„Der Bär ist nicht die große Bedrohung“
Der Moraltheologe Martin M. Lintner hält es für verfrüht, den Bär zu schießen – und warnt vor Panikmache.
Tageszeitung: Herr Lintner, der Bärenangriff im Trentino sorgt derzeit für Aufsehen. Nun will der Trentiner Landeshauptmann Maurizio Fugatti den Bären abschießen lassen. Was sagen Sie dazu?
Martin M. Lintner: Grundsätzlich halte ich einen Abschuss für gerechtfertigt, wenn ein Tier wirklich für Menschen gefährlich wird. In diesem vorliegenden Fall müsste man vorher aber untersuchen, ob dieser Angriff auf die Gefährlichkeit des Bären zurückzuführen ist, oder ob sich die beiden Wanderer falsch verhalten haben. Die Kollegen in Trient haben ja Zweifel an der Schilderung der Wanderer geäußert. Das müsste jetzt geprüft und geklärt werden.
Und wenn sich herausstellt, dass der Angriff auf die Gefährlichkeit des Bären zurückzuführen ist, dann wäre es gerechtfertigt…
Ja, wenn der Bär seine natürliche Verhaltensweise gegenüber Menschen, dass er vielleicht zunächst neugierig beobachtet, sich dann aber zurückzieht und die Flucht ergreift, nicht mehr hat und deshalb für andere Wanderer gefährlich sein könnte, dann halte ich eine Entnahme für gerechtfertigt. Sollte sich aber herausstellen, dass es ein Fehlverhalten seitens der Wanderer war, das den Angriff provoziert hat, dann sehe ich keinen Grund für ein Einfangen oder für einen Abschuss. Aber wie gesagt, jetzt schon zu verlangen, den Bär sofort zu schießen, halte ich für verfrüht. Im Moment sehe ich dafür keinen Grund.
Erinnern wir uns: Erst vor einem Monat ist ein Video um die ganze Welt gegangen, in dem zu sehen war, wie ein 12-jähriger Bub bei einer Wanderung im Trentino einem Bär begegnet ist. Und da hat sich gezeigt, dass dieser Bär – obwohl es zu dieser unerwarteten Begegnung gekommen ist – nicht gefährlich für die Menschen war. Der Bär hat sich so verhalten, wie es die Naturforscher immer sagen: Er war neugierig, hat sich aufgerichtet, um zu erkunden und zu verstehen, was gerade passiert. Er hat nicht angegriffen, sondern in dem Moment, wo er die Menschengruppe gesehen hat, die Flucht ergriffen. Der Junge und sein Vater haben sich richtig verhalten.
Wie soll nun mit dem Bär umgegangen werden?
Bevor noch nicht genau geklärt ist, was da genau zwischen den Wanderern und dem Bären vorgefallen ist, würde ich den Bären in Ruhe lassen und in der dortigen Gegend darauf hinweisen, dass keine Wanderer unterwegs sein sollten. Im Moment würde ich keine weiteren Maßnahmen ergreifen.
Über Wölfe und Bären wird in Südtirol schon seit Jahren immer wieder heftig und emotionsgeladen diskutiert. Ist die Angst wirklich berechtigt oder steckt vor allem Panikmache dahinter?
Meines Erachtens geht es vielfach tatsächlich um eine Aufbauschung und Panikmache, zum Beispiel was den Bären anbelangt. Da haben wir in Südtirol relativ wenige Probleme. Es gibt offensichtlich keine Bären, die hier ein Revier haben. Es gibt Bären, die immer mal wieder durch Südtirol streifen, vor allem im Grenzgebiet im Ultental, rund um die Mendel, und auch ihre Spuren hinterlassen. Ich denke aber nicht, dass wir im Rückblick auf die letzten zehn Jahre sagen können, dass der Bär die große Bedrohung ist. Da müssen wir schon sachlich bleiben. Ich sehe die Befürchtung der Existenzbedrohung für die Berglandwirtschaft oder den Tourismus als nicht begründet an. Da nehme ich tatsächlich eine Art Panikmache wahr. Auf der anderen Seite: Das Problem ist da, und deshalb braucht es Lösungen. Wir müssen mit den Wildtieren leben lernen, wir müssen verstehen, dass wir mit ihnen den Lebensraum teilen. Es wird sicherlich nicht konfliktfrei bleiben, aber ein Zusammenleben von Menschen mit Tieren ist möglich.
Und welche Lösungen schlagen Sie vor?
Erstens: Wenn es dezidierte Problemfälle gibt, also eines dieser Wildtiere nachweislich gefährlich für den Menschen wird, dann sollte eine Entnahme oder ein Abschuss möglich sein, ohne dass jedes Mal neu die gesamte Debatte geführt wird. Zweitens: Wenn es Wölfe gibt, die sich auf den Riss von Nutztieren spezialisieren und es gehäuft zu solchen Schäden kommt, muss ebenso ein Abschuss möglich sein. Drittens: Was ich für unausweichlich halte, sind die Herdenschutzmaßnahmen, damit die Bauern ihre Tiere schützen können, und – viertens – ein unkomplizierte, schnelle Entschädigung für den materiellen Schaden.
Interview: Eva Maria Gapp
Der Anlass:
Auf dem Rundweg um den Monte Peller in der nördlichen Brentagruppe wurden am Montagabend (22. Juni) zwei Wanderer von einem Bären überrascht und angegriffen. Zuerst soll der Bär auf den 28-jährigen Sohn losgegangen sein, der 59-jährige Vater kam ihm dann zu Hilfe und wurde erheblich verletzt. Der Trentiner Landeshauptmann Maurizio Fugatti hat nach dem Vorfall den Abschuss des Bären angeordnet. Nach wie vor ist aber nicht bekannt, um welchen Bär es sich handelt und wo er sich aufhält. Außerdem laufen Ermittlungen zum Hergang des Angriffs. Der Direktor des Amtes für Jagd und Fischerei Luigi Spagnolli und auch seine Trentiner Kollegen hegen Zweifel an den Schilderungen der Wanderer. Es könne auch sein, dass es sich um ein Muttertier handelt, das nur seine Jungen beschützen wollte – und deshalb angegriffen hat. Auch zahlreiche Umwelt- und Tierschützer schlagen Alarm. Luigi Mariotti vom WWF Bozen sagt etwa: „Wir sind ganz klar dagegen. Der Bär darf nicht abgeschossen werden.“ Indes hat auch der italienische Umweltminister einen Brief an den Trentiner Landeshauptmann geschrieben, indem er sich ganz klar gegen die Abschuss-Verfügung ausspricht.
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Kommentare (25)
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andi182
Weg mit den Bären und Wölfen .
marting.
unsere Vorfahren wußten schon wieso sie die Bären und Wölfe ausgerottet haben!
mannik
Offensichtlich nicht, angesichts der Tatsache, dass sie damit das natürliche Gleichgewicht gestört haben.
rumer
Bären und Wölfe haben schon viele Menschen getötet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir in Mitteleuropa oder sogar Südtirol einen ersten Toten zu beklagen haben werden.
Dann möchte ich nicht in der Haut der linksgrünen Wolfs- und Bärenkuschler sein, die diese Tiere hergeholt haben ohne sich um ihr Futter zu kümmern.
mannik
So ein Quatsch Hilber. Lesen Sie die beiden NINA-Studien zu Wolf und Bär. Nur um zu rechtfertigen, dass Sie gerne einen Bären abknallen möchten, müssen Sie keine Märchen erzählen.
Wölfe wurden nebenbei nicht hergeholt, nur der Bär wurde wieder angesiedelt.
keinervonvielen77
genau…und deshalb weg mit den Bären und Wölfen. Mit dazu alle Zigaretten, Autos, Hunde,…(Humor aus…nur zur Sicherheit)
gestiefelterkater
Schuld sind nicht Bären und Wölfe, sondern diese geistigen Neandertaler mit Anzug und Krawatte. Bürokraten, Gaukler Sinnlosberufler aller Art verwandeln die Welt in ein einziges Irrenhaus.
Bürokraten und Sinnlosberufler stören das Ökologische Gleichgewicht, sie sind schlimmer als Klimawandel und Corona.
n.g.
Der böse Bär, der böse Wolf, das böse Virus!
ohnehirnlebtmanbesser
Oh. Die bòsen Zecken, die bòse Baumwanze, die bòse Essigfliege, die bòse Tigermùcke…….in Sùdtirol lebt man gefàhrlich. Hirni
manfred
….und die bösen Kommentarfritzen nicht vergessen…:-))
hallihallo
der bär ist nicht die große bedrohung , sondern diese leute die ihn veniedlichen.
n.g.
Ich hab lieber den *bösen* Bär im Wald als die bösen süditalienischen Pilzesammler im Wald!
hallihallo
lombardei und veneto und emilia gehören nicht zu süditalien und dort kommen die pilzesammler eigentlich her. 🙂
n.g.
Versteh schon…. Tiere gehöhren für manche Kommentatoren hier in den Zoo, tot in den Teller aber nicht in den Wald, in die Natur!
hallihallo
der projektleiter von ursus-life hat bereits vor 3 jahren gesagt: es sind 30-40 bären geplant gewesen. mehr sind zuviel für das gebiet.
jetzt nähert man sich den 100 bären.
beim ersten toten wird sich die situation schlagartig ändern.
mannik
100 Bären? 2018, bei der letzten großen Zählung wurden 39 Bären im Trentino erfasst. In ganz Italien sind es knapp über 100.
hallihallo
woher hast du diese zahl??
provinz trient sagt offiziell zwischen 82- 93 bären.
https://grandicarnivori.provincia.tn.it/L-orso
mannik
Sie wissen was „stima“ bedeutet? Ich habe von der letzten großen ZÄHLUNG geschrieben.
covid
@ mannik
eine Wildtierzählung läuft am Ende des Tages immer auf eine Schätzung hinaus. Die Wildtiere haben keine Residenz oder Wahlausweis!
summer
Ja, ja, der bärige Moraltheologe!
ronvale
Natürlich ist jedes Tier welches im Stande ist einen Menschen zu töten eine Bedrohung
In vielen Gegenden Europas hat man es verlernt mit der Bedrohung zu leben und kann damit nicht umgehen
Naturschützer sehen das Problem eher im Menschen, dass es zu viele davon gibt, dass sie sich ungehemmt vermehren und in den letzten Winkel der Erde ausbreiten
In Trentino Südtirol leben über 1 Million Menschen. Ich frage mich unter welchen Bedingungen Platz für 100 Bären ist.
n.g.
Es gibt keine Problembären, es gibt Problemmenschen!
alexbozen
Wer es ernst meint mit: Weg mit Wölfen und Bären, der sollte selbst das Land verlassen. Soviel Egoismus brauchen wir nicht.
ahaa
Gut gesagt, und jeder sollte dazu beitragen es zu schützen . Ansonsten werden auch Adler geschossen weil sie beim Bauernhof eine Henne holen könnten . Gais und der Abschuss im Horst ist ein gutes Beispiel dafür. Aber es ist nur bekannt geworden weil es jemand gemeldet hat. Solche Sachen sind eher eine Regel wie eine Ausnahme. Deswegen Augen auf. Es brauch eine andere Kontrolle. Diese funktioniert nicht. Vermutlich werden die Böcke zu Gärtnern gemacht….