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„Kein Grund zur Panik“

Seit einigen Wochen mehren sich Berichte über eine Entzündungskrankheit bei Kindern, die dem Kawasaki-Syndrom ähnelt. Die Fakten.

Tageszeitung: Herr Dr. Strenger, viele Eltern sind in Sorge: In mehreren Ländern berichten Ärzte von unerwartet vielen Kindern, die wegen schwerer Entzündungen im ganzen Körper behandelt werden müssen. Das Coronavirus könnte der Auslöser sein. Was weiß man darüber?

Volker Strenger (Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz): In der Regel verläuft eine Corona-Infektion bei Kindern eher mild. Doch in einigen wenigen Fällen kann die Erkrankung zu Symptomen führen, die einem Kawasaki-Syndrom ähneln. Dieses Syndrom führt zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems. Bei Kindern aus Großbritannien, New York und Norditalien traten entzündete Blutgefäße, Bauchschmerzen, und Fieber auf. Dass das neue Coronavirus eine derartige Überreaktion bewirken kann, ist von Erwachsenen ja bereits bekannt. Da sorgt die Überreaktion in der Regel für einen schweren Krankheitsverlauf. Diese Menschen brauchen dann eine intensivmedizinische Betreuung.

Was man aber nicht sagen kann, ist, dass es sich hier um das sogenannte Kawasaki-Syndrom, einer seit Jahrzehnten bekannten, aber seltenen Erkrankung handelt. Vielmehr ähneln die Beschwerden diesem Syndrom. Denn es gibt Unterschiede: Typisch für das Kawasaki-Syndrom ist zum Beispiel, dass die Lymphknoten geschwollen sind und es zu schuppender Haut kommt. Das ist aber bei den bisher bekannten Fällen nur selten beobachtet worden. Und so massiv erhöhte Entzündungseiweiße im Blut hat man beim Kawasaki-Syndrom in der Regel auch nicht. Auch was das Alter anbelangt, gibt es Unterschiede: Das Kawasaki-Syndrom tritt typischerweise bei Kindern bis zu fünf Jahren auf. Hier haben wir es aber eher mit Kindern zu tun, die zwischen fünf und 15 Jahren alt sind.

Es besteht aber eine Verbindung zwischen dem Coronavirus und der Tatsache, dass vermehrt Kinder mit starken Entzündungssymptomen intensivmedizinisch behandelt werden müssen…

Ja, für mich ist klar, dass dies eine Folgeerscheinung des neuen Coronavirus ist.

Sind also Kinder doch stärker gefährdet als bisher angenommen? Bisher war immer nur die Rede davon, dass Kinder nicht zur Corona-Risikogruppe gehören. Doch diese neue Krankheit stellt diese Erkenntnisse in Frage…

Nein, nach wie vor kann man sagen, dass die Situation nicht beunruhigend ist. Kinder erkranken nach wie vor seltener an Covid-19 als Erwachsene und in der Regel weisen sie milde Symptome auf. Das sieht man in allen Studien, egal ob wir jetzt jene aus China, Österreich, Großbritannien oder Italien heranziehen. Dennoch muss man dazusagen, dass es bei Kindern, zwar selten, aber trotzdem zu schweren Erkrankungen kommen kann. Aber wie gesagt, für uns ist das nichts Neues. Man wusste immer schon, dass auch Kinder wegen dem Coronavirus intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Ich verstehe also die Überraschung nicht ganz. In Wahrheit ist das eine Art des Verlaufs, die man bei Erwachsenen recht gut kennt. Insofern würde ich das jetzt auch nicht als mysteriöse Kinderkrankheit bezeichnen. Bei Kindern ist es oft nur so, dass die Krankheit am Anfang so einen milden Verlauf nimmt, dass sie teilweise gar nicht getestet wurden.

Müssen Eltern deswegen besorgt sein?

Nein, Eltern müssen nicht besorgt sein. Es gibt keinen Grund zur Panik.

Warum kommt es dann gerade jetzt zu einer solchen Häufung von schwer erkrankten Kindern?

Diese Häufung in Gebieten mit großen Krankheitsausbrüchen, wie London, New York oder Norditalien, erklärt sich durch die hohe Zahl an Infizierten in der Gesamtbevölkerung. Dadurch erhöht sich natürlich auch die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder von diesen an sich selten auftretenden Reaktionen betroffen sein können. Wir sprechen hier aber insgesamt von einer sehr geringen Zahl von Fällen. In Bergamo zum Beispiel sind bislang nur zehn Fälle mit Kawasaki-ähnlichen Symptomen beschrieben. Das ist vergleichsweise wenig, wenn man bedenkt, dass dort Zigtausende an Covid-19 erkrankt sind. Und in Österreich zum Beispiel sind bisher 400 Kinder auf das Coronavirus getestet worden, und davon hatten nur zwei einen so schweren Verlauf, dass es zu dieser überschießenden Reaktion des Immunsystems kam. Beide mussten auf der Intensivstation behandelt werden. Eines der betroffenen Kinder haben wir in Graz behandelt, das andere in Wien. Ich halte also diese mediale Aufregung für übertrieben. Es ist zwar neu, aber dennoch sollte man entwarnen: Wir haben es hier mit einem seltenen Phänomen zu tun. Eine Covid-19-Infektion kann bei Kindern nur in Einzelfällen zu einem Kawasaki-ähnlichen Syndrom führen.

Sie sagen, eines der betroffenen Kinder wurde bei Ihnen in Graz auf der Intensivstation betreut. Mit welchen Beschwerden kam das Kind in die Klinik? Wie geht es dem Kind mittlerweile?

Ja, ein 11-jähriger Junge ist zunächst mit Bauchschmerzen und Fieber ins Spital gekommen. Wir haben dann einen PCR-Test gemacht, der positiv war. Nach einigen Tagen verschlechterte sich der Zustand des Kindes. Er kam auf die Intensivstation, wo er beatmet wurde und Medikamente zur Stabilisierung des Kreislaufs erhielt. Insgesamt lag der Bub neun Tage auf der Intensivstation. Bemerkenswert war, wir haben ihn dann ein paar Tage danach noch einmal getestet, dabei war er negativ. Ein Antikörpertest schlug allerdings an. Mittlerweile ist er wieder gesund. Er konnte auch schon das Krankenhaus verlassen. Das liegt auch daran, dass man diese Krankheit, die dem Kawasaki-Syndrom ähnelt, meist gut behandeln kann. Die Heilungschancen sind gut.

Jetzt noch abschließend eine Frage zur Ansteckung: Wissen Sie mittlerweile, welche Rolle Kinder bei der Verbreitung des Coronavirus spielen? Sind Kinder genauso infektiös wie Erwachsene?

Am Anfang muss man sagen, hat man fälschlicherweise geglaubt, dass Kinder eine große Rolle bei der Verbreitung von Covid-19 spielen. Das ist aber nie bewiesen worden. In Wahrheit ist es so, dass Studien aus China zeigen, wo in Haushalten mit Corona-positiven Menschen sich 20 Prozent der Erwachsenen, aber nur vier Prozent der Kinder angesteckt haben. Auch eine andere Studie aus Island kommt zu dem Ergebnis, dass Kinder seltener unerkannt infiziert sind als Erwachsene. Und die neue Studie des Virologen Christian Drosten hat nur gezeigt, dass auf den Abstrich-Tupfern der Kinder gleich viel Coronavirus-Erbsubstanz enthalten ist, als bei Erwachsenen. Damit kann aber noch nicht gesagt werden, Kinder sind genauso infektiös wie Erwachsene – wie in den letzten Wochen immer wieder behauptet wurde. Und eine Studie aus Australien zeigt, dass es in Schulen mit infizierten Schülern extrem selten zu weiteren Ansteckungen gekommen ist. Es scheint also so, dass sich Kinder nicht nur weniger anstecken, sondern auch weniger das Virus weitergeben.

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