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Stehen uns Goldene Zwanziger bevor?

Arno Kompatscher im großen Tageszeitung-Interview: Warum Südtirol für das neue Jahrzehnt gerüstet ist, er HC Strache und den Populisten keine Träne nachweint – und sich eine dritte Amtszeit als LH gut vorstellen kann.

Tageszeitung: Herr Landeshauptmann, die Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts stehen sinnbildlich für Aufbruch, Wirtschaftswachstum, Modernisierung und für eine Blütezeit in der Kultur …

Arno Kompatscher: … doch sie mündeten in der Großen Krise und im Ende der Weimarer Republik.

Wenn Sie sich die Vorzeichen heute, am Beginn der neuen Dekade, ansehen: Stehen uns erneut Goldene Zwanziger Jahre bevor?

Ich bin kein Anhänger einer zyklischen Geschichtsphilosophie, wo man glaubt, Geschichte wiederhole sich. Aber es gibt natürlich Parallelen zu den Zwanziger Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts, das stimmt: Wir leben in einem Zeitalter der Transformation, des Übergangs. Neue Herausforderungen kommen auf uns zu, die Welt ändert sich momentan in einer rasanten Geschwindigkeit. Wir stehen am Beginn einer neuen Epoche.

Was sind die großen Zukunftsherausforderungen, die uns in den kommenden Jahren erwarten?

Globalisierung, Digitalisierung, Migration und Klimawandel. Wir stecken schon mittendrin in einer Phase der Transformation, der Automatisierung und Robotisierung. Die damit einhergehenden Veränderungen bieten Chancen, sind aber auch mit Ängsten verbunden. Eine allgemeine Krisenstimmung ist spürbar und drückt sich in Form der Nationalismen aus. Das ist sicherlich auch eine Parallele zum vorigen Jahrhundert. Ich hoffe, dass wir es dieses Mal besser machen als in den Zwanzigern des 20. Jahrhunderts, die in der Großen Krise und in der Katastrophe gemündet haben.

Ist Südtirol gewappnet für eine „goldene Zukunft“? Oder anders gefragt: Was sind die dringenden Erfordernisse, die das Land erfüllen muss, um in diesem sich schnell wandelnden globalen Kontext bestehen zu können?

Südtirol ist ein sehr kleines Land mit etwas mehr als einer halben Million Einwohner. Es ist klar, dass wir nicht die Welt bewegen. Unsere Kleinheit hat aber auch den Vorteil, dass wir – dank unserer Autonomie – ein kleines Labor sein können. Wir können Dinge gestalten und vielleicht schneller als andere antizipieren. Zum Beispiel können wir in der Klimapolitik und bei den gesellschaftlichen Herausforderungen, die damit verbunden sind, Vorreiter sein. Bei allen diesen Umwandlungen geht es um Gerechtigkeit, die soziale Frage rückt immer stärker in den Mittelpunkt. Die große Frage lautet, ob wir es schaffen, dass wir am Ende ein für alle Menschen positives Modell entwickeln können. Vielleicht können wir mit unserer Kleinheit sogar etwas schneller sein. Darin steckt durchaus eine Chance.

Stichwort Digitalisierung: Der Verwaltungsapparat des Landes scheint hier noch in den Kinderschuhen zu stecken, viele Beamte arbeiten nicht mit iPad und E-Government, sondern mit Kugelschreiber und Lineal. Wie wollen Sie hier die Kehrtwende einleiten?

Wenn man sich den demografischen Wandel ansieht, dann bietet uns die Digitalisierung große Chancen. Wir hätten in der öffentlichen Verwaltung überhaupt keine Chance, all die durch Pensionierungen freiwerdenden Stellen nachzubesetzen, weil uns dafür schlicht und einfach die Leute fehlen. Deshalb ist es eine Chance, durch Digitalisierung Verwaltungsabläufe zu beschleunigen, zu vereinfachen, zu verschlanken und zusammenzuführen. Allerdings ist das eine große Herausforderung, weil es zunächst einmal zusätzliche Ressourcen braucht, um das bewältigen zu können und um danach mit weniger auszukommen. Wir in Südtirol sollten die Gelegenheit beim Schopf packen und aus den Herausforderungen, die uns bevorstehen, neue Möglichkeiten zu schaffen.

Viele Menschen treibt die Sorge um, dass ihnen im Zuge der Digitalisierung Roboter den Arbeitsplatz wegnehmen könnten. Ist diese Angst berechtigt?

Die Szenarien, die sogenannte Zukunftsforscher aufzeigen, sind völlig unterschiedlich. Zum einen wissen wir, dass wir in Europa am Arbeitsplatz nicht genügend Arbeitskräfte haben, um all die Leistungen zu erledigen, die die moderne Wohlstandsgesellschaft erfordert; zum anderen gibt es die Sorge, dann irgendwann nicht mehr dabei zu sein, weil es in der Arbeitswelt zu sozialen Verwerfungen und Schlechterstellungen kommt. Diese Herausforderungen müssen wir aktiv angehen, indem wir das Digitalisieren mit einer noch vom Menschen betreuten Dienstleistung einhergehen lassen. Ein Beispiel: Die Gemeinden sollen als Ansprechpartner für die Personen im Bereich der digitalen Verwaltung des Landes fungieren; man kann dort hingehen, wenn man bei Aufgaben Hilfe braucht, die man nicht alleine vom Wohnzimmer aus bewältigen kann. All die zwischenmenschlichen Bereiche, all die Berufe, die zwischenmenschliche Beziehungen notwendig machen, werden weiterhin vom Menschen betrieben. Der Mensch muss weiterhin im Mittelpunkt stehen. Das gelingt nur, wenn wir den Roboter als Mittel zum Zweck sehen.

Wie wollen Sie Südtirol bis 2050 klimaneutral machen?

Zunächst einmal ist das kein Hirngespinst Südtirols, sondern auch die Europäische Kommission hat sich dieses Ziel gesetzt. Wir in Südtirol sind dank der Vorarbeit der Vorgängerregierungen, insbesondere dank Ex-Landesrat Michl Laimer, sehr gut aufgestellt. Wir haben im Vergleich zu 1990 unseren CO2-Ausstoß deutlicher reduziert als viele vergleichbare Regionen. Deshalb können wir hier Vorreiter sein und für uns persönlich Vorteile herausziehen. Beim KlimaHaus beispielsweise wurden unsere Planer und Unternehmen entsprechend exportfähig, weil wir die ersten in Italien waren, die diese Technologie beherrscht haben. Aus dem Ziel, klimaneutral zu werden, können wir eine Zukunftschance für unsere Jungen machen. Das Handwerk stellt traditionell dauerhafte Möbel und nicht Wegwerfprodukte her, der Trend geht hin zu einer Kreislaufwirtschaft und weg von der Wegwerfwirtschaft. Deshalb sehe ich für Südtirol durchaus Chancen. Wir werden aber umdenken müssen.

Trump, Salvini, Johnson: Das zu Ende gehende Jahrzehnt war auch das Jahrzehnt der aufstrebenden Nationalisten. Nun hat Sebastian Kurz – entgegen diesem Trend – eine Regierung mit den Grünen gebildet. Kann Österreich damit das Signal einer Trendwende aussenden?

Man kann durchaus positive Signale erkennen. Schon bei den letzten Europawahlen war ein großer Sieg der Populisten und der antieuropäischen Kräfte vorausgesagt worden. Es folgte ein Wahlergebnis, das die moderaten, proeuropäischen Kräfte gestärkt hat. Nun gibt es diese neue Regierung in Österreich. Allerdings lässt sich noch kein definitiver neuer Trend erkennen, weil es noch zuhauf nationalistische Parteien und Gruppierungen in Europa gibt, die hohe Zustimmungswerte haben. Das ist darauf zurückzuführen, dass das Vertrauen in die klassische bürgerliche Politik noch nicht wiederhergestellt wurde. Nach der Finanzkrise und aufgrund der Entwicklungen durch Globalisierung und Migration wurde sehr viel Vertrauen erschüttert, die Menschen haben das Gefühl, abgehängt zu werden, sie glauben, dass es in der Welt nicht gerecht zugeht. Man muss sagen: Sie haben zum Teil nicht Unrecht, wenn man etwa die Steuerparadiese ansieht. Man muss das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen, um tatsächlich diese nationalistischen Ideen überwinden zu können. Denn diese sind verwurzelt in Zorn, Angst und Enttäuschung. Es sind die einfachen Gesetze, die Zustimmung finden. Man sucht den Sündenbock und präsentiert einfache Lösungen. Das hat in der Geschichte leider immer funktioniert. Es ist noch nicht ausgemacht, dass jetzt die Vernunft obsiegt. Dazu muss die moderate Politik wieder Vertrauen gewinnen.

HC Strache, der ihnen vor den letzten Landtagswahlen noch eine „Watschn“ gewünscht hat, ist mittlerweile in der Versenkung verschwunden. Verspüren Sie hier eine kleine Genugtuung?

Das hat mich auch schon damals nicht sonderlich berührt, weil meine Wertschätzung für einen Politiker vom Schlage eines Strache nie eine besonders hohe war. Personen, die mit nationalistischen Parolen Neid und Hass schüren und nach unten treten, um Zustimmung zu erzeugen, und sich aufspielen, als ob sie quasi aufräumen im Stall, haben sich öfter in der Geschichte als diejenigen herausgestellt, die den eigenen moralischen Ansprüchen in gar keiner Weise gerecht werden. Vor Strache war das schon bei Jörg Haider so. Mich hat ein Werturteil eines Strache wenig berührt, weil ich von einer solchen Art Politiker keine besonders hohe Meinung habe.

Bevor Sie Landeshauptmann wurden, haben Sie erklärt, dass für Sie zehn Jahre ausreichen. Das hieße, Sie müssten im Laufe dieses Jahrzehnts nach einer neuen Herausforderungen Ausschau halten. Würde Sie denn ein EU-Mandat reizen?

Zunächst einmal: Meine Aussage damals lautete, dass man eine 15-jährige Mandatsbeschränkung einführen sollte. Das ist auch geschehen. Und ich habe hinzugefügt, dass ich aus der damaligen Perspektive zehn Jahre durchaus als einen Zeitraum erachte, der für mich persönlich ein ausreichender wäre. Jetzt stehe ich im zweiten Mandat, habe meinen Auftrag noch für weitere vier Jahre. Ich sehe viele große Herausforderungen, sehe große Chancen und bin zuversichtlich, gemeinsam mit meinen Kollegen in der Landesregierung und im Landtag viel Positives bewegen zu können. Ich bin sehr gerne Landeshauptmann. Deshalb freue ich mich zunächst einmal auf diese Zeit. Alles andere wird man sehen. Ich schließe eine Wiederkandidatur nicht aus, genauso wie ich nicht ausschließe, dass es irgendwann auch keine politischen Ämter mehr sind und ich andere Herausforderungen außerhalb der Politik suche. Jetzt gilt es erst einmal, diese vier Jahre gut zu gestalten.

Man merkt aber, dass Sie sich auf dem großen diplomatischen Parkett äußerst wohlfühlen …

Es hat mich in den letzten Jahren immer wieder gefreut, dass meine Netzwerkarbeit auch Früchte getragen hat. Das ist wichtig für Südtirol. Die Stärke unserer Autonomie liegt darin, dass sie von der Europäischen Union als Modell gesehen wird. Deshalb sehe ich einen Teil meines Auftrags auch darin, dieses Netzwerk zu pflegen. Das hilft uns und stärkt Südtirol.

Interview: Matthias Kofler

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (19)

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  • morgenstern

    „Die leere Worthülse ist die Stiefschwester der hohlen Phrase.“

    (chin. Phyl.)

  • bernhart

    Er wiederspricht sich andauern, Verschlankung, Bürokratieabbau ,schnelleres Umsetzen,Vereinfachung das alles sind Träume. Wie jeder Politiker nur leere Worte.
    Kompatscher ist nicht Durnwalder, dieser LH hat immer Wort gehalten und war auch für die kleinen Bürger da. LH wir wollen Taten und nicht leeres Gerede., es hat den Anschein,dass bald Wahlen sind,sie sind schon auf Stimmenfang.

    • pingoballino1955

      LH und Flughafen und die LOBBYS sagt alles!!! Wer denken kann wird sich seinen „Reim“ über das BLA BLA BLA von diesem honorigen Herren? selbst machen! Übrigens wo bleibt die soziale Verantwortung für Rentner/innen Pensionisten/innen Behinderte usw,die vergessen sie immer,warum?Herr LH?? Ach ja die Gemeinderatswahlen,da muss man früh genug BLA BLA BLA!
      Hoffentlich wissen die Wähler zu unterscheiden,was bla bla ist und was FAKT ist.

    • george

      @bernhart
      „Wort gehalten“? Für wen, nur für seine Lobby. Den Kleinen hat er nur Sonntagsreden gehalten und Versprechungen gemacht, aber eingehalten hat er sie dann selten. Weißt du nach welchem Grundsatz sie glauben immer die Ratten einfangen zu können? Wenn sie für sich selbst was zu bestimmen haben, sind sie übermächtig; wenn es um ihr Lobby geht, dann sind sie mächtig; wenn es darum geht um etwas für die einfachen und kleinen Leute durchzusetzen, dann sind sie meistens ohnmächtig und verweisen auf Rom oder Brüssel. Das war schon bei Durnwalder so und ist nachher nicht viel anders geworden.

  • leser

    Ich würde kritisieren dass die redaktion eine überschrift setzt
    Stehen uns wieder goldene 20iger bevor
    Ihr wisst schon dass die zwanziger jahre des vorigen jahrhundert die düstersten waren
    Wir haben viele parallelen
    USA hat trotz hochkonjunktur einen schuldenberg von 23 billionen und eine monatluche neuverschuldung von etwa 400 milliarden
    Die klimaneutralität von europa kann als gescheitert betrachtet werden
    Die finanz liegt dank nullzinspolitik praktisch am biden
    Das labor südtirol steht wahrscheinlich gut da wie kompatscher es beschreibt weil es eben nur um ein häuflein (500.000) alpenbewohner handelt die keinen ei fluss auf das weltgeschehen haben
    Trotz der abwanderungen unserer intelligenten jugend werden es die dabkeibenden kinder der wirtschaftsbosse und deren diener schön haben und due politik kann ihre schönen worte weiter predigen auch verlängerte amtszeiten

  • leser

    Tageszeitung
    Welche goldenen zwanziger meint ihr denn
    Die zwanziger haben politisch den aufstieg der braunen gesellschaft ermöglicht und die waren alles andere als goldig

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