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Die Freiheitsstraße

Die Freiheitsstraße auf einer Ansichtskarte aus dem Jahr 1960

La Fabbrica del Tempo – Die Zeitfabrik dokumentiert in einem Buch und einer Ausstellung die Planung und Entwicklung der Bozner Freiheitsstraße.

„Die walschen Lauben“ wurde die Freiheitsstraße despektierlich von deutscher Seite getauft. Ab 1935/36 im Kontext der faschistischen Neuplanungen für ein italianisiertes „Groß-Bozen“ gemäß dem Bauleitplan von Marcello Piacentini angelegt hieß sie ursprünglich „Corso dell’Impero“  bzw. „Corso IX Maggio“, da am 9. Mai 1936 Diktator Benito Mussolini nach dem Eroberungsfeldzug in Abessinien das italienische Imperium ausgerufen hatte. Die monumentalen Bauten waren daher auch funktional für die Italianisierungsbestrebungen des Regimes und nehmen ihren Ausgang nicht zufällig vom 1928 eingeweihten Siegesdenkmal.

Die Faschisten wollten den deutschen Charakter der Altstadt mit einer neuen Stadt „korrigieren“. Ihren jetzigen Namen, der ausdrücklich auf den Untergang der faschistischen Diktaturen Bezug nimmt, erhielt die Straße erst nach der Befreiung vom Nazifaschismus 1945. Zentrales Gebäude war der „Palast des Tourismus“ (späteres „Corso-Kino“), 1938/40 , das nach einem Entwurf von Armando Ronca gebaut wurde. Der ästhetisch qualitätsvolle Bau wurde 1988 abgerissen und mit anonymer Funktionsarchitektur ersetzt.

Aktuell will die Freiheitsstraße sich weiterentwickeln und neu positionieren, doch wie? Der Kulturverein La Fabbrica del Tempo – Die Zeitfabrik, der sich bereits mehrfach mit Architektur auseinandergesetzt hat, greift den Plänen mit einer Ausstellung in einem leerstehenden Geschäft an der Freiheitsstraße und einer wissenschaftlichen Publikation, herausgegeben von Hannes Obermair, Fabrizio Miori und Maurizio Pacchiani,

unter die Arme.

Obermairs Beitrag „Der Corso della Libertà. Zur Entstehung und Matrix eines Bozner Boulevards“ zeigt die Ursprünge der Mittelachse des modernen Bozen, die den Stadtteil Gries mit der Altstadt verbinden sollte. Der „Corso Littorio“, aus dem rasch „Corso IX Maggio“ oder auch „Corso dell’Impero“ wurde, diente nicht nur als Bühne für die Veranstaltungen des Regimes, sondern bot auch der neuen italienischen Führungsschicht Wohnraum. Angela Grazia Mura, „Vor der Via Littoria – Eine Reportage über Bozens Zwischenkriegszeit“, erweckt die in den 1930er Jahren abgerissenen Gebäude wieder zum Leben, die der neuen Straßenachse weichen mussten.

Fabrizio Miori und Angela Grazia Mura haben aus dem reichhaltigen Materialien des Stadtarchivs Bozen und privater Sammler einige spezifische fotografische Beilagen zusammengestellt.

Maurizio Pacchiani stellt mit seinem Beitrag „Die Gebäude der Freiheitsstraße“ nicht nur die zwanzig einzelnen Gebäudekomplexe vor, die vom Siegesplatz bis zum Ende der Arkaden vor dem Grieser Platz reichen, sondern bietet auch  handels-, sozial- und kulturgeschichtliche Einblicke.

Der Beitrag „Die Gebäude der Italienischen Versicherungsanstalt INA am Siegesforum (1934-1940)“ von Cristiana Volpi unterstreicht die Rolle des Stadtentwicklungs- und Erweiterungsplans, der auf den Vorgaben des Architekten Piacentini beruhte. Der Bauleitplan definierte auch im Detail das Erscheinungsbild der einzelnen Neubauten, in die sich der monumentale Komplex des Istituto Nazionale delle Assicurazioni INA einfügt.

Der Beitrag „Propagandabilder im Dienst des Sieges und der Romanità. Reliefs und Skulpturen an der Freiheitsstraße“ von Waltraud Kofler Engl untersucht den Bestand an Inschriften und Skulpturen, die an die propagandistische Dimension des Straßenzugs  und seine zentrale Funktion in der faschistischen Ära erinnern.

„Die Freiheitsstraße als Ort von Schauspiel und Unterhaltung: Das Theaterkino Corso, das Cinegiarda und der Zirkus“ von Massimo Bertoldi zeigt, dass am Ende des Zweiten Weltkriegs in der Freiheitsstraße zwei Einrichtungen eingeweiht wurden, die Kultur und Unterhaltung in den noch neuen Stadtteil bringen und den sozialen Zusammenhalt weiter stärken sollten. Das 1947 eingeweihte Theaterkino Corso blieb bis 1970 Bozens wichtigstes Theaterhaus. 1946 wurde das Cinegiarda, ein Kino mit Garten und Tanzhalle, eröffnet, in dem auch Opern und Operetten aufgeführt sowie Sportveranstaltungen abgehalten wurden. Seit 1948 wechselten sich dort die Zirkusse Togni und Medrano ab.

Heute wirkt die Freiheitsstraße wie eine reine Verbindungsstraße zwischen Altstadt und Gries. Anonym und ohne Charme. Wie sie sich aufwerten lässt, steht in den Sternen. (sh)

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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