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Unterschätzte Gefahr

Allein am vergangenen Wochenende sind in Südtirol drei Motorradfahrer ums Leben gekommen. Warum die Gefahr bei einem Motorradunfall zu sterben größer ist.

von Eva Maria Gapp

Das Motorrad ist für viele der Inbegriff der Freiheit. Man kann aufsitzen, davon fahren und fühlt sich an nichts gebunden. Nur der Fahrtwind bläst einem ins Gesicht. Für viele Motorradliebhaber ist dieses Gefühl geradezu berauschend. Ein strahlend blauer Himmel und kurvenreiche Strecken sind da Idealbedingungen für Motorradfahrer. Gleichzeitig bedeutet ein Motorrad aber auch ein größeres Risiko und mehr Gefahr.

Allein am vergangenen Wochenende sind in Südtirol drei Motorradfahrer ums Leben gekommen. Am Samstagvormittag verunglückte ein 28-Jähriger Schweizer in Burgeis, am Nachmittag prallte der 25-jährige Hannes Nöckler aus Innichen frontal auf einen entgegenkommenden PKW. Er überlebte den Aufprall nicht. Und am Freitag kam es in Gadertal zu einem tragischen Unfall. Ein Motorradfahrer, ein italienischer Tourist, starb dabei. Innerhalb kürzester Zeit verloren somit drei Motorradfahrer ihr Leben.

Wie gefährlich ist es also mit dem Motorrad zu fahren? Wird die Gefahr unterschätzt?

Laut einer aktuellen Studie des Verbands der deutschen Versicherer ist die Gefahr bei einem Motorradunfall zu sterben 21 Mal so hoch wie bei einem Autounfall. Für den Südtiroler Verkehrspsychologen Max Dorfer ist das nicht verwunderlich. Er kann diese Zahl nur bestätigen: „Die Gefahr bei einem Motorradunfall getötet zu werden ist sicherlich um ein Mehrfaches höher als bei einem Autounfall“, sagt er und fügt hinzu: „Während die Zahl der Menschen, die mit einem Auto verunglücken, seit Jahren zurückgegangen ist, bleibt die der Motorrad-Unfälle fast unverändert“, sagt er. Laut den Daten des Landesinstitutes für Statistik (ASTAT) kamen im Jahr 2018 acht Autofahrer ums Leben, während zehn der Verunglückten mit einem Motorrad oder Moped unterwegs waren. „Motorradfahrer sind einem hohen Risiko ausgesetzt. Motorradfahren ist auf alle Fälle gefährlicher.“

Doch warum ist das so?

„Viele Motorradfahrer unterschätzen die Gefahr. Sie setzen sich auf das Motorrad, fahren los und sind meist mit sehr hohen Geschwindigkeiten unterwegs. Das ist sehr gefährlich. Sie unterschätzen dann vielfach die anspruchsvollen Strecken und machen gefährliche Überholmanöver“ sagt Dorfer. Zudem würden auch viele die starke Beschleunigung der Motorräder unterschätzen.

Was noch hinzukommt: Viele haben auch nicht die nötige Erfahrung, um die Risiken auch einschätzen zu können: „Wenn man sich erst vor kurzem ein Motorrad gekauft hat oder schon länger nicht mehr gefahren ist, sollte man nicht mit hoher Geschwindigkeit herumfahren oder weite Strecken zurücklegen. Leider wird dies dennoch oft gemacht. Denn nur weil man zum Beispiel gute Erfahrung mit einem Auto hat, heißt das nicht, dass man auch gut Motorrad fahren kann. Hier wäre es sicherlich sinnvoll, erstmals auf einem verkehrsfreien Gelände Probe zu fahren“, sagt er.

Ein weiterer Faktor, warum Motorradfahrer die Gefahr unterschätzen, ist, dass vielen nicht die Folgen eines Unfalls bewusst sind: „Den wenigsten Motorradfahrern ist bewusst, dass viele nach einem Unfall mit einem beinamputierten Fuß leben müssen oder ihr Leben lang an einem Rollstuhl gefesselt sind. Das wird viel zu wenig thematisiert“, so Dorfer.

Laut Dorfer ist Motorradfahren aber auch deshalb gefährlicher, weil viele Sicherheitseinrichtungen bei einem Motorrad fehlen: „Ein Motorrad hat sicherheitstechnisch viele Nachteile. Es gibt weder eine Knautschzone, die etwa bei einem Unfall die Wucht eines Aufpralls abbremst, noch einen Airbag oder Gurt“, sagt er. Es gebe zwar Airbag-Westen für Motorradfahrer und Protektoren, die man am Rücken befestigen könnte, doch selbst bei geringen Geschwindigkeiten und einem Aufprall auf der Landstraße würden sie nicht ausreichen. Eine aktuelle Studie unter Unfallforschern in Deutschland hat zum Beispiel ergeben, dass die übliche Motorradkleidung mit Protektoren bei einem Aufprall auf ein Hindernis bereits ab einer Geschwindigkeit über 25 Stundenkilometer nicht vor lebensbedrohlichen Verletzungen schützen kann.

Motorradfahrer profitieren demnach nicht von den allgemeinen Fortschritten in der Verkehrssicherheit. Das bemängelt auch der Verkehrspsychologe Dorfer: „Während Autofahren immer sicherer wird, bleibt Motorradfahren gefährlich. Denn sicherheitstechnisch hat sich beim Motorrad kaum etwas getan“, so Dorfer. Deshalb ist auch das Risiko, verletzt oder gar getötet zu werden bei Motorradfahrern weitaus höher.

Ein weiterer Punkt ist die schmale Silhouette der Maschine, die einem Motorradfahrer laut Dorfer schnell zum Verhängnis werden kann: „Denn häufig wird sie von Autofahrern, Radfahrern oder Fußgängern übersehen. Das stellt natürlich eine große Gefahr dar.“ Problematisch sieht der Verkehrspsychologe aber auch das Verhalten von Motorradfahrern, wenn sie in der Gruppe sind. „Man beobachtet immer wieder, dass Motorradfahrer in der Gruppe keinen Sicherheitsabstand einhalten oder sie sehr nah beieinander fahren. Wenn dann der vorausfahrende Motorradfahrer aber bremsen muss, schaffen es die nachfolgenden nicht mehr zu bremsen und es kommt zu einem Unfall“, sagt er. Oft überschätzen sich Fahrer aber auch aufgrund gruppendynamischer Effekte: „Erfahrene Fahrer geben oft eine Geschwindigkeit vor. Das kann für weniger routinierte Mitfahrer kritisch werden. Denn sie wollen mit den anderen mithalten und gehen dann Risiken ein, die tödlich für sie sein können“, so Dorfer. Deshalb würde er auch sagen, dass es gefährlicher ist in der Gruppe zu fahren als einzeln.

Das Thema der Selbstüberschätzung ist vor allem auch bei jungen Motorradfahrern eine große Gefahr, vor allem wenn sie in der Gruppe sind: „Wenn junge Männer in der Gruppe Motorradfahren ist das Risiko, verletzt oder getötet zu werden, viel höher. Denn jeder möchte der Schnellere sein und die anderen imponieren. Das heißt, man ist auch bereit, Risiken einzugehen, die man alleine nie eingehen würde“, sagt er. Dies habe auch eine Studie gezeigt: „Für eine Schweizer Studie mussten Jugendliche einen Motorrad-Simulator fahren. Wenn sie gewusst haben, dass andere Jugendliche ihnen dabei zusehen konnten, haben sie ein deutlich riskanteres Fahrverhalten gezeigt. Glaubten sie hingegen, alleine zu sein, waren sie viel gemäßigter. Der Einfluss der Gruppe ist somit extrem stark“, so Dorfer.

Um dem entgegenzuwirken müssten laut Dorfer die Motorradfahrer viel stärker für die Gefahren sensibilisiert werden. Die Verkehrssicherheitskampagnen, wie „No Credit“ zur Vermeidung von Motorradunfällen seien zwar sehr hilfreich, doch laut Dorfer sei es wichtiger, vermehrt Geschwindigkeitskontrollen durchzuführen. Denn das passiere viel zu wenig: „In Österreich werden viel mehr Kontrollen durchgeführt als etwa in Südtirol“, sagt er.

Zudem bemängelt er die „Aktion scharf“, also dass zu gewissen Zeiten verstärkt Kontrollen durchgeführt werden, um das Rasen der Biker zu unterbinden: „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass nur zu gewissen Zeiten Kontrollen durchgeführt werden. Es muss der Eindruck entstehen, dass immer Kontrollen gemacht werden“, sagt er. Damit es überhaupt nicht zu Motorradunfällen kommt, plädiert Dorfer dafür, die Geschwindigkeitskontrollen einzuhalten, riskante Überholmanöver zu vermeiden und immer den Sicherheitsabstand einzuhalten. Zudem sei es wichtig, immer eine Schutzkleidung zu tragen. Ein Sturzhelm alleine sei nicht ausreichend. Zudem müssten Autofahrer auch besonders vorsichtig sein, wenn sie etwa im Rückspiegel Motorradfahrer sehen.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (6)

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  • andreas

    Eine Möglichkeit wäre die Geschwindigkeiten und Beschleunigungswerte der Motorräder zu reduzieren.
    Natürlich macht es Spaß, in 3,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h zu sein, nur hat man bei solchen Mänövern keinerlei Kontrolle, wenn ein Hindernis auftritt.
    Ratsam ist es eine Versicherung für eine ev. Behinderung abzuschließen, wobei die Versicherungen dort die Summe für Motorradfahrer beschränken.
    Alternative wäre langsam fahren, macht halt weniger Spaß.

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