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Coronaspondenz

Coronaspondenz I: Erliegen  [android speaking]

 Von Katja Renzler

Es gibt zur Zeit zwei vorherrschende Gesellschaftslagen, horizontal betrachtet.

Die Rückenlage ist jene, die zu diesen ungewissen Zeiten von den meisten präferiert wird.  In der Rückenlage schläft es sich sicher, wenn auch medial überinformiert. Sie sagen, nur ein toter Fisch schwimme mit dem Bauch nach oben? Die Gesellschafts-(Um)Lage beweist das Gegenteil. Natürlich gibt es Leugner der Situation, verzweifelte Kontaktsuchende, zukünftige Überlebende und gegenwärtig Erlebende häuslicher Gewalt, aber auch unverbesserliche Festhaltende an demokratischen Prinzipien und der Freiheit des Individuums. Letzteres wird eben gerade jetzt als der unteilbar kleinste Teil einer Gesellschaft verstanden, die sich staatsorganisch ebendieser kleinsten Zelle bemächtigt, sie sterilisiert und dann in Kanülen aufsaugt. Wir alle dürfen Gregor Samsas sein, die dann kanülisiert ausgespuckt in verschiedenen und vor allem einzelnen Petrischalen isoliert werden, bleiben werden, egal, ob Terrorzelle oder nicht. Petri Heil! Zu ihrem (wessen?) eigenen Schutz also liegt das asoziale sputum, die verinselte Gesellschaftszelle rücklings in ihrer Petrischale und wundert sich, oder auch nicht mehr, über das, was gekommen ist, was noch kommen wird, und vor allem: wie.

Die Bauchlage ist die Kehrseite der Gegenwartsmedaille, so to speak. Bäuchlings angekabelte Kabelwesen werden zu transhumanen Hybriden. Mensch trifft Maschine trifft Mensch. Dazwischen liegt ein Keim zur Mediation, quasi als intermediäre Nährlösung, interspeziesistischer Überbrückungskredit zwischen ungleichen Wesen. Zusammenschweißen des Angesichts. Das Atmen fällt schwer oder ganz aus. Es ist nicht einfach zu sagen, woher das röchelnde Geräusch kommt. Mensch, Maschine? Maschine, Maske, Mensch. Mansch, Menschine, mascherine. Vorerkrankungen, anyone? Soon, you’ll be petering out, too. Petri Heil!

Im Maschinenraum der neuen Welt legt man die Androidenfische auf den Bauch. Die Lungen, die keine Kiemen mehr sind, füllen sich mit Wasser. Das coronaschwangere Furchtwasser umschmeichelt die Bauchschlafenden, legt sich im Pleuraspalt über Sein oder Nichtsein.

Keine Angst: Der Tod ist gerecht. Er macht keine Unterschiede zwischen Nichtschwimmern und Schwimmern. A numbers game. Relax.

Coronaspondenz II: Auf(er)stehen  [a somewhat fishy reply]

Als Petersfisch muss ich dezidiert widersprechen. Alles halb so wild. Nein, halt: Alles wild! Endlich kann man sich wieder vor die Grotte wagen. Endlich einmal ist Ruhe im Fahrwasser der Menschheit eingekehrt. Mich haut jetzt so schnell keiner mehr in die Pfanne! Zwar wird das Wasser deswegen nicht weniger warm. Lassen wir den Menschen aber ihre primitive, öko-romantische Freude mit den Delfinsichtungen in Sardinien und der venezianischen Lagunentransparenz. Das Klima läuft ohnehin auf Standby, so beiläufig, laufend, unaufhaltsam, unlike corona.

Zu dem bißchen Virus: Wie immer dreht sich der Mensch so lange um seine eigene Hochachse, bis er sich vor lauter Realitätsverwerfungen übergeben muss. Als Einzelgänger muss ich sagen, dass mich die ganze Sache mit der Selbstisolation ziemlich kalt lässt. Von Gruppen halte ich sowieso nicht viel. Wer seine Dummheit in der Schwarmintelligenz verstecken will, wird rasch  zur leichten Beute. Blöd gelaufen, denn Schwarmfische sind meine Leibspeise. Schnapp!

Und was das Atmen anbelangt: Solange mir das Atemwasser nicht ausgeht, ist meine Welt noch in Ordnung. Wenn ich an die Luft müsste, würde ich sehr schnell mit dem Bauch nach oben schwimmen. So gesehen kann ich dieses krankhafte Festhalten an der frischen Luft nicht ganz nachvollziehen… naja. Scheint so, als ob die Menschheit gerade aus dem letzten Loch pfeifen würde. Vielleicht können diese Nichtschwimmer ja nachher endlich verstehen, wie es allen anderen Lebewesen mit ihnen, den Coronas der Schöpfung, den ganz schön paranoiden Androiden, geht. Da bleibt einem ja nicht nur die Spucke, sondern auch die Luft weg! Aber nichts für ungut. Sie müssen jetzt nicht gleich in Schnappatmung gehen, auch wenn ich ein toller Hecht (naja, nicht ganz!) bin…   Damit aber wieder zurück zum Leben, zum Laichbusiness. Ich spende jetzt im Frühjahr  meinen tiefgewässerten Rogen und Ihnen gerne meinen Segen. Apropos: Kenner nennen mich auch den Christusfisch. In diesem Sinn: Frohe Auferstehung und Peters Heil!

Zur Person

Katja Renzler, geboren 1979 in Brixen, Studium der Anglistik und Slawistik in Wien und Klagenfurt. Veröffentlichungen von Lyrik in KulturelementeSignumDie Presse. 2004 Publikation des Lyrikbandes wortverwandtschaften im skarabaeus verlag. Unterrichtstätigkeit an Oberschulen in Südtirol. Tut, was sie nicht lassen kann. Tut manchmal auch nicht, was sie lassen kann.

Info

Die Sammlung der Texte, die Südtiroler Schriftsteller*innen zu und während der Quarantäne verfassen und als Reihe in der Südtiroler Tageszeitung publiziert werden, mündet in ein Lesefest von Literatur Lana. Zu Beginn des Sommers, hoffentlich, sollen die Kurzerzählungen, Essays, Gedichte oder Notizen in einem langen Reigen gelesen und mit ihnen ein Wiedersehen gefeiert werden. Das Projekt unterstützt Schriftsteller*innen in Zeiten von Corona.

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