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„Herdenschutz funktioniert“

Foto: Monteanu

Der bekannte Wolfsexperte Kurt Kotrschal ist überzeugt: „Mit der Flinte lösen wir das Problem nicht.“

von Eva Maria Gapp

Nach Wolfsrissen in Villnöss wird der Ruf nach Abschüssen wieder lauter. Der Wolf stelle nicht nur eine Gefahr für Nutztiere dar, sondern auch zunehmend für den Menschen – so der Vorwurf der Bauern. Der Abschuss sei die einzige Lösung.

Der Verhaltensforscher und Wolfsexperte Kurt Kotrschal hält die Aufregung für übertrieben. Er sagt gleich vorweg: „Wölfe sind durchaus gefährlich für Nutztiere, aber keineswegs für Menschen. Es laufen in der Zwischenzeit 20.000 Wölfe in Europa rum und es gab in den letzten Jahren keinen einzigen kritischen Vorfall mit einem Menschen.“ Außerdem sei der wirtschaftliche Schaden durch Wölfe verschwindend gering. „Es sterben im Jahr deutlich mehr Nutztiere durch Abstürze oder wegen Krankheiten oder Verletzungen als durch Wölfe“, gibt Kotrschal zu bedenken.

Tageszeitung: Herr Kotrschal, die Bauern sind verärgert und fordern, dass Wölfe abgeschossen werden. Jetzt ist meine Frage an Sie: Würde denn ein Abschuss das Problem lösen?

Kurt Kotrschal: Nein, überhaupt nicht. Das mag zunächst befriedigend klingen, weil man glaubt, den bösen Täter dadurch erledigen zu können. Doch mit der Flinte werden wird das Problem nicht lösen. Denn Fakt ist: Südtirol, aber auch Österreich ist umgeben von relativ großen Wolfspopulationen am Balkan, in Italien, in Frankreich etc. Das heißt, selbst wenn wir auf Wölfe schießen würden, würde jederzeit der nächste Wolf auftauchen und ungeschützte Schafe töten. Es sind dabei vor allem die Jungwölfe, die durchwandern und mit der Zeit immer mehr werden. Also Tiere, die ein bis drei Jahre alt sind, teils weite Distanzen überwinden, um sich auf die Suche nach Partnern zu begeben. Sie sind übrigens diejenigen, die die Schäden an ungeschützten Weidetieren verursachen. Sie halten sich an leichte Beute. Das heißt, wer jetzt glaubt, den Schutzstatus des Wolfes runterzusetzen und die Wölfe zu schießen, um das Problem zu lösen, ist auf dem falschen Weg. Auch einzelne Wölfe zu entnehmen hat keinen Sinn. Schon jetzt wird illegal auf einzelne Wölfe geschossen und das bringt gar nichts. Den Bauern vorzugaukeln, dass der Abschuss die Lösung wäre, ist Augenauswischerei. Außerdem haben Untersuchungen in anderen Ländern gezeigt, dass eine Wolfsbejagung die Verluste von Nutztieren sogar eher noch verstärkt.

Erklären Sie uns das bitte.

Eine US-Studie zum Beispiel, die von 1987 bis 2012 in Idaho Daten zu Wolfsbejagung und zu den Verlusten an Weidetieren analysiert hat, kam zum Ergebnis, dass je stärker die Wölfe bejagt wurden, desto mehr Schafe und Rinder verloren die Farmer im Jahr darauf. Außer man schoss jährlich mehr als 25 Prozent der Wölfe in der Gegend, was aber auf die Dauer nicht zu bewerkstelligen wäre. Die Bejagung störte offenbar ihre Sozialstruktur und ihr „natürliches“ Jagdverhalten. Und in Frankreich sieht man derzeit auch, dass ein Abschießen von Wölfen wenig Sinn macht. Dort gibt es zurzeit rund 600 Wölfe, etwa 60 wurden erlegt. Trotzdem haben sie enorme Verluste von Weidetieren. Die einzig rationale Strategie ist daher der Herdenschutz. Nur so kann man Weidetiere fachgerecht schützen. Wer sich dagegen wehrt, wird nicht zur Ruhe kommen.

Viele Bauern sagen aber, dass die meisten Herdenschutzmaßnahmen, wie zum Beispiel Elektrozäune auf den Almen nicht immer möglich sind. Und nicht immer würde der Herdenschutzzaun den Wolf auch abhalten…

Das wird immer wieder gesagt. Die Bauern behaupten, Herdenschutz würde ohnehin nicht funktionieren. Das ist aber falsch. Es gibt viele positive Beispiele und entsprechendes Know-how in der Schweiz, in Deutschland und in vielen anderen Ländern. Man wird sich also darauf einstellen müssen, dass man je nach Gelände die geeigneten Maßnahmen zur Wolfsabwehr und anderen Beutetieren (Bär, Goldschakal) ergreift. Auf den Almen wird der Elektrozaun nicht gerade die beste Lösung sein, da wird man nicht drum herum kommen, große Herden zu bilden und auf die Behirtung mit Hunden zu setzen. Es muss einfach diese alte Kulturtechnik, die leider vergessen wurde, wieder eingeführt und erlernt werden, um Weidetiere nachhaltig vor Wölfen zu schützen. Niemand sagt, dass dies einfach sein wird. Das ist eine Riesenarbeit. Für diesen Aufwand gibt es aber auf EU-Ebene gut befüllte Fördertöpfe. Doch in Österreich und in Südtirol wehren sich die lokalen Politiker und Bauernbundvertreter diese Mittel auch abzuholen. Das ist schlimm. Denn dadurch lassen sie „ihre“ Bauern schlicht im Regen stehen.

Und was das Nicht-Abhalten von Wölfen durch Elektrozäune anbelangt, kann ich nur sagen, dass man sich das ganz genau ansehen muss. Gewöhnlich werden da Fehler gemacht oder es wird schlampig gearbeitet. Wölfe sind relativ hartnäckig im Suchen von Durchgangspassagen.

Sie haben am Anfang gesagt, dass durchreisende Einzeltiere die sogenannten Übeltäter sind. Heißt das dann, dass gar nicht die Rudel das Problem sind?

Genau. Rudel können sich sogar positiv auswirken. Denn Rudel können einerseits durch fachgerechten Herdenschutz lernen, Weidetiere in Ruhe zu lassen, also Wildtiere, nicht aber Schafe zu erbeuten. Andererseits geben sie dann diese soziale Tradition an ihre Nachkommen weiter. Zudem hält ein Rudel Neuzuwanderer fern, die für die Schäden verantwortlich sind und verhindert so einen Anstieg der Wolfsdichte. Es wäre also ein Fehler, Rudelbildung verhindern zu wollen. Man kann also sagen: Wenn man Rudelbildung zulässt und ordentlichen Herdenschutz betreibt, hat man mit der Zeit weniger Probleme.

Abschließend möchte ich noch zu bedenken geben: Der Wolf ist nicht als „Problemwolf“ gekommen, er wurde erst durch fehlenden Herdenschutz dazu gemacht. Denn wenn ein durchziehender Wolf auf ungeschützte Nutztiere trifft, lernt er, dass sie einfache Beute sind.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (82)

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  • rumer

    Schon wieder ein Möchtegernexperte:
    Herdenschutzhunde in der Schweiz funktioniert nicht, da diese die Wanderer konsequent angreifen. In einem Tourismusland wie Südtirol also nicht möglich. Es haben sich schon Bürgerinitiativen gegründet, die die Herdenschutzhunde verbieten wollen.
    Abschiessen der Wölfe funktioniert sehr gut, man muss es nur konsequent und vollumfänglich durchführen. Wolfssteak kann sich zum Südtiroler New Age Food entwickeln.

  • andreas

    Immer wieder amüsant wie sog. Experten bzw. Vertreter der dekadenten Gesellschaft, anderen erklären wollen, wie sie ihre Arbeit zu machen haben.
    Wer sich dem Hobby Wolf widmen möchte, kann sich ja ein Waldstück kaufen und dieses einzäunen.
    Es gibt keinen vernünftigen und nachvollziehbaren Grund, warum Wölfe in dicht besiedelten Gebieten wieder heimisch werden sollten, es sind Raubtiere.

    • sigmundkripp

      Gottseidank mischen sich andere aus der dekadenten Gesellschaft in die Arbeit der Bauern ein! Z.B. beim Überrollbügel, der immer noch nicht auf jedem Traktor montiert ist! Und dann lesen wir etwa monatlich von einem Bauern, der vom sich überschlagenden Traktor erdrückt wird. Nein, der Bauer weiss eben NICHT immer, wie er seine Arbeit zu machen hat! Und so ist es beim Wolf auch: die allwissende Standesvertretung SBB sagt: der Wolf muss weg! Und setzt damit die Bauern in einen Nichtdenkmodus, bei dem vor allem die Schafe leiden!

  • heinz

    Sehr gutes Interview. Mal sehn, wie lange es dauert, bis der Bauernbund kapiert, dass Herdenschutz der einzige Ausweg ist.

  • sougeatsnet

    Kotrschal möchte die Südtiroler belehren wie sie die Almen beweiden sollen. Wenn man genau ließt, sagt er ja selbst, Elektrozäune sind ncht machbar, sondern Großherden mit Hunden, wären besser. Aber gerade das ist bei unserer Kleinstrukturiertheit überhaupt nicht möglich. Daraus folgt, dass eine sichere Beweidung mit Schafen so nicht möglich ist. Auch die Aussage, dass das Abschießen nicht möglich ist, ist ebenfalls Unfug, denn wir haben dies schon vor langer Zeit geschafft. Dass Wölfe vor Jahunderten eine wichtige Rollte spielten zeugen die vielen Ortsnamen mit Wolf (Wolfbühel, Wolfgrube, …).
    Wenn unser Staat es nicht schafft einen gesetzlichen Rahmen zum Abschuss dieser Raubtiere zu schaffen gibt es nur einen Ausweh, übrigens von Schweizern vorgeschlagen: SSS.

  • tirolersepp

    Herr Wolfsexperte Kurt Kotrschal, bitte melden Sie sich bei einer X-beliebigen Alm in Südtirol an und machen Sie den Praxistest, nicht Theorie, Praxis ist gefragt !

  • heinz

    Genau so ist es, @sara.
    Niemand braucht so viele „Nutz“-Tiere. Und Wölfe sind gut für den Ausgleich im Ökosystem. Und ja, Koexistenz von Raubtieren und Herdentieren ist möglich, insofern auch wirklich konsequent Herdenschutz betrieben wird. Wie in der Schweiz eben. Dort funktioniert es super. Und das abenteuerliche Argument, einfach im Vorbeigehn die Tierart Wolf auszurotten, könnte man ja auf Afrika übertragen und dort auch alle Löwen, Elefanten und Gorillas ausrotten. Sind ja soooooo schädlich für die armen Viehzüchter.
    Welch kranke Welt!

  • heinz

    Und noch was, der Mann ist Biologe und Verhaltensforscher und hat sein ganzes Leben der Erforschung von Wölfen gewidmet. Aber dem glaubt man nicht! Bauern sind ja so richtig wissenschaftsresistent. Kleine Trumps Südtirols eben. Geglaubt wird nur den ebnerschen Schauermärchen im Bauernblatt.

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