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SVP & die Vogelscheuche

Ursula von der Leyen

In Südtirol fallen die Reaktionen auf die Wahl Ursula von der Leyens ganz unterschiedlich aus: Während SVP, Grillini und Grüne jubeln, steigen die „Rechten“ auf die Barrikaden.  

Brigitte Foppa (Grüne): Die Grüne Fraktion im Europaparlament hat sich gegen Frau von der Leyen ausgesprochen. Wahrscheinlich hätte auch ich gegen sie gestimmt, wenn ich Abgeordnete wäre, da die Vorgehensweise bei ihrer Nominierung mehr als diskutabel war und mich – gleich wie alle anderen – perplex gemacht hat. Ich hätte mir die Grüne Ska Keller als neue Kommissionschefin gewünscht. Dennoch habe ich mich persönlich schon über von der Leyens Wahl gefreut. Im Vergleich zu den Herrn Spitzenkandidaten und der Erzkonservativen aus den Ostländern, die noch im Gespräch waren, ist sie eine gute Lösung. Sie hat mit ihrer Rede die sozial aufgeschlossenen und ökologisch denkenden Menschen erreicht. Von der Leyen ist eine integre Persönlichkeit und zudem die erste Frau, die die Kommission führen wird. Positiv ist auch die Tatsache, dass sie in ihrem Bewerbungsgespräch nicht eine Sekunde um die Stimmen der Rechten geworben hat, sondern versucht hat, die proeuropäischen Kräfte für sich zu gewinnen. Ihr schwaches Wahlergebnis stellt sie vor eine harte Bewährungsprobe. Ich bin bereit, mich enttäuschen zu lassen.

 

Philipp Achammer

Philipp Achammer (SVP): Wir gratulieren von der Leyen zu ihrer Wahl zur neuen EU-Kommissionspräsidentin. Nachdem in Vergangenheit immer Männer dieses hohe Amt bekleidet haben, ist es ein positives Signal, dass nun eine Frau an der Spitze der Kommission steht. Von der Leyen hat eine sehr kämpferische Rede vor den Abgeordneten des EU-Parlaments gehalten: Einerseits betonte sie in einem leidenschaftlichen Plädoyer für Europa, dass es mehr denn je darum ginge, die Stimme gegen antieuropäische Kräfte zu erheben. Andererseits ging sie auf viele wichtige Themen der nächsten Zukunft ein, beispielsweise was die Klimapolitik, die Bedeutung offener EU-Innengrenzen im Schengenraum oder die Demokratisierung der Europäischen Union angeht. Bei letzterem Punkt hat Frau von der Leyen angekündigt, einen Europäischen Aktionsplan für Demokratie erarbeiten zu wollen. Zudem will sie sich dafür einsetzen, dass bei der Europawahl 2024 grenzüberschreitende Listen zugelassen werden – dies ist aus Südtiroler Sicht von größter Wichtigkeit. So würde dies nämlich bedeuten, dass Südtirols Kandidaten in Zukunft gemeinsam mit Kandidaten benachbarter Staaten, etwa der Schwesterparteien der SVP, eine gemeinsame Kandidatenliste bilden könnten. Die SVP macht sich schon seit vielen Jahren für diese Möglichkeit stark, die vor allem Minderheiten zu Gute kommen würde.

 

 

Ulli Mair (Freiheitliche): Die Wahl Von der Leyens bedeutet für mich, dass der zentralistische Kurs der EU fortgesetzt wird. Neben der bereits gezeigten Inkompetenz als Familien-, Sozial- und Verteidigungsministerin ist die Agenda Von der Leyens gerade für Südtiroler Interessen kontraproduktiv – besonders im Hinblick auf die Implementierung eines gemeinsamen Europäischen Asylsystems oder die Sozialunion. Damit diese Zentralisierungsphantasien befriedigt werden können, wird der Bürger noch tiefer in die Tasche greifen müssen. Diese EU wird keine christlich-abendländische Werteunion, sondern ein Club des Machtrausches. Demokratiepolitisch hat die EU das Niveau Chinas oder der Türkei erreicht. Nach der Wahl wurde im stillen Kämmerlein der übliche Postenschacher à la Volksparteien durchgezogen. In diesem „System“ entscheiden Regierungen, Regierungschefs, Lobbys, Konzerne, Banken – und die „Willkommensklatscherin“ Merkel. Ich sehe Ursula Von der Leyen nicht als geeignete Impulsgeberin, die Europa dringend notwendig hätte. Im Gegenteil. Diese EU ist gespaltener denn je. Und Von der Leyen ist der Garant der Eliten – allen voran von Merkel, Macron und der Entscheidungsträger jenseits des Atlantik. Dass die SVP, allen voran LH Arno Kompatscher, Herbert Dorfmann zwar mit Bauchschmerzen, zu Von der Leyen klatschen und gratulieren, verwundert nicht. Ihnen geht es einmal mehr um „social media“, Lächeln und Teilhaben am Machtrausch der anderen. Gratuliert hätte diese Volkspartei auch einer Vogelscheuche, wenn diese denn nur den eigenen Freunden zuordenbar wäre – um die Inhalte, Programm- und Agendapunkte geht es längst nicht mehr.

Rita Mattei (Lega): Es handelt sich hierbei um ein internationales Thema. Die Position der Lega war von Anfang an klar: Wir werden gegen Frau von der Leyen stimmen. Das war ursprünglich auch die Position des Movimento 5 Stelle, der sich dann überraschend anders entschieden hat. Auch der PD, der eigentlich für sie stimmen wollte, hat seine Meinung revidiert. Von der Leyen ist zwar eine starke Figur. Wir als Lega fordern aber, dass die Europäische Union anders verwaltet werden muss. Italien findet innerhalb Europas zurzeit kaum Gehör. Das muss sich ändern, was das letzte Wahlergebnis auch klar gezeigt hat.

 

Diego Nicolini (Movimento 5 Stelle): Wir sind sehr glücklich über die Wahl von der Leyens. Sie hat in ihrer Rede die Kernpunkte unseres Programms – sprich Geschlechtergerechtigkeit, Mindestlohn und Klimaschutz – aufgegriffen. Zudem nimmt sie eine pragmatische Haltung ein und will das Spitzenkandidaten-Modell stärken. Ich hoffe nicht, dass ein Leghista neuer EU-Kommissär wird. Die 14 Stimmen des Movimento 5 Stelle im Europaparlament waren ausschlaggebend für die Wahl von der Leyens. Somit haben wir großes Gewicht bei künftigen Entscheidungen. Wichtig wäre es, dass Italien in der neuen Kommission die Kompetenzen für Wettbewerb oder Finanzen übernimmt. Wir vertrauen ganz auf das Verhandlungsgeschick von Ministerpräsident Giuseppe Conte.

Umfrage: Matthias Kofler

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