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Das besetzte Monopol

Vor 40 Jahren wurde in der Bozner Dantestraße ein leerstehendes Gebäude einen Monat lang von Kulturschaffenden besetzt. Ein kulturpolitisch einschneidendes Ereignis, an das nun in einem Buch erinnert wird.

Von Thomas Vikoler

Auch Hausbesetzer sehnen sich nach Ordnung und einem gewissen Maß an Hygiene. Das Gebäude, das am 6. Oktober 1979, einem Samstag, von mehreren hundert Personen in Beschlag genommen wurde, glich einer Kloake. Im ehemaligen Sitz des staatlichen Tabakmonopols in der Bozner Dantestraße, einem Jugendstil-Gebäude, hatten bis dahin Obdachlose und Drogenabhängige übernachtet.

„Nach der Besetzung gibt´s genug Arbeit für jeden: Zunächst beim Aufräumen“, heißt es in einem Begleittext zu einer Broschüre, welche die Südtiroler Hochschülerschaft (SH) und das Südtiroler Kulturzentrum im November 1980 herausgaben. Es enthält eine Dokumentation über ein kulturpolitisch einschneidendes Ereignis, das nach einem Monat unsanft beendet wurde: In den Morgenstunden des 5. November 1979 wurde das Ex-Monopol-Gebäude auf Anordnung des damaligen DC-Bürgermeisters Giancarlo Bolognini von Baggern plattgewalzt. Angeblich aus hygienischen Gründen. „Bolognini schickt die Panzer“, titelte einen Tag später die linke „Südtiroler Volkszeitung“.

Was in den vier Wochen davor auf dem Areal in der Bozner Dantestraße passierte, kann nachträglich als einer der Meilensteine der sogenannten Gegenkultur in Südtirol gesehen werden, ist aber mittlerweile so gut wie vergessen.

Anstelle des Ex-Monopol-Gebäudes, später jahrelang ein unbewachter Parkplatz, steht seit gut einem Jahrzehnt das Museum für Moderne Kunst (Museion), immerhin auch eine Kulturinstitution.

Vor 40 Jahren, in jenem kurzen Herbst der Anarchie, ging es um Elementareres: In Südtirol hatte sich infolge der hierzulande eher zaghaften Post-1968iger-Bewegung eine Kulturszene gebildet, die zu jenem Zeitpunkt ziemlich frustriert gewesen sein muss. Es fehlten Räume für kreativen Ausdruck abseits der offiziellen (Volks)Kultur. Und die war, der damals herrschenden Doktrin der regierenden Parteien SVP und DC, ethnisch streng getrennt.

Die Besetzung des Monopol-Gebäudes war offenbar, wie sich der nun in einem Buch („40 Jahre danach“) wiederveröffentlichten Broschüre aus dem Jahre 1980 entnehmen lässt, das Ergebnis einer kurzfristigen Entscheidung, nachdem das Südtiroler Kulturzentrum bereits ein Jahr ein Gesuch um (reguläre) Überlassung des Monopol-Gebäudes gestellt hatte.

Einige der Teilnehmer einer Anfang Oktober 1979 stattgefundenen Versammlung von über 20 Kulturorganisationen und Gewerkschaften schlugen diesen für damalige Verhältnisse radikalen Schritt vor, der, in einem Anflug von kollektiver Verwegenheit, am 6. Oktober 1979 vollzogen wurde: Die (illegale) Okkupation eines Hauses, das zivilrechtlich jemand anderem gehört, in diesem Fall der Monopolverwaltung.

„Samstag: 6.10: Ungefähr 60 Leute besetzen gegen 17.00 Uhr das Gebäude des ehemaligen staatlichen Tabakmagazins als Raum für kulturelle Initiativen“, heißt es dazu im „Besetzertagebuch“, das Martin Hanni, Mitherausgeber der Jubiläums-Publikation, ausgestöbert hat.

Eine Hausbesetzung, etwas, das sich in Bozen in diesem Ausmaß seitdem nicht wiederholt hat (und in anderen Städten mehr oder weniger zur Tagesordnung gehört).

Seit den 1980iger Jahren wird in Bozen über die Einrichtung eines „interkulturellen“ Veranstaltungszentrums diskutiert. Es gibt es bis heute nicht, im umgebauten Bahnhofsareal ist eines vorgesehen. Vielleicht. Das Modell dafür ist im Ex-Monopol-Gebäude anzusiedeln. Ein Ort, in dem Sprache und ethnischer Proporz nicht das Ausschlaggebende sind.

Ein Thema, das die Hausbesetzer damals intensiv beschäftigte. Während der einmonatigen Monopol-Besetzung wurde in den inzwischen wohnlich gemachten Räumlichkeiten für ein Theaterstück geprobt, das den Unmut über die Politik der ethnischen Segmentierung kanalisieren sollte: Berthold Brechts „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“, das später in Südtirol mit großem Publikumserfolg (weniger Kritikererfolg) sieben Mal aufgeführt wurde. 70 Akteure waren in das Projekt involviert, 1981, anlässlich der Proteste gegen die Volkszählung, wurden die im Stück verwendeten (Menschen)Käfige wieder eingesetzt.

Im besetzten Haus in der Dantestraße traten während des anarchistischen Monats Clowns auf, es gab Kindertheater und Gesangsvorführungen, auch der Verband der Wehrdienstverweigerer, der Südtiroler Frauenbund (SFB), der Südtiroler Jugendring und die Konföderierten Gewerkschaften solidarisierten sich mit den Besetzern, im Gemeinderat setzten sich die Linksparteien (PCI, PSI, SPS) mit einem Beschlussantrag für sie ein. Ohne Erfolg.

Es habe sich um eine „kurze Episode mit Tiefgang“ gehandelt, erinnert sich Dominikus Andergassen, einer der Protagonisten von damals und Mit-Herausgeber in „40 Jahre danach“. Maria Grazia Barbiero spricht von einer „bellissima, mai piu ripetuta, esperienza di socialità creativa, multidisciplinare e interlinguistica“. Der Musiker Andrea Maffei erinnert sich in anarchistischer Manier an den Spruch des damaligen deutschen Kulturlandesrates Anton Zelger, „Je besser wir und trennen, desto besser verstehen wir uns“. Sein Schlusswort: Diokane“.

Weitere Akteure von damals – Benno Simma, Claudio Vedovelli, Sandra Montali, Martin Peer, Maurizio Ferrandi, Luciano Casagrande, Gerd Staffler, Renate Mumelter und Concino de Concini – erinnern sich in zum Teil verklärenden Nachrufen an den „Kurzen Herbst der Anarchie“. Martin Hanni, bei der Monopol-Besetzung vier Jahre alt, erinnert in seinem gleichbetitelten Beitrag daran, dass in den Nachrufen für den im Mai verstorbenen Ex-Bürgermeister Bolognini die „unsportliche“ Abriss-Aktion vergessen worden sei.

Der Band, herausgeben von Dominikus Andergassen, Paolo Crazy Carnevale und Martin Hanni, ist im Verlag Alphabeta erschienen.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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