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„Wir werden das überstehen“

Bernd Gänsbacher

Wie sinnvoll ist es, alle Schulen zu schließen? Darf man noch Hände schütteln? Wird Corona im Sommer verschwinden? Wie lange überlebt das Virus auf einer Türklinke? Wie reagieren Kinder auf das Virus? Fragen an den Immunologen Bernd Gänsbacher.

TAGESZEITUNG Online: Herr Professor, schütteln Sie noch Hände, oder machen Sie es wie Horst Seehofer, der Kanzlerin Angela Merkel nicht die Hand gegeben hat?

Bernd Gänsbacher: Sie werden über meine Antwort überrascht sein. In den guten Uni-Kliniken in den USA schüttelt kein Arzt die Hand. Das ist auch der Grund dafür, dass ich in Europa immer wieder auffalle, weil ich nicht Hände schüttle. Man weiß, dass man durch das Händeschütteln Krankheitserreger überträgt, das darf man in einem Krankenhaus nicht machen!

Sie schütteln seit jeher keine Hände?

Ja, das hat nichts mit dem Coronavirus zu tun. Man soll von vornherein wissen, dass man beim Händeschütteln die Erreger übernimmt, die der andere auf der Hand, auf seiner Haut trägt. Nach fünf Minuten juckt die Nase, man fährt rauf, und über die Nasenschleimhaut ist man infiziert.

Wie viele SüdtirolerInnen sind bereits mit dem Coronavirus infiziert?

Das kann ich nicht beantworten, aber sicher mehr als bekannt sind. Der Grund ist, dass 80 Prozent dieser Fälle ganz milde Symptome zeigen wie zum Beispiel eine leichte Erkältung. Die Leute laufen also mit dieser Erkältung herum, die Erkältung klingt nach sieben oder zehn Tagen ab, weil das Immunsystem reagiert, aber in dieser Zeit haben die Leute neun oder zehn Tage lang andere Personen infiziert. Man geht davon aus, dass eine Person im Schnitt drei weitere Personen ansteckt.

Experten wie Christian Drosten von der Charitè in Berlin sagen: Es werden sich 70 Prozent der Menschen mit dem Corona-Virus infizieren …

Drosten ist ein hervorragender Mann, er war seinerzeit an der Entdeckung des SARS-Virus beteiligt. Man muss wissen, dass 10 bis 20 Prozent der normalen Erkältungen von Corona-Viren ausgelöst werden, nicht vom neuen Virus, sondern von anderen Corona-Stämmen, es gibt ja hunderte davon. Gefährlich sind jene Corona-Stämme, die vom Tier auf den Menschen überspringen, weil der Mensch keine Antikörper gegen diese Stämme hat. Deshalb wird sich – und Christian Drosten hat Recht – das neue Coronavirus in der Spezies Mensch genauso ausbreiten wie eine Influenza-Infektion. Es gibt nur einen Unterschied …

Nämlich?

Bei der Influenza tut sich das Virus viel schwerer, auf den Menschen überzuspringen als beim Coronavirus, weil sehr viele Menschen geimpft sind.

Coronavirus (Foto: LPA/ pixabay)

Also werden am Ende 70 Prozent der Menschen sich mit dem Coronavirus infizieren?

Ob es 60 oder 70 Prozent sein werden, das weiß ich nicht. Es werden aber viele sein.

Das bedeutet?

Das bedeutet nichts! Viren und Menschen haben eine gemeinsame Geschichte. Im Laufe der Jahrmillionen sind Lebewesen andauernd von Viren infiziert worden, so auch der Mensch über die letzten Jahrtausende. Ungefähr 20 Prozent des menschlichen Genoms bestehen aus viraler DNA. Das heißt: Die Viren waren maßgeblich an der Evolution der Menschen beteiligt. Diese Infektionen haben der menschlichen Natur einen Spielball gegeben, um neue Gene zu bilden und sich als Spezis weiterzuentwickeln.

Viele Menschen fragen sich: Warum infizieren sich Urlaubsgäste, wo wir in Südtirol nur zwei Coronavirus-Fällehaben?

Das stimmt eben nicht! Wenn Sie einen Schlüssel verlieren und mit der Taschenlampe genau dorthin leuchten, wo der Schlüssel im Dunkeln liegt, dann sehen Sie den Schlüssel, aber Sie sehen alles andere nicht. Das bedeutet: Wenn man in Südtirol nur zwei  Infizierte gefunden hat, dann heißt das nicht, dass es nicht noch andere Infizierte gibt.

Es könnte aber auch sein, dass diese Urlauber bereits infiziert waren, als sie nach Südtirol gekommen sind …

Ja, das wäre möglich, aber das wäre die schlechtere Nachricht.

Warum?

Weil das würde bedeuten, dass sie während ihres Urlaubs in Südtirol das Virus ausgeschieden und Leute infiziert haben.

Was halten Sie von den Maßnahmen, die das Land Südtirol getroffen hat?

Ich finde, dass der Landeshauptmann die richtigen Entscheidungen trifft. Natürlich wird es nicht gelingen, die Epidemie einzudämmen, aber wir können die Ausbreitung des Virus verlangsamen. Sicher ist: Irgendwo sitzen in diesen Gemeinden, die jetzt von den Maßnahmen betroffen sind, Virusausscheider, weil sie entweder von den Urlaubern infiziert wurden oder weil sie selbst die Urlauber angsteckt haben. Man darf dem Virus keine idealen Bedingungen bieten. Kindergärten und Schulen sind – genauso wie Massenveranstaltungen – Orte, die solche idealen Bedingungen bieten.

Ministerpräsident Giuseppe Conte mi Angelo Borrelli (Foto: Facebook/ Giuseppe Conte)

Die Regierung Conte hat beschlossen, alle Schulen für die Dauer von 15 Tagen zu schließen. Was sagen Sie dazu?

Man weiß, dass sehr viele Viren in Kindergärten und Schulen von jungen Menschen auf die Eltern und die Geschwister übertragen werden. Beim neuen Coronavirus ist noch nicht klar, wie viele Kinder infiziert worden sind. Von den 80.000 Infizierten in China waren nur 2,4 Prozent Kinder. Aber man weiß nicht, ob diese Kinder nur einen leichten Verlauf hatten, also asymptomatisch waren, und ihre Eltern und Geschwister angesteckt haben. Das könnte man nur mit serologischen Tests beweisen, das heißt, wenn an die Kinder sowohl auf IgM- und IgG-Antikörper gegen diesen Virus testen würde. Aber diese Tests gibt es noch nicht.

Diese Maßnahmen sind also richtig?

Dass man mit diesen Maßnahmen auf dem richtigen Weg ist, belegt auch die Situation in China, wo mit der sozialen und physischen Isolation Unglaubliches geleistet worden ist. Man hat die Epidemie eindämmen können! Denken Sie nur daran, dass wir am 31. Jänner mit 31.000 Neuinfizierten pro Tag die Höchstzahl erreicht hatten. Seit diesem Tag sinkt die Zahl der Neuinfektionen kontinuierlich, am vergangenen Dienstag waren es nur mehr 200 an einem Tag. In China verlassen also längst schon wieder mehr Leute das Spital als Leute hineingehen.

Gibt es Medikamente gegen das Coronavirus?

Es gibt über 80 klinische Studien in China, zehn davon sind Impfstudien, die restlichen 70 Prozent betreffen Medikamente, die getestet werden. Man verwendet dabei auch Medikamente, die gegen andere Viren erfolgreich sind wie zum Beispiel gegen HIV. Der Grund ist der, dass das Coronavirus genauso wie die HIV-, Influenza- und Masernviren sogenannte RNA-Viren sind, die gemeinsame Mechanismen haben, so dass ein Medikament, das bei einer Virusfamilie eingesetzt wird, auch bei den anderen getestet werden kann.

Wann wird es einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben?

Die Tests für den ersten Impfstoff sind bereits letzte Woche gestartet. Dabei wird nur die Gen-Sequenz des Oberflächenproteins Spike verwendet, wobei man in drei Gruppen unterschiedliche Dosen testet und schaut, ob diese Patienten Antikörper gegen dieses Oberflächenprotein entwickeln. Es kann sein, dass wir bereits am Ende des Jahres einen Impfstoff haben.

Sie klingen sehr zuversichtlich?

Wichtig ist zu verstehen, dass auch bei der Ebola-Epidemie, die weitaus gefährlicher war, weil sie eine Mortalität von 30 bis 40 Prozent hatte, ein Impfstoff entwickelt wurde, der funktioniert hat. Nur durch diesen Impfstoff hat man verhindert, dass sich Ebola im Rest der Welt ausbreiten konnte. Das sollte auch den Impfgegnern zu denken geben.

Wie lange überlebt das Coronavirus? Tage? Oder nur Stunden?

Stunden? Also man sollte nicht alles glauben, was einem serviert wird! Ich habe den öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland eine E-Mail geschrieben, weil ein sogenannter Gesundheitsexperte im Morgenmagazin behauptet hat, dass das Coronavirus nur neun Stunden auf einer Türklinke überleben könne. Es gibt genügend klinische Studien – sogar von deutschen Unis –, die beweisen, dass das Coronavirus neun Tage an verschiedenen Oberflächen überleben kann. Das hängt von den Umweltbedingungen ab. Wenn eine Türklinke der UV-Bestrahlung ausgesetzt ist, wird es nicht neun Tage überleben. RNA-Viren mögen grundsätzlich Wärme und Luftfeuchtigkeit nicht, das ist auch der Grund dafür, warum wir in der nördlichen Hemisphäre im Winter die Grippe haben, aber in Wirklichkeit ist die Influenza auf dem gesamten Planeten Erde vorhanden. In unserem Sommer infiziert sie die Menschen in der südlichen Hemisphäre im dortigen Winter.

Also kann man davon ausgehen, dass die Corona-Fallzahlen mit Beginn der wärmeren Jahreszeit abnehmen werden?

Ja, die Zahlen werden aus verschiedenen Gründen abnehmen. Einmal, weil die Medizin dazulernt, und weil der Sommer kommt. Aber wenn das Virus einen Wirt findet, in dem er leben kann, wird es wahrscheinlich in der nächsten kalten Jahreszeit wieder zurückkehren. Allerdings haben wir bis dahin wahrscheinlich schon Impfungen und andere Medikamente.

Wie sollen sicher Lehrer verhalten, in deren Klassen Schüler sind, die über die Semesterferien in den gelben Zonen waren?

Wie soll man sich verhalten? Es ist ein Wahrscheinlichkeitsspiel! Es besteht die Möglichkeit, dass Kinder infiziert sind. Beim Auftreten der geringsten Symptome sollte so ein Kind getestet werden.

Diese Symptome wären?

Die Symptome kennt man aufgrund der Erfahrungswerte aus China genauestens: 90 Prozent der Patienten haben Fieber, so zwischen 38 und 39, 80 Prozent haben einen trockenen Husten, 40 Prozent weisen Kurzatmigkeit auf. Diese Kandidaten sollten sofort getestet werden.

Was soll man machen, wenn eine Person in einem geschlossenen Raum oder in einem Bus stark hustet?

Aussteigen bzw. den Raum verlassen!

Töten Desinfektionsmittel das Virus ab?

Foto: 123rf

Ja, unabhängig davon, ob sie die gängigen Infektionsmittel, 70-prozentiger Alkohol, eine Jodtinktur oder Wasserstoff verwendet wird: Diese Mittel töten das Virus nach einer Einwirkzeit von 30 bis 60 Sekunden ab.

Was halten Sie vom gängigen Spruch: Corona ist nur eine normale Grippe?

Das stimmt und das stimmt nicht. 10 bis 20 Prozent der normalen Grippeerkrankungen werden von Coronavirus-Stämmen verursacht. Das sind Stämme, die schon lange im Menschen und deshalb nicht gefährlich sind. Hier handelt es sich um ein neues Virus, das vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist, das noch nie im Menschen gelebt hat. Dieses Virus ist gerade dabei, seine eigene Geschichte zu schreiben.

Was können Sie zur Mutation des Virus sagen? Weiß man schon, wie es sich verändert?

Das erste Male wurde das Virus am 1. Jänner 2020 in Wuhan isoliert und in Bezug auf das virale Genom sequenziert. In der Zwischenzeit verfügt man über 154 Virusisolate aus verschiedenen Ländern, die ebenfalls sequenziert und beschrieben worden sind. Dabei hat man – wenn man das Ausgangsvirus aus Wuhan mit anderen Virusisolaten aus verschiedenen Ländern vergleicht – 93 Veränderungen in den Basen des Virus-Genoms gefunden. Drei Buchstabendveränderungen sind bedeutend, weil sie im S-Protein, als im Oberflächenprotein des Virus liegen. Dieses S-Portein bindet an den ACE2-Rezeptor der Menschen und ermöglicht dem Virus den Eintritt in das Innere der menschlichen Zelle. Wenn sich die Struktur des S-Proteins ändert, kann das zur veränderten Bindungsfähigkeit führen.Hier sieht man also den evolutionären Druck, man sieht, wie sich Viren an die Umgebung anpassen und ihren genetischen Code so verändern, dass die optimal überleben können.

Auch in Bezug auf die Inkubationszeit gibt es konträre Meinungen?

Der Zeitraum zwischen Infektion und dem Beginn von Symptomen beträgt im Durchschnitt drei bis fünf Tage. Es wurden aber auch Fälle von Patienten beschrieben, die bereits nach dem ersten Tag oder bis zum 27. Tag symptomatisch waren. Solche Fälle sind extrem selten, bei letzteren könnte es sich um eine Reinfektion handeln.

14 Tages Quarantäne sind also genug?

Ja, das passt.

Herr Professor, nehmen wir an, es käme zu einer großen Epidemie, was würde in so einem „worst case“ passieren?

Ein „worst case“-Szenario gibt es in dem Sinn nicht. Es hat ja bereits ähnliche Pandemien und Epidemien mit Übertragungen vom Tier auf den Menschen gegeben. Wir hatten im Jahr 2002 SARS, da ist das Virus von der Fledermaus auf den Menschen übergesprungen, wir hatten im Jahr 2012 MERS, wo das Virus vom Kamel auf den Menschen übertragen wurde. Beide Male hat die Menschheit diese Epidemie ohne größere Probleme überstanden. Das wird auch diesmal der Fall sein.

Interview: Artur Oberhofer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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