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„Luft nach oben“

Wie die Oppositionspolitiker im Landtag das Haushaltsgesetz beurteilen. Die Wortmeldungen.

Die Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit) stellte fest, dass in der Haushaltsrede viel von Nachhaltigkeit gesprochen wurde, aber mit wenig Inhalt. Nachhaltigkeit stehe in Zusammenhang mit Gemeinwohlökonomie, um einen respektvollen Umgang mit Mensch, Tier und Natur. Die Olympischen Spiele in Antholz würden als nachhaltig verkauft, aber dazu hätte man zuerst die Bevölkerung fragen müssen. Die überlastete Pustertaler Straße werde dann wohl ganz explodieren.

Nicht nachhaltig sei der Umgang mit dem Namen des Landes, wenn der südliche Teil Tirols als italienische Provinz Alto Adige präsentiert werde. Kompatscher lasse Kampfgeist für Südtirol vermissen, wenn er bei “Alto Adige” und Omnibusgesetz einen Rückzieher mache, um den Ministern alles rechtzumachen. Nicht nachhaltig sei es gegenüber den Südtirolern, wenn ihr Geld man dem Staat zum Schuldenabbau überlasse. Familien und Jugendliche täten sich mit ihrem Einkommen immer schwerer, etwas zur Seite zu legen.

Südtirol sehe sich gerne an erster Stelle in den Vergleichen. Aber es sei auch an erster Stelle bei den Lebenshaltungskosten und bei den Arbeitsstunden pro Woche. Wenn der Staat weniger nehmen würde, würde Familien und Betrieben mehr bleiben. Atz Tammerle sah die EEVE als überholungsbedürftig, sie sei weder familienfreundlich noch nachhaltig. Nicht gewährleistet würden auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Entscheidungsfreiheit bei der Kinderbetreuung.
Zu einem nachhaltigen Lebensstil der Südtiroler gehöre auch ein nachhaltiger “Überlebensstil” als österreichische Minderheit in Italien. Dazu gehörten auch das Recht auf Muttersprache, ohne gefährliche Experimente wie CLIL. Die nachhaltigste Lösung wäre die Loslösung von der Bevormundung Italiens.

Peter Faistnauer (Team K) hob aus Kompatschers Rede den Satz hervor, dass es neben Wertschöpfung auch Wertschätzung brauche, und bezog dies auf die kostenlosen Leistungen der Landwirtschaft zugunsten der Gesellschaft. Die Landwirtschaft biete direkt und indirekt viele Arbeitsplätze, erhalte die Landschaft und die Natur. Südtirol sei ein Land der Artenvielfalt, dazu werde auch die zuständige Landesabteilung neu organisiert.

Als Unterstützung schlug Faistnauer vor, dass bei Grün-Grün-Umwidmung die Pflicht zur biologischen Produktion im gesamten Betrieb vorgesehen wird. Die Landwirtschaft sei nicht nur Verursacher von CO2, es werde auch täglich CO2 gebunden. Das Budget für die Landwirtschaft sei über die Jahre stark gesunken, auch in der Ausbildung. Positiv sei, dass nicht nach dem Gießkannenprinzip gefördert werde, und dass die Berglandwirtschaft Vorrang bekomme. Die Weinwirtschaft habe vor 30 Jahren den richtigen Weg zur Qualität eingeschlagen und stehe nun auf eigenen Beinen.

Diesen Weg würden auch Milchwirtschaft und Obstwirtschaft gehen müssen. Bei der Biolandwirtschaft laufe die Landespolitik eher hinterher, z.B. bei der Bioregion Obervinschgau. Bedenklich sei, wenn die Kirche, trotz ihrer Mahnung zur Erhaltung der Schöpfung, die biologische Landwirtschaft für ihre Gründe nicht einführen wolle, weil sie Einbußen befürchte.

In der Haushaltsrede vermisste Faistnauer Überlegungen zur Energie. Die Alperia sei in öffentlicher Hand und müsste günstigere Preise bieten. Die Energiegenossenschaften, die günstiger seien, würden hingegen nicht unterstützt. Für die Jugend brauche es mehr Unterstützung, damit sie im Lande bleibe. Dazu brauche es auch leistbares Wohnen.

Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) vermisste einen ehrlichen Dank an alle steuerzahlenden Bürger. Der Haushalt sei stattlich, aber die Spielräume für Investitionen werde immer kleiner. Investitionen bräuchte es auch, um die Einnahmen auch in Zukunft zu sichern.

Kompatscher sehe Südtirol als eines der lebenswertesten Länder. Es sei auch lebenswert, aber nach oben sei immer Luft. Laut einer Studie sei Deutschland nicht unter den Top 10, vorne seien Norwegen, Island, Luxemburg und an vierter Stelle stehe ein Land mit mehreren Volksgruppen, deren Rechte gewahrt blieben: die Schweiz, ein Land, das für Südtirol in jeder Hinsicht ein Vorbild sein könne. Dort werde die Mehrsprachigkeit mit einer Selbstverständlichkeit gewahrt. Dort gebe es auch eine ausgewogene Information vor Volksabstimmungen und danach keinen Zweifel, worüber man abgestimmt habe. Wenn Kompatscher Südtirol in diese Riege einreihen wolle, dann bekomme er auch die Unterstützung der Freiheitlichen. Er sehe Südtirol oft als kleines Europa in Europa, aber Europa sei nicht ohne Probleme. Bei der Innovation seien heute andere Länder die Vorreiter. Die Konkurrenz on USA und China sei stärker geworden. Viele europäische Länder litten unter dem “brain drain”, auch Südtirol.

Auf der anderen Seite habe man die Zuwanderung von außerhalb Europas. Die Landesregierung müsse aufwachen und endlich handeln. Wenn man nicht endlich steuern könne, wer ins Land komme, könne man zusperren. Billigjobs seien kein Gewinn, meistens müsse die öffentliche Hand noch beitragen. Für unbegleitete Minderjährige gebe man mehrere tausend Euro im Monat aus, während viele Rentner nur 700 Euro bekämen. Ärzte aus dem Ausland könne man nur gewinnen, wenn man die Südtiroler Arbeitsplätze attraktiv mache.
Viele Südtiroler würden sich eine andere Politik erwarten, vor allem jene, denen das Land ihre Lebensumständen nicht verbessern konnte: Rentner, Fachleute, die im Ausland bessere Jobs finden, Leute, die Angst um ihre Sicherheit hätten, Eltern ohne echte Wahlfreiheit bei der Kinderbetreuung, Freiwillige unter Bürokratiedruck, Unternehmer unter dem Druck der Lohnnebenkosten, Bauern unter Preisdruck. Kompatscher habe also viel zu tun, wenn er Südtirol zum lebenswertesten Land machen.

Kompatscher freue sich über das gute separate Rating für Südtirol, unterschlage aber das Gesamtrating, das von Italien nach unten gezogen werde. Immer wieder müsse die Autonomie um ein bisschen Spielraum kämpfen. Bei der SVP gebe es durchaus aufrechte Menschen, aber es fehlten die Kämpfer. Von der sezessionistischen Lega sei auch nichts mehr übrig. Die Autonomie sei mutig und nicht ängstlich zu verteidigen, Südtirol müsse sich um mehr Eigenständigkeit bemühen. Eine eigene Region Südtirol wäre ein erster Schritt, bereits eine Sportautonomie wäre interessant. Ein Fortschritt wäre es, wenn sich alle gemeinsam zu diesem Land bekennen würden, aber da gebe es Nachholbedarf. Die Europaregion sei wichtig, trotzdem werde Südtirol immer eine Sonderrolle einnehmen müssen. Südtirol könnte zum kleinen Europa in Europa werden, wenn man die im Konvent angestoßenen Lösungen ernst nehmen würde.

Leiter Reber konnte im Landtag anders als LH Kompatscher keinen raueren Ton erkennen, persönliche Beleidigungen habe es nicht gegeben. Die Umgangsformen im Landtag würden das Bild von der Politik prägen. Leiter Reber verwies diesbezüglich auf die regelmäßig abgelehnten oder nicht umgesetzten Anträge der Opposition, während jene der Mehrheit oft Feigenblattaktionen seien. Der Mehrheit würde kein Zacken aus der Krone fallen, wenn sie Anträge der Opposition, die sie inhaltlich für gut befinde, auch annehme.

Der Landeshauptmann folge mit seinen Haushaltsreden immer den heißen Themen, erkannte Paul Köllensperger (Team K) an, meinte aber, dass Theorie und Praxis auseinanderklafften, zum Beispiel bei Biodiversität, Umwelt- und Klimaschutz, wie auch das Urbanistikgesetz zeige.

Kompatscher habe eine Durchforstung des Landeshaushalts versprochen, aber davon sei noch nichts zu erkennen. Ein einfaches Weiterschreiben der Haushaltsposten werde man sich in Zukunft nicht mehr leisten können. Laut positiver Prognose werde der Haushalt stabil bleiben, aber die laufenden Ausgaben, die unter Durnwalder aufgebaut wurden, würden weiter wachsen. Der Spielraum werde kleiner. Die hohe Schuldenlast bereite Italien große Schwierigkeiten, und Südtirol beteilige sich am Abbau. Die Frage sei die Sicherung der Einnahmen. Eine Flat Tax würde sich massiv auf den Landeshaushalt auswirken. Köllensperger fragte, wie man sich dagegen absichern wolle. Laut Sicherheitspakt könne Italien bei außerordentlichem Bedarf – den es eigentlich immer habe – 10 Prozent mehr von Südtirol verlangen. Südtirol pumpe mit 2.000 Euro pro Kopf mehr Geld nach Süden als die Lombardei. Aber man jammere auf hohem Niveau, es könne weiter großzügig verteilt werden.

Die Lohnabhängigen würden am stärksten unter den hohen Lebenshaltungskosten leiden. Die Aufweichung der Konventionierung sei nicht im Sinne eines leistbaren Wohnens. 16 Prozent der Haushalte seien armutsgefährdet. Ohne Unterstützung gäbe es noch mehr. Wichtig sei es hier, Chancengleichheit zu schaffen, angefangen bei der Aus- und Weiterbildung. Der Druck zur Stärkung der Löhne über die Irap sei richtig, bei der Irpef-Zusatzsteuer entlaste man den Mittelstand.

Digitalisierung gelinge nur, wenn man das Verfahren neu denken und nicht einfach in den digitalen Bereich kopiere. Bei der Digitalisierung der Sanität hätte man sich das Trentiner Modell abschauen können. Köllensperger fragte, wie die Aussprache in Rom zur Sanität ausgegangen sei. Laut EU sollte man 3 Prozent für Innovation und Forschung ausgeben, Südtirol liege bei 0,5 Prozent. Forschung und Entwicklung seien am besten bei den Betrieben aufgehoben. Dafür könnte man das Geld aus dem Verkauf der Investitionsbank hernehmen.
Es sei ein sehr traditioneller Haushalt, aber das hohe Niveau verleite zu Reformunlust, und diese könne man sich nicht mehr leisten. Kompatscher sollte sich rückbesinnen an den Elan, den er mit seiner ersten Haushaltsrede gezeigt habe.

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