Du befindest dich hier: Home » News » „Uns bricht die Zukunft weg“

„Uns bricht die Zukunft weg“

Jetzt kommt heraus: Vier der sechs Ärzte, die gegen die Facharztausbildung nach Österreichischem Modell geklagt und sogar die Entlassung von zwei Jungmedizinern gefordert haben, waren selbst jahrelang angestellt, ohne einen Facharzt zu besitzen. Urologie-Primar Armin Pycha im Interview.

TAGESZEITUNG Online: Herr Primar, die Ärztegewerkschaft ANAAO hat im Juli bei Gericht die Entlassung von zwei Jungärzten, die an Ihrer Abteilung arbeiten, beantragt. Es soll praktisch das Ausbildungskonzept für Fachärzte nach Österreichischem Modell zu Fall gebracht werden. Welcher ist der Stand der Dinge?

Armin Pycha: Man harrt jetzt auf das, was am 22. Oktober passiert. Für diesen Tag ist die erste Verhandlung angesetzt. Wir warten also auf das Urteil, dann wird man sehen, wie es weitergeht.

Wie beurteilen Sie den Schritt Ihrer ANAAO-Kollegen jetzt aus der Distanz einiger Monate?

Mich wundert es, dass eine Gewerkschaft, die an und für sich auf ihre Fahnen schreibt, sich für die Arbeitnehmer einzusetzen, eine Anzeige erstattet, um die eigene Interessensgruppe schlechter zu stellen. Dass dies dann auch noch unter dem Deckmantel der Patientensicherheit geschieht, ist häretisch. Dazu muss man wissen, dass von den sechs Ärzten, die angezeigt haben, deren vier über Jahre im Krankenhaus angestellt waren, ohne einen Facharzt zu besitzen.

Das war der Fall?

Ja, sie zeigen jetzt also genau das an, was sie für sich selbst sehr wohl beansprucht haben. Diese vier Ärzte hatten eine Pensions-, eine Sozial- und eine Krankenversicherung. Wenn man sich selbst alle Vorzüge eines Systems herausnimmt und ausreizt, es aber dem Anderen nicht gönnt, dann finde ich das unter dem ethischen Standpunkt verwerflich. Aber die ANAAO verliert dadurch Mitglieder. Allein von unserer Abteilung sind zwei Ärzte aus der ANAAO ausgetreten, da sie sich von ihr nicht mehr adäquat vertreten fühlen. Beide haben über das österreichische Modell den Facharzt erlangt.

Harte Worte …

Es ist einfach so! Wenn man schon mit einem Gesetz nicht einverstanden ist, dann wäre der korrekte Weg gewesen, dies beim Verfassungsgerichtshof anzuzeigen. Warum zwei Kollegen anzeigen und vor Gericht zerren, die nur eine Ausbildung wollen und die für die rechtlichen Verhältnisse überhaupt nichts dafür können? Hinzu kommt: Die Ausbildung läuft bei uns so ab wie in den allermeisten europäischen Ländern. Der Auszubildende bekommt für gute Arbeit gutes Geld, er steht unter Supervision und hat ein geregeltes, überprüfbares und überprüftes Ausbildungscurriculum, so wie dies in den allermeisten Ländern Europas und auch Nordamerikas der Fall ist.

Der 5-Sterne-Landtagsabgeordnete Diego Nicolini hat die ANAAO-Anzeige verteidigt und sogar behauptet, die Komplikationen hätten zugenommen, seit dieses Ausbildungsmodell in Kraft ist …

Dazu muss man sagen, dass diese Aussagen jedweder Grundlage entbehren, und zwar aus dem einfachen Grund, dass diese Daten ganz einfach nicht zur Verfügung stehen.

Wie meinen Sie das?

Die Verknüpfung der individuellen ärztlichen Tätigkeit und den Komplikationen, die es gibt, wird willentlich nationalweit nicht gemacht. Diese Daten gibt es in ganz Italien nicht, schon gar nicht in Südtirol. Die Aussagen dieses Herrn von der 5-Sterne-Bewegung waren also politisches Geplänkel und unseriös.

Nichtsdestotrotz hat auch die Gewerkschaft ANAAO ein Szenario gezeichnet von Abteilungen, an denen – wegen der Jungärzteausbildung nach Österreichischem Modell – die Patientensicherheit nicht mehr gewährleistet sei …

Wenn man von Gefahr spricht, dann müsste man sagen, dass auch von den vier Ärzten, die jetzt die Anzeige unterschrieben haben, seinerzeit eine Gefahr für die Patienten ausgegangen ist. Die Wahrheit ist: Das Ausbildungssystem ist ausgereift, es findet nur an Abteilungen statt, die an italienischen Universitäten und durch die österreichische Ärztekammer zertifiziert sind. Also doppelt zertifiziert! Das ist in Europa einzigartig.

Die Situation an Ihrer Abteilung ist?

Foto: 123RF.com

Wir haben an der Urologie-Abteilung 30 Betten und können maximal vier Leute ausbilden. An der Universitätsklinik in Verona gibt es auch 30 Betten, aber die bilden im gleichen Zeitraum 25 Ärzte aus. Auf der Grundlage dieser Zahlen kann man sich ausmalen, dass unser Ausbildungsmodell sehr viel ausbildungsintensiver ist als das an italienischen Universitäten, weil die Ausbildung bei uns in Kleinstgruppen stattfindet. Bei uns hat jeder Jungarzt einen Tutor, es werden Zwischenberichte gemacht, man muss sich an die Vorgaben halten, das wird alles kontrolliert. Nicht umsonst wollte auch die Region Veneto unser Modell übernehmen. Bei uns lernen die Leute praktischer, sie sind motiviert, sie sind näher am Patienten – und das immer unter Aufsicht!

Es geht bei Ihnen familiärer zu als an den italienischen Unis?

Familiär ist der falsche Ausdruck. Die Ausbildung bei uns ist intensiver, individueller, praxisbezogener, so wie im Rest Europas.

Was passiert, wenn die Gewerkschaft ANAAO vor Gericht gewinnt?

Das würde heißen, dass wir die jungen Leute nicht mehr ausbilden können. Uns bricht die Zukunft weg! Wie überall lebt man auch in den Krankenhäusern von der Jugend. Auch ich mache mir kleine Sorgen, denn wenn ich irgendwann einen Arzt brauche, möchte ich auch einen, der hier tätig und gut ausgebildet ist, um nicht in der Weltgeschichte herumreisen zu müssen. Bei einem Sieg der ANAAO im Rechtsstreit würde also die berufliche Attraktivität Südtirols wegfallen, die wir zur Zeit wieder erlangt haben.

Südtirol ist für Jungärzte wieder attraktiv?

Ja, man sieht , dass ein Rückstrom an Jungmedizinern stattfindet, sei es von Italien herauf als auch von jenseits des Brenners zurück. Es ist uns gelungen, das Ausbildungswesen zu entbürokratisieren, zwar sind wir nicht so effizient wie Nordtirol, aber wir haben einen Modus vivendi gefunden, damit Jungmediziner in annehmbarer Zeit eine Stelle antreten können. Insofern war diese Einigung in Sachen Fachärzteausbildung nach Österreichischem Modell ein Meilenstein, um in Südtirol eine zukunftsweisende Medizin auf der Basis von Jungärzten aufzubauen. Wenn das alles nicht mehr gehen sollte, werden wir bald einen extremen Mangel an Medizinern und Versorgungsengpässe haben.

Nun sind ja die Einbringer der Anzeige selbst Mediziner. Haben diese Ärzte die Konsequenzen Ihres Tuns nicht bedacht? Welcher ist  der tiefere Sinn dieser Initiative?

Foto: 123RF.com

Ich würde das als Angriff auf die Südtiroler Autonomie werten. Den Anzeigestellern geht es nicht um die Patientensicherheit, sondern darum, das autonome Ausbildungssystem, das für Italien zukunftsweisend und tragfähig ist, auszuhebeln. Ich würde das dort verankern. Für mich persönlich steht die menschliche Enttäuschung darüber, dass ein Arzt einen anderen Arzt anzeigt, im Vordergrund. Das finde ich das Verwerflichste.

Die zwei Jungmediziner an Ihrer Abteilung, deren Entlassung die ANAAO fordert, arbeiten derzeit weiter?

Ja. Der Betrieb hat gesagt: Das Programm läuft weiter bis nicht ein Urteil vorliegt, mit dem das Ausbildungsmodell außer Kraft gesetzt wird. Deshalb werden auch weiterhin Stellen ausgeschrieben. Ich finde es vom Betrieb richtig und couragiert, dass er diesen Weg geht. Denn nur so können wir die Jungmediziner im Land halten.

Haben Sie selbst mit den Anzeigestellern gesprochen?

Nein, mir ist auch nicht danach. Die Wiener sagen: Die schärfste Form der Ablehnung ist das Schweigen.

Interview: Artur Oberhofer

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen