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„Er musste alles mitansehen“

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Anna war jahrelang mit einem Spielsüchtigen verheiratet. Nun erzählt sie, wie sie und ihr Kind durch die Hölle gegangen sind.

von Eva Maria Gapp

Seit kurzer Zeit haben die Spielhallen in Südtirol wieder geöffnet. Doch wenn es nach Anna geht, hätten sie erst gar nicht aufsperren brauchen. „Am liebsten wäre mir gewesen, dass sie für immer geschlossen bleiben. Die Spielsucht hat unsere Familie zerstört. Ich bin daran fast zugrunde gegangen.“

Anna war jahrelang mit einem Spielsüchtigen verheiratet, hat in dieser Zeit viel durchgemacht. „Ich bin durch die Hölle gegangen.“ Vor einem halben Jahr hat sie sich von ihm getrennt.

Anna heißt eigentlich anders. Sie möchte anonym bleiben – zu groß ist die Angst vor sozialer Ausgrenzung.

 

Tageszeitung: Anna, Sie waren rund 30 Jahre lang mit einem Spielsüchtigen verheiratet, haben sich nun aber vor von ihm getrennt. Wie geht es Ihnen jetzt?

Anna: Es geht mir gut. Ich bin froh, dass ich diesen Schritt gewagt habe. Endlich fühle ich mich frei. Endlich kann ich wieder lachen. Die letzten Jahre waren ja besonders hart für mich und meinen Sohn. Es ist uns wirklich schlecht gegangen. Dass die Spielhallen jetzt wieder offen sind, macht mich traurig. Ich hoffe nur, dass viele erst gar nicht mehr reingehen, dass sie durch den Lockdown verstanden haben, worauf es wirklich ankommt. Und wissen Sie was? Ich möchte jetzt den Spielern die Augen öffnen. Ich möchte ihnen zeigen, was sie eigentlich den Familien antun, was es heißt, ständig Angst haben zu müssen. Wenn man mit einem Spielsüchtigen zusammen ist, gibt es nur mehr Verzweiflung, Trauer und Lügen.

Ist Ihr Ex-Mann nach wie vor spielsüchtig?

Ja.

Wann haben Sie das erste Mal gemerkt, dass er ein Problem mit dem Spielen hat?

Ich habe wirklich lange nichts bemerkt. Mir ist dann irgendwann schon aufgefallen, dass die Mieten nicht mehr gezahlt werden, aber zunächst habe ich mir nichts dabei gedacht. Als dann aber der Vermieter vor der Haustür stand und gesagt hat, dass ihm drei Monatsmieten fehlen, hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich dachte mir nur: Wo ist das Geld? Warum hat mein Mann die Miete nicht mehr gezahlt? Als ich ihn dann zur Rede gestellt habe, hat er nur gesagt, dass es sich um einen Fehler handeln muss…

Haben Sie das geglaubt?

Es kam mir schon komisch vor, aber ja, ich habe ihm geglaubt. Er hat ja auch so viel gearbeitet, er hatte zwei Jobs und ich dachte mir, dass das passieren kann. Wir haben uns sehr selten gesehen. Im Nachhinein war das sicherlich ein Fehler.

Irgendwann haben Sie ihm dann aber nicht mehr geglaubt…

Genau. Es hat immer wieder Geld gefehlt, aber mein Mann konnte mir nie erklären, warum. Ich habe ihn immer wieder zur Rede gestellt, aber er hat dann total abgeblockt. Er hat mit mir auch nie über Probleme geredet. So habe ich beschlossen, ihn eines Tages nach der Arbeit zu folgen. Da habe ich dann gesehen, dass er spielen geht. Er hat sich in einer Bar an eine Slotmaschine gesetzt. Am liebsten wäre ich hineingegangen und hätte ihn angeschrien, aber ich konnte es nicht. Ich war wie versteinert. Später bin ich dann draufgekommen, dass er das schon Jahre gemacht hat. Er hat nicht nur Slotmaschinen gespielt, sondern auch Rubbellose. Er ist sogar mit Kollegen nach Österreich gefahren, um ins Casino zu gehen. Das hat er alles hinter meinem Rücken gemacht. Ich habe nie etwas davon mitbekommen.

Wie haben Sie sich in dem Moment gefühlt?

Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich war unglaublich wütend und traurig zugleich. Das ist schon schlimm, wenn man seinen eigenen Mann da sieht, wie er die Hunderter in eine Maschine steckt, während wir zu Hause schauen müssen, über die Runden zu kommen. Unser Sohn bekam so gut wie keine Geschenke zu Weihnachten, wir konnten nie in den Urlaub fahren oder tolle Ausflüge machen, nur weil er alles verspielt hat. Wenn ich nur daran denke, auf wie viel wir verzichten mussten, kommt in mir eine unglaubliche Wut und Trauer hoch. Ich konnte auch nicht mehr schlafen, weil ich so verzweifelt war. Er hat das Geld lieber den Maschinen gegeben, als der Familie. Das ist Wahnsinn. Wie kann man nur so egoistisch sein? Aber wissen Sie was das Schlimmste war?

Nein, was?

Dass ich meinen Sohn mithineingezogen habe. Wenn mein Mann nachts nicht nach Hause gekommen ist, haben wir ihn holen müssen. Ich habe ihn geweckt und gesagt, holen wir den Papa. Er hätte sonst sein ganzes Gehalt verspielt. Das würde ich heute nicht mehr machen. Er musste alles mitansehen, auch wie seine Mutter ständig geweint hat und verzweifelt war. Das sollte ein Kind eigentlich nicht erleben.

Und woher nahm er das Geld?

Alles was er verdient hat, hat er in die Maschinen gesteckt. Dann hat er auch Geld von seinen Freunden geliehen. Viele waren auch Spieler. Irgendwie kam er immer zu Geld. Die Familie habe aber ich durchbringen müssen. Ich war die Hauptverdienerin. Ich habe elf bis zwölf Stunden pro Tag gearbeitet, auch an Feiertagen. Ich habe im Grunde alles gekauft. Er hatte ja nie einen Cent in der Tasche.

Wie hat sich durch die Spielsucht Ihr Familienleben verändert?

Alles hat sich nur noch um die Spielsucht gedreht. Man ist mit ihr aufgestanden und am Abend mit ihr wieder schlafen gegangen. Im Grunde hat man kein wirkliches Leben mehr. Ich habe mich wie in einem finsteren Loch gefühlt. Ich konnte auch mit niemanden darüber reden. Ich habe mich so geschämt. Ich hatte keine Freude mehr, habe sogar darüber nachgedacht, mir etwas anzutun. Ich hatte auch ständig diese Schuldgefühle. Ich habe mir selbst die Schuld dafür gegeben, dass er spielen geht. Ich habe mich ständig gefragt: Warum geht mein Mann spielen?

Haben Sie mittlerweile eine Antwort darauf?

Weil er krank ist und es nicht schafft, mit seinen Problemen anders fertig zu werden. Und er konnte auch nie gut mit Geld umgehen. Er hat immer alles gleich ausgegeben oder Schulden gemacht. Er dachte sich dann wohl, dass er die Schulden mit dem Spielen wieder zurückzahlen kann. Ein paar Mal wird er sicher gewonnen haben, aber heute weiß ich, dass man nur verlieren kann. Man rennt immer nur dem Geld nach, das man reingeworfen hat. Sein einziger Gedanke war die Jagd nach dem Geld für das nächste Spiel. Heute ist mir auch bewusst, dass es nicht meine Schuld war, dass er spielsüchtig wurde. Das möchte ich auch anderen Angehörigen von Spielsüchtigen mitgeben: Bitte gebt euch nicht die Schuld dafür.

Haben Sie auch mal gespielt?

Ja, probiert habe ich es schon. Mir war dann aber das Geld zu schade und habe aufgehört.

Sie haben erzählt, wie schlimm es mit Ihrem Mann war. Warum sind Sie dann überhaupt so lange bei ihm geblieben? Warum haben Sie sich nicht einfach von ihm getrennt?

Wegen meinem Sohn und weil ich ihn irgendwie geliebt habe. Sie müssen wissen, ich war 15 als ich mich in ihn verliebt habe. Er war meine große Liebe. Ich hätte für ihn alles getan. Und er war ja nicht immer so. Er hat mir auch immer wieder versprochen, dass er sich ändert, dass er nicht mehr spielen geht. Er hat mir Hoffnungen gemacht. Ich habe mir auch ständig eingeredet, dass es einen Weg geben muss, ihn zu retten. Und er hat mir auch leidgetan. Weil er eigentlich ein guter Mensch ist, aber er hat sich nicht mehr unter Kontrolle gehabt.

Und was war dann der ausschlaggebende Grund dafür, dass Sie gesagt haben, jetzt trenne ich mich von ihm?

Als mir einfach klar wurde, dass ich ihn wirklich nicht mehr helfen kann und er sich einfach nicht ändern will. Ich habe nämlich wirklich alles versucht: Ich habe ihn nachts abgeholt, habe immer wieder versucht, mit ihm zu reden, bin in die Bank gegangen, um ihn sein Konto zu sperren, war mit ihm in Therapie. Aber es hat nichts geholfen. Er war sich keiner Schuld bewusst. Er dachte, er ist im Recht, ich wäre an allem Schuld. Ich konnte einfach nicht mehr. Außerdem habe ich auch einen neuen Mann kennengelernt und mich neu verliebt. Ich bin dann mit meinem Sohn ausgezogen. Aber dieser Schritt war nicht leicht nach 30 Jahren. Ich habe mich trotzdem zu ihm hingezogen gefühlt, trotz allem was ich durchgemacht habe.

Wie hat Ihr Ex-Mann auf die Trennung reagiert?

Es war sicherlich nicht leicht für ihn. Er hat aber nicht um mich gekämpft, er hat geglaubt, dass ich wieder zu ihm zurückkomme. Das komme ich aber nicht.

Hat er mittlerweile eingesehen, dass er ein Problem hat?

Nein, er will es nicht verstehen. Ich hätte mir einfach nur gewünscht, dass er sich bei mir entschuldigt, dass es ihm Leid tut, dass es mir so schlecht gegangen ist. Ich bin fast zugrunde gegangen.

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