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Naturdichtung mit Hindernissen

(v.l.) Hans Comploj, Emma Kerschbaumer, Marialuise Prosch, Gontran Peer, Anna Larcher, Georg Frener

Seit zwei Jahren gibt es die Haikugruppe Südtirol, deren Mitglieder sich mit japanischer Kurzlyrik befassen. Die freie Natur ist für sie die wichtigste Inspirationsquelle. Dann kam Corona.

Von den japanischen Lyrikgattungen und -formen sind im Westen vor allem das Renga und das Haiku, Senryu, Tanka bekannt. Während es sich beim Renga seit dem frühen Mittelalter um eine Unterhaltung bietende Kettendichtung handelt, genießen Haiku, Senryu und Tanka seit fast genauso vielen Jahrhunderten weltweite Anerkennung als kleinste literarische Lyrikformen. Es geht um Weltliteratur, auch wenn ihr diese Anerkennung noch vielerorts verweigert wird. Im deutschen Sprachraum kennt man das Haiku seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Seitdem haben sich diese japanischen Lyrikgattungen und -formen mehr und mehr verbreitet und wurden so beliebt, dass sich viele Lyriker dem Haiku, Senryu und Tanka, welche traditions- und pflichtgemäß Jahreszeit, Natur und Gegenwart beinhalten, verschrieben haben.

In Südtirol gibt es seit zwei Jahren die Haikugruppe Südtirol, deren Mitglieder sich mit japanischer Kurzlyrik befassen und selber konstant deutsch- und italienischsprachige Haiku dichten, mancher auch auf Ladinisch oder in Südtiroler Mundart. Die Gruppe wurde im Juni 2018 von Gontran Peer, Christine Matha, Marialuise Prosch, Hans Comploj und Georg Frener mit der Absicht gegründet, gemeinsam nicht als Verein, wohl aber als Arbeitsgruppe regelmäßig hauptsächlich Dreizeiler zu dichten und sich monatlich auszutauschen. Dieses Vorhaben wurde von fünf Mitgliedern dann auch tatsächlich umgesetzt. Zahlreiche Treffen in dieser Zeit kamen zustande und viele schöne neue Bekanntschaften und Erfahrungen hat man gemacht. Bis im Februar bekannt wurde, dass ein tödlicher Virus die ganze Welt in Panik versetzen würde, ein Virus namens Corona. Während das Februartreffen gerade noch in einer Brixner Location stattfinden konnte, musste jenes im März abgesagt werden. Aber man wollte weitermachen und so bedient man sich seitdem der modernen technologischen Mittel, um sogenannte Ferntreffen abzuhalten. Es ist eine ganz neue Erfahrung, die die Mitglieder als Gruppe aufgrund der Pandemie machen müssen, aber sie hat – wenngleich es seltsam klingen mag – laut dem künstlerischen Leiter Gontran Peer durchaus auch positive Seiten. Aber natürlich ist der Wunsch aller Gruppenmitglieder sich wiederzusehen, sich die Hände zu schütteln und sich über Haiku, Senryu, Tanka auszutauschen groß.

Info: Haiku Arbeitsgruppe Südtirol, Kontakt für Mitgliedschaft und Lesungen: [email protected]

 

„Schlimmer als jede Bestrafung“

Der Brixner Gontran Peer gehört zum Kern der Haikugruppe Südtirol. Wie erleben Naturlyriker die Pandemie?

Tageszeitung: Herr Peer, wie haben Sie die Zeit des Coronavirus erlebt und wie ist es derzeit?


 Gontran Peer: Nun, ich glaube, dass wir als hochgefährdete Menschen alle eine sehr schwierige Zeit hinter uns haben. Ich persönlich habe zum Glück, alles problemlos überstanden zu haben, wenngleich ich mich noch im letzten Herbst zwei schweren Operationen unterziehen musste. Im Moment geht es mir recht gut, auch deshalb weil ich viel mehr auf meine Gesundheit achten muss und achte.

Und Ihre Haikukolleginnen und -kollegen?

Wir waren ständig telefonisch oder mittels PC in Kontakt. Das war sehr schön, denn so konnten wir uns trotzdem unterhalten, uns unterstützen, gegenseitig Mut machen und uns auch aufmuntern.

Wie war es mit dem Haiku Dichten während der Quarantäne?

Gut, ich kann mich nicht beklagen, denn ich war in diesen Monaten trotz der vielen Einschränkungen sehr produktiv. Nicht in die freie Natur hinauszukönnen, wohin und wann man will, ist für einen Haiku Dichter schlimmer als jede Bestrafung. Bei meinen Kollegen war die Leidenserfahrung, so wie ich es aus ihren Haiku herauslesen kann, ganz unterschiedlich. Dementsprechend konnten sie Haiku dichten oder auch nicht. Mit so vielen Hindernissen und Einschränkungen ist das Haiku- Dichten alles andere als einfach.

Wie geht es jetzt mit der Haikugruppe weiter?

Wir werden uns sehr bald wiedersehen und unsere literarische Tätigkeit mit Eifer und Begeisterung fortsetzen.

Was wünschen Sie sich?

Dass Verantwortliche und Machthaber zur Vernunft kommen und eine zweite Welle verhindern und, dass Lyriker und solche, die es werden wollen an uns herantreten um mit uns gemeinsam Haiku zu dichten.

 

Haikus

 

Coronavirus


in Italien angekommen

Gäste abgereist

(Marialuise Prosch)

 

schaurig schöne zeit


in heller mondnacht vom baum

der ruf des waldkauz


(Georg Frener)

 

Zierkirschenblüte

über die neuen Gräber

vermummte Trauer

(Hans Comploj)

 

Trotz Gesichtsmaske


Der Duft des Hollunders dringt

mir ins Herz hinein

(Christine Matha)

 

Abendprogramm.


Das zwischenzeitliche Zwitschern

eines Singvogels


(Gontran Peer)

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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