Millionen Schweinen selber essen.

    Auch ist regional nicht wirklich ein Zeichen von Qualität und es ist mir immer noch ein Rätsel, wie jemand mit 5 Hennen wöchentlich 100 Eier auf dem Bauernmarkt verkaufen kann.

    Sind z.B. Südtiroler Kastanien oder Honig fertig, da die Menge nicht ausreichend war, gibt es sie trotzdem auf wundersame Weise immer noch zu kaufen, merken ja eh die wenigsten.

    Sind nicht alle so, aber es gibt genügend schwarze Schafe, welche so handeln.

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