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Das große Zittern

Laut Bauernbund-Obmann Leo Tiefenthaler werden sich die Probleme der Milchhöfe eher verschlimmern. Der Weinsektor verzeichnet derzeit einen Rückgang von 80 bis 90 Prozent – und die Gärtnereien müssen ihre Pflanzen vernichten. Nur dem Obstsektor geht es gut.

Tageszeitung: Herr Tiefenthaler, wie sieht es bei den Südtiroler Milchhöfen aus, die zuletzt Schwierigkeiten hatten, neues Verpackungsmaterial zu bekommen?

Leo Tiefenthaler: Das Problem wird sich in nächster Zeit eher verschlimmern, weil der Höhepunkt an Corona-Infektionen noch nicht erreicht ist. Es wird natürlich immer schwieriger, Verpackungsmaterial zu kriegen. Auch der Konsum ist etwas zurückgegangen. Wie es sich weiterentwickelt, hängt stark von der Länge der Krise ab. Die Situation ist wirklich schwierig. Mila-Bergmilch hat ja inzwischen über die Mitglieder die Produktion minimiert, um größere Probleme zu vermeiden. Man wird von Tag zu Tag Entscheidungen treffen müssen – auch je nachdem wie der Absatz ist.

Die Genossenschaft Bergmilch sagte zuletzt, dass sich die Situation verbessert habe. Ist die Krise dennoch nicht ausgestanden?

Wir hoffen, dass es sich verbessert. Aus meiner Sicht kann der Absatz fast nicht schlechter werden, weil der Mensch ja ein bestimmtes Quantum an Milchprodukten als Grundnahrungsmittel braucht. Deshalb denke ich, dass sich die Situation stabilisieren wird.

Aber wenn man die Produkte nicht verpacken kann für den Transport zu den Geschäften, dann wird es schwierig…

Richtig. Das grundsätzliche Problem ist, dass Verpackungsmaterial fehlt bzw. schwierig zu organisieren ist.

Sind die Milchpreise ziemlich im Keller?

In den letzten acht bis zehn Tagen waren die Preise rückläufig. Aber das kann in zwei Wochen wieder ganz anders ausschauen. Die Entwicklung ist momentan sehr unberechenbar.

Beim Wein, sprich den Kellereien, dürfte sich die Situation kaum verbessert haben…

Der Weinverkauf hängt natürlich sehr stark mit dem Tourismus zusammen, wo alles geschlossen ist. Etwas Wein verkauft man über die Kaufhäuser, aber der Restaurant- und Hotelbereich ist von einem Tag auf den anderen komplett eingebrochen. Jetzt hängt es von der Dauer der Krise und der Wiedereröffnung im Gastgewerbe ab. Danach wird es sich schon verbessern.

Wie groß ist aktuell der Rückgang der Weinverkäufe im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum?

Sicher minus 80 bis 90 Prozent, wenn man diese Tage mit den letztjährigen gleichen Tagen vergleicht. Das Gesamtergebnis kann man erst am Ende des Jahres dokumentieren. Wir hatten bis Ende Februar eine relativ gute Saison, weil der Tourismus gut lief und der Weinkonsum zufriedenstellend war. Jetzt waren 14 Tage wirklich schwach im Absatz. Man muss die nächsten Wochen und Monate abwarten, um einen Überblick über die Gesamtsituation zu kriegen.

Organisiert man sich bereits hinsichtlich der heurigen Weinernte, damit der Platz in den Kellereien für den neuen Jahrgang gegeben ist?

Wir sprechen uns dazu derzeit mit dem Konsortium Südtirol Wein und dem Kellereiverband ab, um erste Maßnahmen zu ergreifen. Es ist aber extrem schwierig, denn die Zeit ist noch viel zu kurz. Wir haben die ersten zwei Wochen, die wirklich dramatisch sind, hinter uns. Da ist schwierig vorauszusehen, was sich in den nächsten Wochen und Monaten tut. Ich würde momentan eher ein bisschen ruhig bleiben. Im Bereich Wein haben wir zum Glück ein Produkt, das nicht zugrunde geht, das man lagern kann. Das ist ein großer Vorteil im Vergleich zu Milch- oder Gärtnereiprodukten. Die Gärtnereien haben jetzt die Pflanzen für den Verkauf vorbereitet, müssen sie jetzt aber total vernichten.

Die Pflanzen in den Gärtnereien, die geschlossen bleiben müssen, müssen vernichtet werden?

Ja, dort ist die Situation wirklich katastrophal. Zwischen Pflanzen und Blumen wäre alles perfekt gerichtet, doch die Gärtnereien dürfen nicht verkaufen. Das fällt genau in die Hauptsaison. Das Frühjahr ist für die Gärtnereien die wichtigste Jahreszeit, um Produkte zu verkaufen und ein bisschen Geld zu verdienen.

Beim Obst sagten Sie vergangene Woche, dass die Situation nicht so schlimm sei – im Gegenteil: dass derzeit mehr gekauft wird…

Ja, es ist weiterhin so. Momentan wird Gemüse und Obst eingekauft, was verständlich ist. Der ganze Konsum hat sich sozusagen von der Restauration ins Privatleben verlagert. Das heißt, die Leute kaufen vermehrt in den Geschäften und konsumieren daheim. Der Konsum in Restaurants fällt komplett flach. Seien wir froh, dass wir Obstgenossenschaften in Südtirol haben, die ein sehr gut lagerfähiges Produkt mit sehr guter Qualität haben, das jetzt für die Bevölkerung zur Verfügung steht. Das ist in diesem Moment sehr wertvoll.

Wie funktioniert aktuell der Export der landwirtschaftlichen Produkte?

Je nachdem. Wenn man einen Frächter findet, ist es eigentlich kein Problem. Aber das Problem ist, einen Frächter zu finden. Zum Teil weigern sich auch Chauffeure, nach Italien zu fahren, weil sie danach unter Umständen in Quarantäne müssen, wenn sie wieder zurückkommen. Ein Problem ist auch, dass hauptsächlich nur noch Lebensmittel transportiert werden. Dadurch wird der Transport teurer, weil auf der Rückfahrt keine anderen Produkte transportiert werden können. Auch für den Umweltschutz sind wenig Leerfahrten von Lkw sinnvoll. Derzeit ist es für Transportfirmen schwierig, Transporte zu kombinieren.

Was sagen Sie zu den Hilfspaketen von Staat und Land?

Es ist mal ein erster Anfang. Man wird sicherlich nicht gleich ein volles Paket machen können – auch weil man nicht weiß, wie lange die Krise dauert. Man wird sukzessive nachhelfen. Wichtig ist, dass man der gesamten betroffenen Bevölkerung hilft, den Unternehmen und den Arbeitnehmern. Es ist gut, dass öffentliche Beiträge soweit möglich früher ausbezahlt werden und Zahlungen aufgeschoben werden. Das ist eine Hilfe für die Wirtschaft, aber auch für die Privaten daheim.

Reichen die bisher beschlossenen Maßnahmen aus?

Das ist schwer zu sagen. Es kommt auf die Dauer der Krise an, darauf, wie lange die Leute daheim und Betriebe geschlossen bleiben müssen. Der Staat, aber auch das Land und die EU werden sich nach dem richten müssen. Je nach Entwicklung wird man gegebenenfalls ein zweites oder drittes Hilfspaket schnüren müssen. Das wird nicht anders gehen.

Interview: Heinrich Schwarz

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