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„Es war nur eine Frage der Zeit“

Die Biologin Simone Sommer erklärt, warum Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen überspringen, zunehmen.

Tageszeitung: Frau Sommer, waren Sie überrascht, als Sie das erste Mal vom Ausbruch der Corona-Pandemie gehört haben?

Simone Sommer: Sagen wir es mal so: Die Wissenschaft hat schon lange gewarnt, dass sich so etwas wie die SARS-Pandemie wiederholen könnte. Doch das Ausmaß und die Folgen, die damit einhergehen, haben uns alle wirklich überrascht. So etwas hat sich niemand vorstellen können.

Also war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Erreger wie das Coronavirus entstehen konnte…

Ja, es war nur eine Frage der Zeit, bis ein neuartiges, für Menschen gefährliches Coronavirus auftauchen wird. Man denke nur an SARS oder MERS, zwei zoonotische Erkrankungen. Aber wie gesagt, niemand hat natürlich vorhersagen können, wann es soweit sein wird und mit welcher Wucht uns das Ganze erfasst. Stellen Sie sich mal vor, man hätte im November 2019 ein derartiges Szenario in einem Film dargestellt. Da hätten alle gesagt: „Oh Gott, schon wieder so ein unrealistischer Hollywood-Film“.

Warum war es nur eine Frage der Zeit? Was sind Zoonosen?

Wenn tierische Krankheiten auf den Menschen überspringen, sprechen wir von Zoonosen. Auch beim neuen Coronavirus gehen wir davon aus, dass der Ursprung des Erregers in Fledermäusen liegt. Fledermäuse, die auf einem Markt in Wuhan gehandelt worden sind. Von ihnen wurde das Virus auf den Menschen übertragen. Und wir sehen, dass diese Zoonosen, also Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden, weltweit zunehmen. Tatsächlich sind etwa 70 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten, die den Mensch betreffen, Zoonosen.

Woran liegt das?

Das hat verschiedene Gründe: Zum einen weil der Mensch in immer weiter entlegene Regionen wie zum Beispiel die verbleibenden Regenwälder Asiens, Afrikas oder Südamerikas vordringt, um Siedlungen zu bauen, riesige Staudammprojekte, aber vor allem auch um Monokulturen anzulegen. Damit meine ich riesige Plantagen aus Ölpalmen und Soja primär für den Verbrauch in der westlichen Welt. Dadurch werden die Lebensräume von Tieren zerstört. Gleichzeitig kommt der Mensch mit seinen Nutztieren den Wildtieren immer näher und trifft auf Erreger, die für Menschen gefährlich sind, weil sie neu für sein Immunsystem sind und es nicht gegen sie ankommt. Die Kontaktrate von Mensch, Nutztier und Wildtier hat sich also drastisch erhöht. Und das hat auch für die Übertragung von Viren Konsequenzen. Heute verbreiten sich Krankheiten durch Bevölkerungsdichte und Globalisierung viel schneller. Ein weiterer Grund ist der legale und illegale Wildtierhandel. Durch traditionelles „Bushmeat“-Essen, also der Verzehr von Wildtierfleisch, wie zum Beispiel von Fledermäusen und Affen, aber auch kommerzielles Handeln von Wildtierfleisch, wie auf dem „wet market“ in Wuhan. Beim Schlachten und Essen von Fleisch können neue Viren übertragen werden, die dann möglicherweise die Artengrenze überwinden. So hat mutmaßlich die Ebola-Epidemie in Afrika begonnen. Dann kommt noch die Massentierhaltung dazu. Man braucht nur an die Schweinegrippe, Vogelgrippe oder die Spanische Grippe zu denken.

Was hat aber die Zerstörung natürlicher Lebensräume mit der Zunahme von Krankheiten zu tun, die von Tieren auf Menschen übertragen werden?

Wenn der Mensch die Lebensräume der Tiere zerstört, verändert sich die Artenvielfalt und die Häufigkeit der einzelnen Arten. Man muss sich das so vorstellen: In einem ungestörten Regenwald gibt es viele verschiedene Tierarten, deren Individuen sich gut verteilen und einen gewissen Abstand zueinander haben. Viren finden so viel schwieriger passende Wirte, das heißt, die Übertragung ist schwieriger. Das führt früher oder später dazu, dass die Ausbreitung gestoppt wird. Dadurch verringert sich auch das Risiko, dass sich die Krankheit am Ende auch auf den Menschen überträgt.

Wird der Lebensraum der Tiere aber von den Menschen gestört, ist das anders. Artengemeinschaften verändern sich, sensitive Arten verschwinden und andere Arten, die sehr anpassungsfähig sind und denen die Veränderung nichts ausmacht, nehmen zu und damit ihre Dichte. Sie können somit Erreger leichter weitergeben. Dadurch steigen die Infektionsrate und die Gefahr von Mutationen. Gleichzeitig kommen durch die menschliche Störung jetzt Tierarten miteinander in Kontakt, die sich normalerweise niemals begegnet wären. Dadurch schafft es das Virus leichter, die Artengrenze zu überschreiten. Durch Umweltzerstörung und der damit verbundenen Zerstörung der Artenvielfalt steigt also die Gefahr der Vireninfektionen. Die Viren werden übertragen, wenn Menschen mit den Sekreten der Tiere in Berührung kommen, oder wenn sie wilde Tiere essen.

Der Mensch schafft sich also sozusagen seine Zoonosen selbst…

Ja, die Zunahme zoonotischer Erkrankungen ist ein menschengemachtes Problem.

Ist der Mensch damit auch schuld am Ausbruch des Coronavirus?

Das kann man so sagen. Die Corona-Pandemie wäre ohne den Menschen nicht entstanden.

Das neue Coronavirus hat ja den Sprung vom Tier auf den Menschen geschafft. Was muss eigentlich passieren, damit das Virus die Artengrenze überschreiten kann?

Ein Virus kann sich ja nicht selbst vermehren. Er braucht dazu eine Wirtszelle, also zum Beispiel eine Tierzelle oder eine Menschenzelle. Viren tragen an ihrer Oberfläche bestimmte Strukturen, ähnlich wie Schlüssel und dieser muss zum Schloss der Oberfläche der Wirtszelle passen. Nur Viren mit einem passenden Schlüssel können in eine Wirtszelle eindringen. Wenn das passiert ist, dann programmiert das Virus diese Zelle um, sodass diese Kopien des Virus erstellt. Bei diesem Kopiervorgang machen diese Wirtszellen aber Fehler. Die neu entstandenen Viren sind verändert. Sie sind mutiert. Durch diese Veränderung können zufällig auch neue Schlüssel entstehen, die auf eine andere Zelle passen. Konkret heißt das: Krankheiten, die eigentlich nur bestimmte Tiere befallen, können so auch auf den Menschen übertragen werden.

Fledermäuse gelten ja als ursprünglicher Wirt des neuen Coronavirus. Auch Ebola wurde wohl von einer Fledermaus übertragen. Warum lösen diese Tiere wiederholt Epidemien aus?

Vorweg möchte ich eine Lanze für Fledermäuse brechen. Weil sie gerade sehr stark in Verruf geraten und das ist nicht gerechtfertigt, denn sie sind sehr wichtig für ein Ökosystem, zum Beispiel für die Bestäubung, aber auch den Verzehr von Insekten. Warum Fledermäuse sehr oft an zoonotischen Erkrankungen beteiligt sind, liegt daran, dass sie zu einer großen Gruppe von Säugetieren gehören. Von ca. 5.500 Säugetierarten sind ungefähr 1.400 Fledermäuse. Und darunter gibt es auch welche, die Krankheitserreger in sich tragen. Fledermäuse sind gegen die meisten dieser Erreger immun. Das liegt daran, dass sie oft zu Hunderten in den Höhlen sehr eng zusammenleben und sie deshalb schon immer besonders dem Risiko ausgesetzt sind, sich mit Erregern von Artgenossen zu infizieren. Sie haben sich also im Laufe der Evolution sehr gut an Erreger angepasst. Gleichzeitig geht man davon aus, dass Fledermäuse ein ungewöhnlich gutes Immunsystem haben. Das schützt sie vor einer Infektion. Dadurch, dass sie aber sehr mobil sind, tragen sie schnell Erreger von einer Kolonie in die nächste. Aus der Perspektive eines Erregers ist das ideal.

Was muss passieren, um weitere Zoonosen zu vermeiden?

Diese Corona-Krise zeigt, dass die Menschheit an einem Wendepunkt angekommen ist. Es ist essentiell, die verbleibenden Naturräume zu bewahren. Dann müssen der Wildtierhandel und Märkte, wie jene in Wuhan, stark eingeschränkt werden. Auf engstem Raum trafen dort bis zu 40 Nutz- und Wildtierarten aufeinander: ein Schmelztiegel für Erreger. Aber auch unsere Massentierhaltung mit einer Überproduktion von wahnsinnig billigen Fleisch muss überdacht werden. Dazu gehört auch die Rodung von großen Naturräumen zur Produktion von Soja für die Nutztierhaltung, also unser billiges Fleisch. Und insgesamt muss der Artenschutz genauso wie der Klimaschutz endlich einen notwendigen Stellenwert bei wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen bekommen.

Wird es in Zukunft weitere solcher Pandemien geben?

Ich würde sagen, ja. Es wird noch weitere solcher Pandemien geben. Denn die Weltbevölkerung steigt weiter an, Menschen dringen immer weiter in unberührte Lebensräume vor, sie betreiben noch stärker Massentierhaltung und diese Wildtiermärkte werden auch nicht kleiner. Das gilt es zu durchbrechen. Denn nur dann werden wir es schaffen, dass es nicht zu weiteren Zoonosen kommen wird.

Man kann also auch sagen, dass Artenvielfalt und Naturschutz sozusagen ein Schutzschild gegen neue Krankheiten wie Covid-19 sind.

Ja, das könnte man so sagen. Den Menschen muss endlich klar werden, wie wichtig ein sogenannter „One-Health-Ansatz“ ist, also dass die menschliche Gesundheit mit der Tiergesundheit und der Umwelt verbunden ist. Den Umgang des Menschen mit der Umwelt und den darin lebenden Tieren gilt es zu überdenken und zu korrigieren.

Interview: Eva Maria Gapp

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (14)

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  • george

    Liebe STZ.
    Sprecht nicht immer von „überspringen“ von Krankheiten bzw. von Viren. Die Biologin hier, die ihr befragt hat, tut es ja auch nicht. Sie spricht von „übertragen“. Besonders bei Viren sind Ausdrücke wie „überspringen, überleben, befallen“ nicht angebracht, denn sie sind keine Lebewesen und als reine Molekularstrukturen an Transporteure und Überträger/Überbringer/Konstrukteure angewiesen, welche dann die Aktivisten sind. Verwendet endlich einmal die exakten Definitionen und Ausdrücke, sonst kommen die Leser, die ihr informieren wollt, wieder mit den Aussagen durcheinander und das ist dann nicht „Information“, sondern „Desinformation“ oder Verwirrung.
    Hört mehr auf exakte Wissenschaftsaussagen unabhängiger Forscher und Betrachter der Natur und interpretiert nicht selber alles mögliche hinein, was eventuell auch gar nicht drinnensteht. Stellt Fragen, ja, seid kritisch und bohrt nach.

  • george

    ‚wollpertinger‘,
    Auch die fatale spanische Gruppe ist vor über 100 Jahren von einer Geflügelfarm in den USA auf die Menschen übergesprungen. Dabei meint man nur die Grippe und nicht unbedingt den Verursacher Virus und noch dazu in einem ganz anderen Sinne, als normalerweise die meisten unter „springen“ verstehen. In der strengen Wissenschaftssprache werden allerdings unter den Berufskollegen solche verwaschenen Begriffe vermieden und nur von Übertragung gesprochen.

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