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„Geben Sie Bettlern Geld?“

Josef Haspinger ist seit April vergangenen Jahres Präsident der Südtiroler Vinzenzgemeinschaft. Ein Gespräch über die Not in einem reichen Land, das Verschwinden der Arbeitnehmer und warum wir auf eine gravierende Armutskrise zusteuern.

TAGESZEITUNG Online: Herr Haspinger, geben Sie einem Bettler auf der Straße Geld?

Josef Haspinger: Selten. Ich treffe auf meinem Weg immer die gleichen, die mich um Geld fragen. Da mache ich nicht mit.

Wie groß ist die Not im Land? Lässt sie sich beziffern?

Kommt darauf an, wie man Not definiert. Es gibt die versteckte Not, die sichtbare und die vorgetäuschte. Mit allen dreien sind wir konfrontiert. Die schlimmste ist diejenige, die man nicht sieht. Das sind Menschen, die sich schämen, arm zu sein. Häufig sind das Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben und in ihrem dritten Lebensabschnitt zu wenig zum Leben haben.

Wie viele Bedürftige betreut die Vinzenzgemeinschaft?

Das ist sicher eine vierstellige Zahl über 5000.  

Wer sind diese Menschen? Rentner, Geringverdienende?

Rentner, Geringverdiener, Alleinerziehende, Menschen, die in infolge einer Krankheit in Not geraten sind, aber es gibt auch solche, die mit Geld nicht umgehen können.

Das wären diejenigen, von denen man sagt: Selber schuld.

Selbst schuld würde ich nie sagen. Mit Geld umgehen, muss man auch lernen können und manche hatten vielleicht nie die Chance, es zu lernen. Der eine braucht wenig zum Leben, der andere kommt mit viel Geld nicht aus.

Ein Spielsüchtiger beispielsweise.

Der bekommt auch von uns kein Geld. Das tun wir generell nicht, wir begleichen Rechnungen oder versuchen, ihm Hilfe zu geben, damit er sich selbst erhalten kann.

Kommen Spielsüchtige zur Vinzenzgemeinschaft?

Ja. Wir sprechen mit ihnen und versuchen zu überzeugen, in eine Therapie zu gehen.

Südtirol ist ein reiches Land, trotzdem werden allein von der Vinzenzgemeinschaft über 5000 Menschen unterstützt. Wie ist das möglich?

Der Reichtum ist nicht gleichmäßig verteilt. Ein kleiner Prozentsatz ist sehr reich, ein großer Prozentsatz hat wenig Geld zur Verfügung. Das ist nicht nur bei uns so, sondern überall auf der Welt. Eine Hauptursache sind zweifellos die nicht steigenden Löhne. Wenn ich höre, dass die Landesverwaltung die Gehälter heuer um 0,9 Prozent erhöht, bleibt mir die Spucke weg. Das bedeutet konkret, dass allein die Inflation des laufenden Jahres, von der des vergangenen Jahres gar nicht zu reden, die Erhöhung zur Gänze kassiert.  Betroffen davon sind vor allem die kinderreichen Familien, weil ja Kindergarten- und Mensabeiträge nicht reduziert werden. Solche Kosten müsste meines Erachtens jede Gemeinde selbst tragen.

Neben kinderreichen Familien sind vor allem alleinerziehende Mütter betroffen.

Frauen wird generell mehr zugemutet als Männern. Sie haben die Kinder und sie müssen einen Beruf ausüben.

Wie meinen Sie das?

Männern wird eher geholfen. Es genügt, sich in den Nachbarschaft umzuschauen. Wenn ein Mann allein ist, heißt es, dem muss man helfen, der kann das ja nicht. Von einer Frau sagt man, die wird das doch können, kochen, bügeln und das alles.

Was glauben Sie, wo diese Haltung herkommt?

Das scheint so etwas wie angeborene Haltung zu sein.

Steuern die kaum steigenden Löhne uns auf eine immer gravierendere Armutskrise zu?

Das wird so kommen, weil die Mieten und die Abgaben kontinuierlich steigen. Die Lohnskala im öffentlichen Dienst wird den Betroffenen kaum eine andere Möglichkeit lassen, als sich einen zweiten Job zu suchen. Offiziell dürfen sie nur einen bestimmten Prozentsatz dazuverdienen, auf den wiederum Abgaben zu leisten sind. Die Folge wird sein, dass sie sich schwarz etwas dazuverdienen. Jeder würde das tun, wenn es ums Überleben geht.

Der Vinzenzverein ist einer der ältesten karitativen Vereine mit einer langen Tradition, der sich früher vor allem um einheimische Menschen in Not kümmerte. Gilt das auch noch in Zeiten verstärkte Migration?

Wir machen keinen Unterschied beim Helfen. Weder nach Religion, noch Rasse, noch Geschlecht. Wir haben viele Einheimische, aber auch viele Zugewanderte, aber auch Flüchtlinge kommen mittlerweile zu uns. An der Pforte zum Kapuzinerkloster gibt es Frühstück mit Brot und einem Yoghurt. Manchmal können wir ihnen etwas mehr geben, weil uns die Bäcker Rest vom Vortag spenden. Täglich kommen zwischen 100 und 150 Leute, um sich dieses Frühstück zu holen. Vor anderthalb Jahren waren es noch die Hälfte.

Das gleiche Szenario spielt sich täglich beim Vinzibus am Verdiplatz ab.

Dort wird Mittags und Abends ein Essen verteilt. Zu Mittag macht das die Organisation Volontarius, wir machen es an drei Abenden, an den restlichen drei die italienische Vinzenzgemeinschaft. Auch dort wird der Zulauf stärker, auch wenn es sehr schwanken kann. Manchmal sind es sehr viele, manchmal weniger. Warum das so ist, weiß ich nicht.

Eine weitere Initiative ist der Vinzimarkt. Dort müssen die Leute eine Berechtigung zum Einkaufen vorweisen.

Sie müssen die Bedürftigkeit nachweisen und dürfen ein bestimmtes Einkommen nicht überschreiten. Auf dieser Basis bekommen sie Punkte, mit denen sie einkaufen können. Manche Lebensmittel kosten je nach Verfügbarkeit mehr Punkte, manche weniger. Zucker haben wir relativ viel, weil wir einen großzügigen Spender haben. Das bedeutet, Zucker bekommen die Leute für wenig Punkte. Öl ist Mangelware, deshalb müssen sie für eine Flasche Öl viele Punkte hergeben. Wir versuchen, die zur Verfügung stehenden Lebensmittel einigermaßen gerecht zu verteilen. Brot bekommt jeder, auch ohne Punkte abzugeben.

Die Lebensmittel sind zur Gänze gespendet.

Ja, die bekommen wir von Unternehmen und Geschäften aus der näheren und weiteren Umgebung.

Dann betreiben Sie auch noch die Kleiderkammern in mehreren Städten.

Davon betreiben wir insgesamt sieben, die größte und auch älteste in Bozen. Die haben an drei Tagen wöchentlich geöffnet, zweimal für Männer, einmal für Frauen. Wir sind da relativ gut ausgestattet, weil viele Bürger uns gute Kleidung bringen.

Eine neue Initiative ist das Winterhaus.

Das ist eine Initiative des Unternehmers Heiner Oberrauch, der das Haus Obdachlosen zur Verfügung stellt. Einige freiwillige Bürger und auch die Vinzenzgemeinschaft leiten das organisatorisch und halten Nachtwache. Von 8 Uhr Abends bis 8 Uhr morgens sind immer zwei Freiwillige anwesend und erledigen den Dienst. Zwischen 40 und 50 können dort übernachten. Bei der Zahl der Obdachlosen in Bozen ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Stadt hat einiges getan, auch wenn man darüber streiten kann, ob die Maßnahmen vernünftig sind oder nicht.

Warum?

Die Stadt stellt einen großen Saal für etwa 90 Personen zur Verfügung. Da kommen verschiedene Nationen, Religionen und Charaktere zusammen, was selbstverständlich konfliktträchtig ist. Das sind Menschen, die alle nichts haben und jeder hat Angst um das wenige, das er hat. Sie sind gereizt, weil sie ums nackte Überleben kämpfen.

 Wie steht es um die Spendenbereitschaft der Südtiroler?

Ich freue mich über jede Spende, egal ob es ein paar Cent sind oder mehr. Wir brauchen das Geld dringend. Gerade zur Weihnachtszeit sind die Südtiroler sehr großzügig.

Soziale Kälte kann man ihnen nicht vorwerfen.

Nein, das kann man nicht. Beim Obdachlosenessen hat mich ein Rundfunksender gefragt, ob sie mit einem einheimischen Obdachlosen reden können. Ich wusste, das ist schwierig, weil viele sich schämen. Dennoch waren zu meinem Erstaunen zwei bereit dazu. Die Reaktion auf den Bericht war, dass man ihnen eine Kleinstwohnung in einem Seitental angeboten hat.

Die Scham scheint eines der größten Probleme zu sein.

Ja, absolut. Ich kann ihnen eine Geschichte dazu erzählen. Eine Frau hat mir eines Tages gesagt, wie sie beobachtet hat, dass der Nachbar immer sehr früh schlafen geht. Nach mehreren Unterhaltungen sind wir draufgekommen, dass der Mann nicht imstande war, die Stromrechnung zu bezahlen. Der ist mit der Dunkelheit ins Bett gegangen und mit dem Licht wieder aufgestanden. Auch Gas hatte er keines und folglich nichts Warmes zum essen. Um Hilfe zu fragen, hat er sich nicht getraut. Hätte die Frau in der Nachbarschaft nicht achtgegeben, wäre das nie aufgefallen.

Armut ist das am meisten Diskriminierende in unserer Gesellschaft.

Ja, dieser Mensch kann einfach nicht mehr mithalten. Davon sind vor allem auch Kinder betroffen. Ein Beispiel: Wir sammeln Schultaschen und sind dankbar um jede, auch um alte. Aber alte Schultaschen sind schwer vermittelbar, weil ein Kind mit einer alten Schultasche gehänselt und zum Außenseiter wird. Außenseitertum kann schon sehr früh im schulischen Alter beginnen.

Wie viele Freiwillige arbeiten für die Vinzenzgemeinschaft?

Insgesamt arbeiten 550 Leute freiwillig und ohne jegliche Vergütung für die Vinzenzgemeinschaft.

Sie waren Schuldirektor und Geschäftsführer der SVP-Arbeitnehmer unter Otto Saurer. Wie sehen Sie die Situation der Arbeitnehmer? Haben sie noch die Kraft, sich für mehr soziale Gerechtigkeit einzusetzen?

Wollen Sie eine ehrliche Antwort?

Ja.

Gibt es die Arbeitnehmer noch?

Wie konnte das passieren?

Ganz einfach. Wenn man nicht zur Basis hinausgeht und mit den Menschen redet, bricht der Kontakt ab. Das ist passiert. Die Volkspartei hat aber auch alles getan, um die Arbeitnehmerbewegung zu zerstören. Ich sage absichtlich zerstören, denn wenn man jemandem alle bezahlten Mitarbeiter nimmt, ist keine Arbeit mehr möglich. Meines Erachtens haben aber auch die Mandatare ihre Hausaufgaben nicht erfüllt. Das rächt sich ganz brutal.

Interview: Heinrich Schwazer

 

 

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Kommentare (19)

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  • vogelweider

    Ich ziehe meinen Hut vor Ihnen, Herr Haspinger!

  • asterix

    Haspinger hat vollkommen recht mit seiner Aussage zu den Arbeitnehmern in dieser SVP Vettern und Lobbypartei. Die Arbeitnehmer wurden ganz gezielt und systematisch demontiert. Ich hoffe, bei den nächsten Wahlen kriegen sie einmal eins auf die Rübe, was zu einem Umdenken führen könnte. Auf jeden Fall beschreibt es Haspinger sehr gut. Einige wenige sind sehr reich, der Rest kann schauen wo er bleibt.

  • bernhart

    Her Haspinger ihr Artikel regt zum nachdenken an.
    leider sind die Bettler meist nicht die Nutzniesser der Spenden, auch Bettler werden ausgebeutet,das sollte nicht unterstüzt werden.
    Arbeitnehmer hatten wir einmal, schade was geblieben ist, bei der letzten Wahl hat ein Arbeitnehmer verloren, diesen Sarner hätte ich zugetraut, dass er die Arbeitnehmer wieder auf Vordermann bring, aber leider wurde eine Frau gewählt zum schaden der Arbeitnehmer, diese war jahrelang Stellvertreterin und hat nichts gebracht.

    • asterix

      @bernhart, ja, dem Sarne hätte ich auch mehr zugetraut. Der ist aber zu unbekannt. Und für die Gemeinderatswahlen im Mai braucht es für die unbedarften Arbeitnehmer Schafe wieder ein bekanntes Gesicht. Die Frau Amhof ist ein reiner Stimmenstaubsauger für die Wahlen.

    • asterix

      @bernhart, ja, dem Sarne hätte ich auch mehr zugetraut. Der ist aber zu unbekannt. Und für die Gemeinderatswahlen im Mai braucht es für die unbedarften Arbeitnehmer Schafe wieder ein bekanntes Gesicht. Die Frau Amhof ist ein reiner Stimmenstaubsauger für die Wahlen.

      • george

        Dem Sarner hätte ich überhaupt nicht mehr zugetraut. Kenne ihn und hatte schon öfters mit beiden (Amhof u. Kienzl) zu tun. Da bräuchte es schon einen ganz neuen, aktiven und engagierten Menschen, der sich getraut, den Oberen die Stirne zu bieten und Eigenständigkeit vorlebt antatt Kriechertum.

  • bernhart

    Kienzl ist unbekannt,aber er ist nicht dumm,hatte mit Ihm zutun er war hilfsbreit und kompetent.
    Wär als Arbeitnehmerchef der richtige.

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