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„Kein Wundermittel“

Die EU-Kommission hat das Medikament Remdesivir zur Behandlung von Covid-19-Patienten zugelassen. Doch wie hilfreich ist es wirklich?

Tageszeitung: Herr Dr. Bock, der Wirkstoff Remdesivir ist nun in Europa als erstes Mittel zur Therapie von Covid-19 zugelassen. Die EU-Kommission hat die Zulassung für den europäischen Markt erteilt. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?

Matthias Bock: Ich denke, dass Remdesivir ein erfolgversprechendes Medikament ist. Dementsprechend befürworte ich die Zulassung in der EU. Eine große Studie mit mehr als 1.000 Teilnehmern hat Ende April gezeigt, dass Remdesivir bei Corona-Patienten, die Sauerstoff benötigen, die Zeit bis zu einer Genesung im Schnitt um vier Tage verkürzen kann – von 15 auf 11 Tage. Als Genesung wurde definiert, dass der Patient entlassen werden konnte oder kein Sauerstoff mehr benötigt. Die Studie hat aber jedoch noch nicht gezeigt, dass die Sterblichkeit geringer ist.

Remdesivir kann also die Krankheitsphase verkürzen, aber nicht die Sterblichkeit verringern…

Richtig. Remdesivir kann einen schweren Verlauf abmildern und die Genesungsdauer verkürzen. Die Studie hat auch gezeigt, dass das Medikament insgesamt gut verträglich ist. Es gibt aber keinen publizierten Beleg, dass die Sterblichkeit sinkt.

Es gibt aber auch Kritik an der Zulassung. So sagt etwa Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, dass die schnelle Zulassung eher ein Problem sei als ein Schritt in die richtige Richtung. Es würden definitiv valide und zuverlässige Langzeitergebnisse für Covid-19-Patienten fehlen und der Öffentlichkeit werde ein vorschnelles Gefühl vermittelt, wir hätten ein erfolgreiches Medikament gefunden…

Ja, das stimmt, es fehlen Langzeitergebnisse und es darf auch nicht der Eindruck entstehen, dass es sich bei Remdesvir um ein Wundermittel handelt, das uns vor der Covid-19-Erkrankung rettet. Da braucht es das Zusammenspiel vieler verschiedener Medikamente und Disziplinen in der Medizin. Mit Remdesivir alleine können wir Covid-19 nicht bekämpfen. Weiterhin bleiben Präventionsmaßnahmen extrem wichtig. Da müssen wir alle uns einbringen.

Aber es muss auch gesagt werden, dass diese große Studie, die jetzt zur Zulassung von Remdesivir geführt hat, gut gemacht wurde und positive Ergebnisse gezeigt hat. Es war nicht das primäre Ziel der Studie, dass die Sterblichkeit sinkt. Wenn die Daten so vielversprechend sind, kann man dieses Medikament den Patienten nicht vorenthalten.

Und wer soll mit Remdesivir behandelt werden?

Remdesivir sollte bei Patienten eingesetzt werden, die im Krankenhaus aufgenommen werden müssen, weil sie Atemprobleme haben und deswegen zusätzlichen Sauerstoff benötigen. Damit meine ich jene Menschen, die noch nicht künstlich beatmet werden müssen, sich also im Anfangsstadium der Krankheit befinden. Bei beatmeten Patienten sind die Daten noch nicht so klar. Es hat sich gezeigt, dass die Patienten vor allem in der frühen Phase der Krankheit von Remdesivir profitieren. Es hat wahrscheinlich wenig Sinn, Remdesivir dann einzusetzen, wenn die Erkrankung schon weiter fortgeschritten ist.

Was ändert sich jetzt dadurch, dass Remdesivir in der EU zugelassen wurde?

Man kann es nun einfacher den Patienten geben. Vorher hätte man einen individuellen Heilversuch machen müssen. Das heißt, man musste es beantragen und für jeden Patienten eine Begründung schreiben, warum man das jetzt einsetzt. Das ist natürlich sehr aufwändig, wenn man viele Patienten mit dem Medikament behandeln muss. Das fällt jetzt weg.

Wird Remdesivir dann auch hierzulande bei Covid-19-Patienten eingesetzt?

Ja, wenn es verfügbar ist, sicherlich. Es wurde auch schon vor der Zulassung in Südtirol angewandt.

Ende April haben Sie gesagt, dass auf der Meraner Corona-Intensivstation bereits Patienten mit Remdesivir behandelt wurden. Sie haben aber keine Erfolge gesehen…

Ja, wir haben einen Patienten damit behandelt. Bei uns ist es aber so, dass die Patienten die Krankheit schon für eine gewisse Zeit haben und schon vorbehandelt wurden. Das andere Problem ist, dass man am Anfang der Pandemie Angst hatte, Remdesivir bei Patienten mit schweren Kreislaufproblemen einzusetzen. Nun hat man verstanden, dass hier doch nicht die Gefahr so groß ist. Sollten aber Patienten wieder auf die Intensivstation kommen, werden wir Remdesivir einsetzen.

Wird Remdesivir überhaupt in ausreichendem Maße verfügbar sein?

Das wird das große Problem sein. Denn die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich bereits einen Großteil der Produktion gesichert. Die Frage ist also, ob sich die EU wehren kann und ob es nicht möglich ist, das Medikament auch in anderen Ländern in Europa zu produzieren, damit es uns auch zur Verfügung steht. Denn derzeit wird das Medikament von einer Pharmafirma in den USA hergestellt.

Ein weiteres Problem ist, dass Remdesivir sehr teuer sein soll. In den USA soll eine Ampulle zwischen 390 und 520 US-Dollar kosten. Das entspricht einer Gesamtsumme von 2.340 bis 3.120 US-Dollar pro Patient für eine fünftägige Anwendung. Das kritisieren nun viele Ärzte. Sehen Sie das ähnlich kritisch?

Das klingt teuer. Ich kann aber nicht beurteilen, wie hoch die Entwicklungskosten für das Medikament waren. Das Medikament wird aber sehr oft eingesetzt werden, und die Firmen können Lizenzen an Generikahersteller verkaufen.

Interview: Eva Maria Gapp

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (6)

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  • vinsch

    Schon traurig, welch ein Wahnsinn hier wegen Corona abgeht. Weil es uns treffen könnte …. Täglich verhungern Menschen, sterben im Krieg …., das interessiert uns nicht, ist ja weit weg. Aber Corona, mittlerweile nicht mehr als ein Schnupfen, macht uns Angst ….

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