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Zwölf entscheidende Sekunden

Beim Treffen von Kirche und Schützen wurde keine Friedenspfeife geraucht: Was den Schützen im oberen Pustertal wirklich wichtig ist. Und wie man einen Ausweg aus dem Streit um Gewehre im Gotteshaus und Salvenschießen finden will.

von Silke Hinterwaldner

Ursprünglich wollte man nach dem Treffen am Mittwochabend eine große, gemeinsame Stellungnahme herausgeben. In dieser hätte man wohl verkünden wollen, dass der Streit zwischen Schützen und Kirche beigelegt werden konnte, dass man sich geeinigt habe und alles wieder Friede Freude Eierkuchen ist.

Aber diese Stellungnahme ist am Donnerstag ausgeblieben. Allein daraus kann man schließen, dass der große Schulterschluss zwischen Schützen und Kirche in Sexten, Innichen, Toblach, Niederdorf, Sexten, Taisten und Pichl Gsies (sechs Schützenkompanien und die Schützenkapelle Pichl) nicht zustande gekommen ist. Aber immerhin: Beide Seite haben nach der Aussprache beteuert, wie wichtig man sich gegenseitig nehme. Schützen und Kirche gehören eben traditionell zusammen. Das Problem ist aber: In Toblach und Niederdorf haben die Mitglieder der Schützenkompanien wissen lassen, dass sie nicht mehr in die Kirche gehen wollen, weder privat noch in offizieller Schützen-Mission. An dieser Haltung hat sich auch Mittwochnacht nichts geändert. Zumindest vorerst haben die einzelnen Schützenkompanien noch nicht eine Einigung mit dem Pfarreienrat und dem Dekan erzielt.

Trotzdem übt man sich derzeit in Zurückhaltung. „Wir haben ein gutes Gespräch geführt“, sagt etwa Hannes Lanzinger, Hauptmann der Schützenkompanie in Sexten, „weitere Aussagen aber möchte ich nach dem Treffen nicht machen.“ Ganz ähnlich die Stellungnahme von Richard Stoll, Hauptmann der Schützenkompanie Niederdorf: „Es ist ganz gut gegangen.“ Mehr gebe es dazu nicht zu sagen. Johann Brugger, Schützenkommandant in Innichen, meint, „man hat sachlich diskutiert und ist sich schon ein wenig einig geworden“. Er weist noch einmal darauf hin, dass es die Schützen besonders geärgert hat, dass die Kirche nicht im Vorfeld zum Beschluss das Gespräch gesucht habe. Jetzt werde man noch einmal den Inhalt dieses Beschlusses überdenken. Für die öffentlichen Stellungnahmen hat man sich darauf geeinigt, dass Landeskommandant Jürgen Wirth Anderlan die erste Ansprechperson ist.

Beim Treffen anwesend war nicht nur Wirth Anderlan, sondern auch sein Stellvertreter und der Geschäftsführer des Schützenbundes sowie Bezirksmajor Erich Mayr. Dazu kamen die Hauptmänner der Schützenkompanien und die Mitglieder des Pfarreienrates der betroffenen Gemeinden mit Dekan Andreas Seehauser. Die Aussprache war für kurz nach 20.00 Uhr im Pfarrheim von Toblach anberaumt. Nach knapp drei Stunden verabschiedete man sich voneinander. Am Tag danach steht nur fest, dass die Diskussion teils heftig war, dass man sich in einigen Punkten noch alles andere als einig ist und dass manch einer mit einem nicht besonders guten Gefühl im Bauch wieder nach Hause gegangen ist. Vor allem aber sollen die Gespräche weitergehen, vorzugsweise in den einzelnen Dörfern soll es Aussprachen zwischen den Pfarrgemeinderäten und den Kompanien vor Ort geben. Schließlich hat man sich vielerorts am meisten darüber geärgert, dass es keinen Dialog im Vorfeld des Erlasses gab. Die Schützen wurden vor vollendete Tatsachen gestellt: Sie dürfen nicht mehr mit dem Gewehr die Kirche betreten, was etwa in Niederdorf oder Toblach durchaus Tradition hat, und sie dürfen nur noch ein Mal im Jahr eine Salve schießen – was manchen Schützenkompanien wie jener in Innichen ausreichend erscheint, aber andere wollen öfter schießen. Nach den örtlichen Gesprächen wird sich der Pfarreienrat im Oktober wieder treffen, um über die weitere Vorgehensweise zu beraten. In der Zwischenzeit gibt es Waffenstillstand.

Für Taisten hätte der Beschluss des überörtlichen Pfarreienrates zwar auch gelten sollen, aber dort hat der Pfarrer kurzerhand selbst entschieden, was Sache ist: Pfarrer Hans Oberhammer hat gleich wissen lassen, dass alles bleibt wie es war. Beschluss hin oder her. Schließlich hat man dort bereits vor Jahren ein Abkommen mit den Schützen getroffen (die Waffen bleiben draußen), das nie in Frage gestellt wurde.

Über das Ergebnis des Treffens und die Anliegen der Schützenkompanien spricht Landeskommandant Jürgen Wirth Anderlan im Interview:

TAGESZEITUNG: Herr Wirth Anderlan, man hat den Eindruck, als gäbe es nach dem Treffen keine echten Ergebnisse. Sehen Sie das auch so?

Jürgen Wirth Anderlan (Foto:SSB/Lagger)

Jürgen Wirth Anderlan: Im Endeffekt ist es so, dass die wirklich wichtigen Gespräche erst noch stattfinden müssen. Fürs erste war es gut, dass es endlich eine erste Aussprachen zwischen der Schützenführung und dem Pfarreienrat gegeben hat. Jetzt ist es wichtig, dass vor Ort jeweils nach guten Lösungen gesucht wird.

Bedeutet dies, dass nicht mehr wie vom Dekan verordnet, in allen Dörfern gleich vorzugehen ist, sondern dass man sozusagen wieder nach individuellen Lösungen sucht – so wie es eigentlich vorher schon war?

Im Herbst 2018 waren die Sextner Schützen zum Dekan Andreas Seehauser gegangen und hatten darum gebeten, dass sie genauso wie die Kollegen in Niederdorf bei jeder Prozession eine Salve schießen dürfen. Das Ergebnis war, dass der Pfarreienrat dies falsch aufgefasst hat und umgekehrt in der Folge den Niederdorfern das Salvenschießen genommen hat. Unser Ziel ist es, dass wieder die Pfarrgemeinderäte vor Ort Gespräche führen: Es kann doch nicht der Toblacher über den Sextner entscheiden. Oder umgekehrt. Wir möchten nicht mehr als wir früher hatten. Aber wir wollen zurück, was wir hatten.

Gibt es wieder einen Weg zurück?

Es habe Missverständnisse gegeben, das hat auch Dekan Seehauser gesagt. Die Pfarrgemeinderäte in den Dörfern werden sich jetzt mit den Schützen besprechen und Lösungen finden. Da bin ich ganz zuversichtlich. Schließlich muss nicht in allen sieben Dörfern nach demselben Schema vorgegangen werden.  Es ist ja auch so, dass die Schützen in Tramin nicht mit den Gewehren in die Kirche gehen, in Kaltern tun sie das schon. Für uns ist dies auch nicht der entscheidende Punkt. Viel wichtiger ist das Salvenschießen. Das kann man uns nicht nehmen. Durchschnittlich wird vier Mal im Jahr eine Salve geschossen, wenn wir gut sind, dann dauert ein Schuss nicht mehr als drei Sekunden. Also reden wir von zwölf Sekunden im Jahr.

Geht die Mehrheit der Schützen heute tatsächlich noch mit den Gewehren in die Kirche?

Ganz genau kann ich das nicht beziffern. Ich würde sagen: 60 Prozent gehen mit dem Gewehr hinein, 40 Prozent nicht. Es gibt aber auch andere Lösungen, etwa die Gewehre gleich hinter der Eingangstür zu positionieren, damit alle an der Messfeier teilhaben können und nicht zwei Schützen irgendwo draußen die Gewehre bewachen müssen. Der entscheidende Punkt aber ist: Wenn wir keine Salve schießen dürfen, dann brauchen wir die Gewehre auch nicht mittragen. Das Salvenschießen jedoch  ist für uns ein Zeichen der Freiheit, ohne Gewehr sind wir nackt. Dieses Recht mussten wir uns hart erkämpfen. Das wollen wir jetzt nicht einfach aufgeben.

Auffallend ist die Zurückhaltung der Schützenhauptmänner vor Ort nach diesem Treffen: Gibt es einen Maulkorberlass des Landeskommandanten?

Wir haben sehr mündige Hauptmänner, wo durchaus jeder seine Meinung kundtun kann und soll. In diesem Fall sprechen wir über sieben Kompanien und ich sollte die Aufgabe des Sprechers übernehmen. Aber aufspielen will ich mich nicht.

In Toblach sollen die Schützen seit dem Vorfall die Kirche meiden. Ist das tatsächlich so?

Der Stein des Anstoßes war der plötzliche Beschluss, den man nicht im Dialog und im Einvernehmen mit den Schützen gefasst hat. Die Toblacher Schützen beteiligen sich deshalb nicht mehr an kirchlichen Feiern. In Niederdorf sind die Schützen immer mit den Gewehren in die Kirche: Dort hat man gar nicht mit ihnen über den Beschluss gesprochen. Sie mussten davon aus dem Pfarrblatt erfahren. Jetzt gehen sie auch dort nicht mehr bei den Prozessionen mit, sie beteiligen sich nicht mehr.

Wird es eine Einigung geben?

Beim Reden kommen die Leute zusammen. Ich jedenfalls bin positiv eingestellt. Die Kirche steht hinter den Schützen. Und die Schützen stehen hinter der Kirche. Es hat zwar in einigen Punkten hitzige Debatten gegeben, aber vor allem ist jetzt wichtig, dass geredet wird.

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Kommentare (21)

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  • erich

    Wenn die Schützen in der Kirche die Waffen tragen dann sind sie gehindert eine Geldspende zu machen und das geht in der Kirche schon gar nicht.

  • pingoballino1955

    Warum hört man vom Bischoff Muser nichts,hat er Angst sich klar zu dieser Angelegenheit zu äussern,oder dass ihm die letzten Schäflein auch noch davonlaufen??

  • kritiker

    Die Kirche hat in der Vergangenheit immer wieder die Waffen des Militärs gesegnet, sei es unter Kaiser Franz Josef, Mussolini und Hitler. Was soll jetzt dieses Theater.

  • @alice.it

    “ Das Salvenschießen jedoch ist für uns ein Zeichen der Freiheit, ohne Gewehr sind wir nackt“. Wie kann man sich samt Andreas-Hofer-Maskerade und voller Medaillen auf der stolzen Brust nackt fühlen?
    Ich fühle mich eher ohne Rosenkranz nackt !

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