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„Schlimmer als Corona“

Foto: Karl Oberleiter

Die Fridays-for-Future-Bewegung hat es geschafft, den Klimaschutz weltweit auf die Agenda zu setzen. Doch dann kam die Corona-Krise. Verdrängt das Virus die Sorge um das Klima?

von Eva Maria Gapp

„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ brüllten noch vor einigen Monaten hunderte Schüler in Südtirol. Mit Megaphonen und ausgefallenen Plakaten wie „Kohle ist kein Grund zum Anbaggern“ oder „Die Erde ist seit Jahren in Katerstimmung und wir sind der Alkohol“ zogen sie durch die Straßen. Nichts schien sie aufzuhalten. Sie schafften es, die öffentliche Debatte zu verschieben und den Klimawandel zu einem bestimmenden Thema zu machen. Was einst als „One-Man-Show“ begann, wurde schnell zu einer globalen Bewegung. Die Rede ist von Fridays for Future. Doch mit Corona hat sich alles geändert. Die Gesundheitskrise hat jene des Weltklimas aus der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verdrängt.

Doch nicht nur das: Das Coronavirus nimmt der Bewegung ihr wichtigstes Instrument – den Protest auf der Straße. Auch der Schulstreik am Freitag, mit dem die Bewegung bekannt geworden ist, ist nun nicht mehr möglich. Die Schulen sind zu, an Demonstrationen ist seither nicht mehr zu denken.

Was bedeutet das nun für die Fridays for Future-Bewegung? Wie wird es weitergehen? Werden die Menschen nach der Krise überhaupt noch Augen für den Klimaschutz haben? Viele haben die Arbeit verloren, stehen ohne Einkommen dar. Für sie erscheint der Klimaschutz als Luxusproblem vergangener Zeiten. Verdrängt Corona also die Sorge um das Klima? Oder ist die Pandemie auch eine Chance?

Eine, die es wissen muss, ist Majda Brecelj. Sie ist von Anfang an bei Fridays for Future dabei, hat viele Projekte organisiert. Dass das Klima so stark von der Tagesordnung verschwunden ist, bedauert sie sehr: „Natürlich ist es traurig, dass durch die Corona-Krise der Klimaschutz so stark in den Hintergrund gerückt ist“, sagt sie. Jetzt sei es aber höchste Zeit, wieder stärker den Blick auf das Klima zu lenken. „Ich verstehe natürlich, dass die Menschen im Moment ganz andere Sorgen haben, das heißt aber nicht, dass die Klimakrise zweitranig zu behandeln ist“, betont sie.

Denn schließlich sei der Klimawandel -so Brecelj – eine noch größere Bedrohung als die Corona-Krise: „Die Klimakrise ist eine weitaus größere Krise als Corona. Denn wenn bestimmte Punkte erreicht sind, können wir nicht mehr umkehren. Das ist vergleichbar mit einem Zug, der abgefahren und nicht mehr gestoppt werden kann.“ Brecelj macht ein Beispiel: „Wenn die Permafrostböden auftauen, wird das zu einer enormen Freisetzung von Methangasen führen. Da gibt es dann keinen Weg zurück mehr.“ Die Klimakrise sei also im Gegensatz zur Corona-Krise nahezu unmöglich zu stoppen.

Und auch die Folgen würden drastischer sein: „Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird der Klimawandel weltweit vielen Millionen Menschen die Lebensgrundlage nehmen. Denn Hitzewellen und Dürren werden zunehmen, Gebiete werden überschwemmt werden und so nicht mehr bewohnbar sein. Viele werden flüchten müssen. Die globale Wirtschaft als auch die Gesellschaften würden ins Schleudern geraten. Das betrifft dann weitaus mehr Menschen als die Corona-Krise“, gibt Brecelj zu bedenken. Daher sei es  umso wichtiger, jetzt zu handeln. Das betont Brecelj immer wieder: „Die Zeit läuft uns davon. Der Klimawandel macht keine Pause, auch nicht in Zeiten der Corona-Krise“, betont sie.

Doch wird jetzt die Politik den Klimaschutz überhaupt noch im Fokus haben? Breceli ist skeptisch. Zumal die Landesregierung vor einigen Tagen bereits beschlossene Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung erstmals auf Eis gelegt hat. Maßnahmen zur Luftverschmutzung wurden verschoben. „Das ist sicherlich ein Schritt in die falsche Richtung.“

Dabei biete Corona eigentlich die Chance, Dinge grundlegend zu ändern: „Corona hat die Schwächen des derzeitigen ökonomischen Systems enthüllt. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit, dass wir noch stärker in Richtung Nachhaltigkeit gehen. Gerade jetzt besteht die Chance dafür“, betont Brecelj.

Dass Veränderungen möglich sind und die Wirtschaft, als auch die Politik schnell handeln können, habe die Corona-Krise gezeigt. „Ich erwarte mir von den Politikern, dass sie jetzt beim Klimaschutz genauso schnell handeln und mit einer ähnlichen Entschlossenheit vorgehen, wie sie es während der Corona-Krise getan haben.“ Gleichzeitig hofft sie, dass die Politik auch in der Klimakrise beginnt, den Wissenschaftlern zuzuhören und deren Empfehlungen umsetzt. „Schon seit Jahrzehnten weisen Wissenschaftler auf der ganzen Welt darauf hin, dass es dieses Problem gibt. Wann will man endlich handeln?“, fragt sie sich.

Ob der Klimaschutz auch in den Köpfen der Menschen weiterhin präsent sein wird, kann Brecelj nicht mit Sicherheit sagen: „Einerseits habe ich ein wenig Angst, dass die Corona-Krise die Debatte und die Sorge um das Klima aus dem Bewusstsein verdrängt. Andererseits hoffe ich, dass die Menschen auch verstanden haben, wie wichtig es ist, nicht nur an sich zu denken, und wie schnell sich alles ändern kann.“ Auch das Coronavirus habe man am Anfang heruntergespielt und als ein „chinesisches Problem“ abgetan, doch als es dann nach Italien kam, sei vielen erst bewusst geworden, wie viel Schaden das Virus anrichtet. „Eine Lehre, die wir aus der Krise ziehen sollten ist, dass man schnell handeln muss. Denn wenn man zu langsam handelt, gibt es kein Zurück oder nur ein Zurück, das sehr schmerzhaft, aufwendig und kostspielig ist“, so Brecelj.

Um die Jungen macht sie sich hingegen keine Sorgen: „Ich bin mir sicher, wenn wir wieder Demonstrationen veranstalten dürfen, werden wieder viele Jugendliche dabei sein. Weil ich einfach bei den bisherigen Demonstrationen und Projekten gesehen habe, wie motiviert sie sind. Sie machen mit, weil sie davon überzeugt sind. Ich denke nicht, dass dies durch Corona abgenommen hat.“

Die Fridays-Future-Bewegung macht also weiter. Wenn auch in den nächsten Monaten in einer anderen Form: „Wir werden vermehrt online Aktionen starten und dort Workshops anbieten. Aber natürlich hoffen wir bald, wieder auf die Straße gehen zu können.“

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