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„Die Folgen sind bereits gravierend“

Georg Lun, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstitutes, über eine mögliche Wirtschafts- und Bankenkrise, das geschwächte Italien, den Imageschaden für Südtirol, die notwendigen Maßnahmen – und über den bereits erlittenen Schaden für die gesamte Wirtschaft.

Tageszeitung: Herr Lun, in der Wirtschaft kommt es in unregelmäßigen Abständen immer wieder zu Rezessionen. Die letzte war vor zehn bis zwölf Jahren. Dachten Sie, dass die nächste Krise so schnell kommt?

Georg Lun: Das ist ja keine klassische Rezession, sondern wirklich eine außergewöhnliche Situation, die aufgrund des Coronavirus entstanden ist und dazu führt, dass die Regierung gezwungen ist, die ganze Wirtschaftstätigkeit mehr oder weniger zu verbieten. Das ist nicht zu erwarten gewesen, sondern aufgrund der medizinischen Notwendigkeit eingetreten. Allerdings hat es schon im letzten Jahr international Anzeichen gegeben, dass die Wirtschaft mehr Schwierigkeiten hat. Deutschlands Wachstum ist im letzten Quartal 2019 noch auf Null ausgegangen, es hat Krisenherde rund um Europa gegeben und zudem den Handelskrieg USA-China. Das sind alles Faktoren, die die Wirtschaft insgesamt schon gebremst haben. Aber die jetzige Vollbremsung ist nicht vorhersehbar gewesen.

Die letzte internationale Wirtschaftskrise ging von den großen Banken und ihren Spekulationen aus. Jetzt könnte es umgekehrt sein: Die gebremste Wirtschaft könnte die Banken anstecken. Wie sehen Sie das?

Ja, es ist eindeutig die Realwirtschaft, die jetzt betroffen ist. Sie wird angehalten. Das bedeutet, dass es in vielen Branchen keine Umsätze mehr gibt und die Beschäftigung sinkt. Es gibt einen großen Bedarf an Kurzarbeit, die die Regierung jetzt zum Glück erleichtert. Es ist eindeutig die Realwirtschaft, die zu leiden hat. Die Banken in Europa sind zum Glück deutlich besser aufgestellt als noch bei der Finanzkrise. Sie haben einen Kapitalpolster und werden von der EZB nochmal mit Liquidität ausgestattet, damit sie die Zahlungsaufschiebungen für Unternehmen und Familien, die jetzt notwendig sind, auch verkraften.

Glauben Sie, dass die Banken diesmal nicht in die Knie gehen werden?

Das hängt ganz stark davon ab, wie lange diese Krise anhält. Wenn wir davon ausgehen, dass nach zwei Monaten Stillstand die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, dann gehe ich davon aus, dass es nicht zu riesigen Bankpleiten kommt. Wenn die Konjunktur aber nachhaltig geschädigt wird und die Normalisierung der Wirtschaftstätigkeit Monate oder sogar Jahre braucht, ist nicht auszuschließen, dass auch das Bankensystem in Mitleidenschaft gezogen wird. Man sieht jedoch erste Anzeichen in China, dass man nach zwei bis drei Monaten wieder zur Normalität zurückkehren kann – somit dürfte das eigentlich nicht passieren.

Geht Italien mit seinen eingeleiteten Maßnahmen derzeit den richtigen Weg?

Italien hat natürlich die Schwierigkeit, schon hochverschuldet zu sein und eigentlich keine Spielräume für eine Erhöhung der Staatsausgaben zu haben. Trotzdem ist das 25-Milliarden-Paket eine absolut notwendige Maßnahme. Man sieht auch überall in Europa, dass Pakete geschnürt werden, um zu versuchen dafür zu sorgen, dass nach diesen zwei Monaten die Unternehmen noch da sind und die Arbeitsplätze gesichert sind. Das Wichtige ist, dass die Produktionskapazitäten erhalten bleiben. Dass es keine Insolvenzen und Konkurse gibt und nicht Arbeitskräfte entlassen werden, die danach ganz schwer wieder einen Arbeitsplatz finden. Wenn es mit zwei Monaten getan ist, dann ist es im Großen und Ganzen schaffbar. Es wird aber Bereiche geben, die trotzdem in Schwierigkeiten geraten. Die Selbständigen, Freiberufler etwa haben ja keine Absicherung wie die Kurzarbeit. Sie müssen schauen, wie sie über die Runden kommen. Es gibt zwar einige kleine Hilfen, aber die sind sicher nicht ausreichend.

Reichen die 25 Milliarden Euro des Staates?

Deutschland etwa hat ein viel größeres Paket geschnürt, weil die Ressourcen vorhanden sind. Italien hat das gemacht, was angesichts der Finanzlage möglich ist. Natürlich wäre mehr Geld deutlich besser. Aber es ist ja schon ein neues Dekret für April in Planung, wo sicher zusätzliche Maßnahmen drin sein werden.

Italien hat noch nicht einmal die letzte Krise überwunden und weiter Schulden angehäuft. Rächt es sich, dass in Vergangenheit zu wenig getan wurde?

Sicherlich. Wenn man schon mit Krücken geht und ein Sturm aufkommt, ist es schwieriger zu bestehen als wenn man in Hochform ist wie etwa Deutschland mit seiner Finanzlage. Allerdings sind die Schwierigkeiten Italiens alle struktureller Natur: Italien wäre auch bei einem „normalen“ Konjunkturabschwung in Schwierigkeiten geraten, weil einfach die Wirtschaftsstruktur an sich nicht wettbewerbsfähig ist. Es fehlen seit Jahrzehnten die strukturellen Reformen, die in allen Berichten der EU angemahnt werden, aber nicht oder zu wenig umgesetzt werden.

Was kann Südtirols Politik in dieser Phase tun?

Die Landesregierung bringt ja schon Maßnahmen für Südtirol auf den Weg. Die wichtigste Maßnahme ist es zu versuchen, alle Zahlungen und Verpflichtungen, die jetzt fällig werden, möglichst zu verschieben, damit die aktuelle Phase nicht dazu führt, dass Unternehmen und Personen in Liquiditätsschwierigkeiten kommen und in Konkurs oder Finanzprobleme geraten. Die Landesregierung kann also – und wieder es sicher tun – versuchen, die ganzen Fristen zu verschieben, damit in der Phase, wo wieder eine geregelte wirtschaftliche Tätigkeit möglich ist, die Verpflichtungen dann auch erfüllt werden können von den Unternehmen und der Bevölkerung. Und sicher wird es mittelfristig auch Maßnahmen brauchen, um bestimmte Sektoren zu unterstützen.

Inwiefern?

Man muss etwa andenken, was man nach der Krise mit dem Tourismus tut, weil dort – wie ich vermute – ein gewisser Imageschaden entstanden ist. Man denke etwa an die Vorwürfe Deutschlands gegenüber dem Tourismus, die sicher nicht berechtigt sind. Denn der Tourismus in Südtirol hat sofort reagiert, als die ersten Fälle aufgetreten sind. Es ist sicher notwendig, Marketingmaßnahmen und vertrauensfördernde Maßnahmen zu setzen, um das Image wieder zu stärken.

Muss man sich auf das Szenario vorbereiten, dass das Coronavirus gravierende Folgen für Südtirols Wirtschaft und Arbeitsmarkt haben könnte?

Es hat schon gravierende Folgen, weil die Wirtschaft für zwei Monate praktisch auf Null gesetzt wird. Der Präsident des Ifo-Institutes hat gesagt: Die Wirtschaft zwei Monate auf 65 Prozent zurückzuschrauben – und die Tätigkeit ist ja halbiert, wenn nicht noch mehr – bedeutet, dass man auf das ganze Jahr gerechnet fünf Prozentpunkte des Wachstums verliert. Das ist enorm. Das ist gleich viel wie damals in der Finanzkrise. Der Schaden ist eigentlich schon passiert. Wichtig ist, dass sich die Coronakrise nicht langfristig auswirkt, sondern dass es eine zweimonatige Pause bleibt und die Wirtschaft danach möglichst schnell wieder in Schwung kommt. Alle Maßnahmen, die jetzt getroffen werden, versuchen sicherzustellen, dass die Wirtschaft nach der Coronakrise wieder voll durchstarten kann. Das ist das Wesentliche.

Interview: Heinrich Schwarz

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (27)

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  • leser

    Herr lun
    Duese worte waren zu schön gefärbt
    Italien geht nicht auf krücken sondern sitzt im rollstuhl und muss von externen geschoben werden
    Nur ein beispiel deutschkand rechnet bei einem budget das kurzfristug bereit gestellr wird von 150 milliarden und plant ein neuverschuldungsgrenze von höchstens 80%
    Italien liegt jetzt schon bei 130% und wird voraussichtlich bei 170% ankommen was defacto nur hilfe von aussen möglich macht
    Es stimmt auch nicht dass die banken gut aufgestellt sind sondern richtig ist dass diese immer noch nur kūnstlich am leben erhalten werden durch das gelddrucken der zentralbanken
    Aber lun wir werden das ja am stuchtag in 3 monaten sehen wie ehrlich due politik ist
    Denn diese lûge wird auffliegen und die zeche wird der bürger zahlen soviel steht fest
    Wünschenswert wäre es wenn die politik jetzt die gelegenheit wahrnehmen würde ehrlich zu werden aber auch das wird ein wunschtraum bleiben
    Es wird wohl oder über die verallgemeinerung der schulden kommen und die verursacher bleiben ungeschoren

  • josef.t

    Es wird wohl die Schwächsten, am härtesten treffen, wie Kleinbetriebe,
    Selbständige, sowie Familien, wo beide Eltern die Arbeit verlieren
    und vielleicht am Ende des Monats, nicht mehr das nötige Geld für
    Lebensmittel haben, geschweige irgendwelche Sachen zu kaufen,
    für die Kinder, denen Schuhe oder Kleider zu klein geworden, oder
    verschlissen sind ? Schulden können und müssen sicher gestundet
    werden, ob die dann jemals zurückgezahlt werden können ?
    Es werden wohl vielen, auf ein „Grundeikommen“ angewiesen sein,
    reicht das Geld überhaupt für alle ?
    Ob die EZB das alles stemmen kann, denn wie es scheint sind alle
    EU Staaten betroffen. 2008 waren die Banken in Krise, jetzt ist die
    Wirtschaft fast auf Null, auch in anderen Staaten auf dem Globus,
    hat und wird das Virus seine Macht gezeigt ?

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