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„Ich bin ein Lebenskünstler“

Seit 32 Jahren lebt Kurt Hans von Wohlgemuth als Aussteiger ohne festes Dach über dem Kopf und bewirtschaftet eine Fläche unterhalb von St.Pauls/Eppan. Wie er dazu gekommen ist, wie lange er noch so leben möchte und warum er alle Bauern in der Umgebung im Montiggler Wald ansiedeln will.

Tageszeitung: Kurt, im Überetsch bist du als Aussteiger mittlerweile eine wahre Attraktion, du bekommst viel Besuch. Stört dich dieser ganze Rummel um deine Person?

Kurt Hans von Wohlgemuth: Nein, eigentlich nicht. Erst vor wenigen Tagen kam eine Frau vorbei, die eine Führung haben wollte, weil sie von mir gehört hat, aber mittlerweile mache ich keine Einzelführungen durch meinen Garten mehr. Erstens habe ich keine Zeit dafür und zweitens: Je mehr Personen, desto besser. Es freut mich, wenn Leute kommen. Vor Kurzem war sogar eine Schulklasse hier und auch Leute von auswärts, Studenten und sogar Asiaten sind schon vorbeigekommen. Alle, denen ich meinen Hain zeige, sind davon beeindruckt. Ich wurde sogar schon zu Vorträgen eingeladen, allerdings habe ich dafür keine Zeit.

Wann hast du dich dazu entschieden, dieses Aussteiger-Dasein zu leben?

Ich bin am 15. August 1977 aus Bayern zurückgekommen. Seitdem lebe ich auch hier am Hang. Zuerst lebte ich in einer Holzhütte. Aber eigentlich wäre ich gar nicht zurückgekommen, nur weil meine Mutter mich gebeten hat, ihr bei der Arbeit zu helfen, bin ich zurückgekehrt. Ich musste lange darüber nachdenken, aber letztendlich bin ich dennoch hier geblieben. Nachdem ich mich mit meinem Stiefvater gestritten habe, bin ich in die Holzhütte gezogen. Dort hat mir meine Mutter immer Essen gebracht. Das heißt, ich lebe seit 32 Jahren als Aussteiger.

Du hast also nicht immer so gelebt. Wo hast du vorher gearbeitet?

Ich habe 13 Jahre lang in Bayern in Bad Eibling als Gärtner gearbeitet. Ich bin mit 18 Jahren nach Deutschland gezogen. Ich wurde dort in einer großen Firma angestellt. Mein Chef hat mir damals abgeraten nach Hause zurückzukehren. Er hat gesagt, das wäre der größte Fehler meines Lebens.

Das war er aber nicht?

Das hängt jetzt davon ab, wer von uns beiden länger lebt. Mein ehemaliger Chef hat mittlerweile den Betrieb verkauft. Ich werde alles dafür geben, dass ich länger lebe.

Fühlst du dich hier wohl?

Ja, das schon, aber es könnte besser gehen. Die Straße neben mir soll unterirdisch verlegt werden, denn unsere Luft muss sauberer werden. Auch von der Überetscher Bahn bin ich kein großer Fan. Mein Traum ist es, hier einen Luftkurort zu gründen. Man könnte, sobald die Luft sauber ist, eine Gesellschaft gründen, mehrere Flächen biologisch bewirtschaften und dann Kurtis Luftkurort-Hotel gründen (lacht). Dazu müssten aber alle Bauern in den Montiggler Wald ziehen.

Du hast dich bewusst für diesen Lebensstil entschieden. Wie kamst du zu dieser Entscheidung?

Mir war nach meiner Rückkehr aus Bayern einfach alles zu viel. Ich musste mich hier um das Weingut meiner Mutter kümmern. Das andauernde Gespritze, der strenge Terminplan, zwei Monate Reben schneiden, Laubarbeit und so weiter. Wenn man das acht Stunden am Tag macht, werden die Knochen müde. Wie gesagt, hat ein Streit mit meinem Stiefvater dazu geführt, dass ich in der Holzhütte leben musste. Damals ging es darum, ob ich den Rasen mähe oder nicht. Ich habe mich widersetzt und musste fortan draußen schlafen.

Wann hast du den Weinanbau aufgegeben und den großen Garten angelegt?

Das war, nachdem ich das Stück geerbt habe. Ich habe sofort alles  selbst entfernt und angefangen, alle möglichen Bäume und Pflanzen anzubauen. Die Idee für diese Permakulturen habe ich aus einem Buch. Mein Ziel ist es, wieder Teil der Natur zu werden. Ich möchte nicht nur Pflanzen, sondern auch den Tieren, den Katzen, den Mäusen, den Igeln, den Rehen, den Gämsen und vielen anderen einen Lebensraum geben.

Wie sieht dein Tagesablauf aus? Ist dieser überhaupt geregelt?

Ja, das ist er. Ich stehe morgens auf und beginne mit etwas Morgensport. Dazu grabe ich einfach Löcher. Denn bereits einige Meter unter der Erde ist der Boden noch warm. Danach fallen alle möglichen Arbeiten an. Derzeit bin ich zum Beispiel dabei, einen großen Laubhaufen zusammenzustellen, der Wärme speichert. Aber natürlich müssen auch die Äste der Bäume geschnitten, die Pflanzen gegossen und die Früchte geerntet werden. Wenn ich mal müde bin, setze ich mich hin und ruhe mich aus. Außerdem bin ich hier auch für das Wetter zuständig. Indem ich viel arbeite, wird das Wetter besser, wenn ich aber nichts tue, wird das Wetter schlecht.

Versorgst du dich selbst mit Nahrung?

Nein, Nahrung bringt mir immer mein Cousin, der mir die Reste aus dem Restaurant vorbeibringt. Teilweise esse ich schon auch mein eigenes Gemüse, aber das lege ich immer in Urin ein. Ich glaube nämlich, dass wir alle wieder mehr Urin trinken müssen – aber nur am Morgen, denn am Abend ist es scharf und ungenießbar. Urin ist aber Natursekt, mit dem wir länger leben könnten.

Sorgst du dich nicht, dass du irgendwann auf Geld angewiesen sein wirst?

Darum muss ich mich nicht sorgen. Ich vermiete einige meiner Flächen an Personen, die ich kenne. Sie bringen mir dafür Pflanzen, um das Geld kümmere ich mich nicht.

Du verzichtest mit deinem Lebensstil nicht nur auf ein Haus, auf ein Auto oder auf ein Bett sondern auch auf eine Familie…

Ja, das stimmt, aber in Bayern habe ich schon versucht, Beziehungen aufzubauen. Ich hatte zwei Jahre lang eine Freundin, mit der ich sehr glücklich war. Allerdings ist diese Beziehung auseinandergebrochen. Sie hat mir damals gesagt, dass ich nichts habe, nichts kann und ein Schlappschwanz bin. Das war für mich der Weltuntergang. Ich habe mich danach dem Alkohol zugewandt, habe angefangen meine Nächte in Diskotheken zu verbringen und stand kurz vor einem Kollaps. Erst nachdem ich erneut eine schlimme Nacht durchlebt habe und daraufhin im Grieser Hof beim Dr. Köllensperger in Behandlung war, hat sich mein Leben geändert. Ich habe meine ganze Energie in die Arbeit reingesteckt, habe dann aber gemerkt, dass auch das nicht das richtige ist. In der Landwirtschaft wird man im Team immer zu Höchstleistungen angetrieben. Nur wenn man alleine ist, kann man sich auch ausruhen.

Vermisst du manchmal dein früheres Leben?

Nein, überhaupt nicht. Mir geht es hier gut. Ich bin sogar froh, dass ich es hinter mir habe. Mein Leben kann ja nicht schlechter werden, es kann sich aus meiner Sicht nur bessern. Zumindest hoffe ich, dass ich die Lebensqualität steigern kann, in der Zeit, die ich noch habe. Ich habe aber gehört, dass wir nicht mehr viel Zeit haben, weil bald ein Komet kommen wird.

Als was würdest du dich bezeichnen: Bist du ein Visionär, ein Revoluzzer oder doch nur ein klein wenig verrückt?

Ich bin ein Lebenskünstler. Jeder muss sein Leben meistern, er muss nur das Beste daraus machen. Dazu darf man aber nicht nur zu Hause herumsitzen, sondern man muss raus in die Welt gehen.

Wie lange wirst du noch hier bleiben und so leben?

Wenn sie mich nicht verjagen, bleibe ich hier, bis ich sterbe. Aber es kann gut sein, dass ich wegen Geruchsbelästigung oder wegen des Züchtens von Tigermücken verjagt werde. Ich züchte diese Mücken nämlich, weil die Weinbauern sie töten wollen, dabei sind auch sie Teil der Natur.

Interview: Markus Rufin

Zur Person

Fährt man von Bozen ins Überetsch, kommt man bei der Abzweigung Richtung St. Pauls an einem ganz besonderen Ort vorbei. Zwischen schön geordneten Weinreben fällt ein großer anscheinend wild wachsender Garten auf. Dieser gehört Kurt Hans von Wohlgemuth. Der 75-jährige Eppaner lebt seit 32 Jahren als Aussteiger ohne Dach über dem Kopf.

Seit 2002 pflanzt er am Hain alle möglichen Arten von Pflanzen an. Obwohl er die Möglichkeit hätte, verzichtet er auf ein Haus oder eine Wohnung und lehnt jeden Besitz ab. . Kurt ist ein wahres Unikum, wie man es nur selten findet.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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