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„Sie hat einen Blackout“

Foto: TZ/Karin Gamper

Die junge Rumänin, die vor knapp zwei Wochen ihr Neugeborenes getötet haben soll, kann sich an die Umstände der Tat nicht mehr erinnern. Was M. S. H. ihren Anwälten erzählt hat.

von Artur Oberhofer

Von 12.30 bis kurz vor 15.00 Uhr: So lange hat gestern das erste Kolloquium zwischen M. S. H. und ihren beiden Vertrauensanwälten gedauert.

Neben der Bozner Anwältin Amanda Cheneri, einer Spezialistin für soziale Härtefälle, vertritt nun mit Nicola Nettis auch noch einer der profiliertesten Strafverteidiger des Landes die Interessen der 25-jährigen Rumänin, die beschuldigt wird, vor anderthalb Wochen in Lana ihr Neugeborenes getötet zu haben.

Die Anwälte Cheneri und Nettis saßen gestern im Vernehmungszimmer des Knastes von Spini di Gardolo einer völlig verzweifelten und verängstigten jungen Frau gegenüber. „Ihr psychischer Zustand ist sehr komplex“, sagte Anwalt Nettis nach dem Gespräch mit seiner Mandantin.

Beim gestrigen Kolloquium sei es zunächst einmal darum gegangen, die junge, in Rechtsfragen völlig unbedarfte Frau aus dem europäischen Osten über ihre tatsächliche rechtlich-prozessuale Situation aufzuklären. „Sobald sie registriert hat, was ihr vorgeworfen wird, hat sie hemmungslos zu weinen begonnen“, so Anwalt Nettis gegenüber der TAGESZEIUTNG. Ihm und seiner Kollegin Amanda Cheneri sei es gestern in erster Linie darum gegangen, die Frau zu beruhigen und ihr aufzuzeigen, wie sie aus dieser dramatischen Situation wieder herauskommen könne.

Nettis und Cheneri ging es also darum, zu der jungen Rumänin ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Die Anwälte haben sich von M. S. H., die in ihrer Heimat einen zweieinhalbjährigen Sohn hat, deren turbulente Lebensgeschichte erzählen lassen. Dabei haben Nettis und Cheneri beispielsweise erfahren, dass M. S. H. sich seit vier Jahren in Norditalien aufgehalten und immer fleißig gearbeitet und Geld nach Hause geschickt hat. Meist war die junge Frau als Erntehelferin tätig, längere Zeit in Verona oder voriges Jahr in Nals.

Teilweise habe sie um einen Stundenlohn für 5 Euro arbeiten müssen, berichtete die Frau.

M. S. H. sei vom knapp einwöchigen Aufenthalt in der Frauenabteilung des Gefängnisses von Spini di Gardolo gezeichnet, berichten die Anwälte.

Nachdem sie M. S. H. darüber aufgeklärt hatten, was ihr vorgeworfen wird, wollten Nicola Nettis und Amanda Cheneri gemeinsam mit ihrer Mandant rekonstruieren, was an jenem Sonntagabend bzw. in der Nacht auf Montag in Lana tatsächlich passiert ist. „Das war aber nicht möglich“, erzählt Anwalt Nettis, „weil unsere Mandantin einen Blackout hat.“ M. S. H. sei derzeit nicht in der Lage, das Vorgefallene zu schildern. „Sie kann sich erinnern, dass sie am Vortag noch gearbeitet hat, was am Sonntag passiert ist, weiß sie nicht mehr“, erzählt Anwalt Nettis.

Die Anwälte haben gestern auch mit dem Gefängnispsychologen gesprochen. Demnach sei so ein Blackout bei Fällen von Kindstötung oft zu beobachten. „Wir gehen davon aus, dass die Erinnerungen zurückkehren“, sagt Anwalt Nettis, „sobald sich unsere Mandantin etwas beruhigt hat.“ Er und seine Kollegin Cheneri hätten in dieser Situation nicht insistieren wollen.

Wie sieht die Strategie der Verteidigung aus?

Nicola Nettis und Amanda Cheneri haben mit M. S. H. vereinbart, dass sie Anfang nächster Woche zu einem weiteren Gespräch ins Gefängnis nach Spini di Gardolo kommen werden. „Sobald bei unserer Mandantin die Erinnerungen zurückkehren“, erklärt Anwalt Nettis, „werden wir ein Verhör mit dem Staatsanwalt beantragen.“

Erst nach diesem Verhör wollen die Anwälte allfällige Anträge zur Lockerung der Vollzugsmaßnahmen stellen.

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (5)

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  • saustall_kritiker

    Wenn das stimmt, was die arme Erntehelferin sagte, dass ein Erntehelfer in Südtirol bei manchen Bauern nur 5 Euro (brutto) die Stunde verdient, dann schlägt das wirklich dem Fass den Boden aus. Bisher haben sich nämlich zu Recht auch Südtiroler Politiker darüber aufgeregt, dass Immigranten bei süditalienischen, oft der Mafia nahestehenden, Bauern in den Erntefeldern nur um wenige Euro Stundenlohn arbeiten müssen. Nur: Jeder kehre vor seiner Tür: Wenn das stimmt, ist Südtirol, wie in manchen anderen Bereichen leider auch oft schon, ziemlich assimiliert, sodass die Unterschiede mit Süditalien nicht mehr so erkennbar sind… wie eben hier die Arbeitsbedingungen.
    Bei Bekanntwerden solch unfassbarer Zustände fällt mir immer nur mehr der berühmte Satz des erst nach dem Tode rehabilitierten Brunecker Dichters N.C.Kaser ein: „Dem F… graust“.
    Wo ist aber hier die Stellungnahme des Bauernbundes, fragen sich viele…….

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