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„Es ist diskriminierend“

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Das Ballspiel Völkerball ist laut einer Studie legalisiertes Mobbing, das Schwächere ausgrenzt. Wird es bald an Schulen verboten?

von Eva Maria Gapp

Die einen haben es gehasst, die anderen geliebt: Völkerball, eines der bekanntesten Spiele im Sportunterricht. Zwei Teams stehen sich im Turnsaal gegenüber. Die Spieler beider Mannschaften dürfen ihr Spielfeld nicht verlassen. Ziel ist, die Spieler der gegnerischen Gruppe mit einem Ball abzuwerfen, bis nur noch ein Akteur übrig ist. Dieses Ballspiel-Setting kennt so gut wie jeder Erwachsene noch aus der Schulzeit. Seit Generationen wird Völkerball, wie dieser Ballsport genannt wird, in Südtirol und anderen Ländern im Sportunterricht gespielt. Doch nun kritisieren kanadische Wissenschaftler in einer Studie: Völkerball lehre ihre Mitschüler zu „entmenschlichen“ und sei „gleichzusetzen mit legalisiertem Mobbing“. Lehrer glaubten, die Kinder hätten Spaß an diesem Sport und dass Völkerball Schüler „auf die reale Welt vorbereiten“ würde. In Wirklichkeit aber hörten die Forscher viele Geschichten von Kindern, die andere Schlüsse nahelegten. Gerade die stärkeren Schüler würden das Spiel nutzen, um schwächere Klassenkameraden zu demütigen. Im Sportunterricht sollten die Schüler aber lernen, ihre Aggressionen zu kontrollieren, anstatt sie auszuleben. Völkerball fördere somit Ausgrenzung und Machtlosigkeit, so das vernichtende Ergebnis der Studie, bei der Schüler im Alter von zwölf bis 15 Jahren zum Sportunterricht an ihrer Schule befragt wurden.

Monika Angelika Fikus, Professorin für Sportpädagogik an der Fakultät für Bildungswissenschaften in Brixen, kann dies nur bestätigen: „Völkerball ist keineswegs pädagogisch wertvoll. Im Gegenteil. Es ist diskriminierend, weil es zu Mobbing führen kann. Während schwächere Schüler in eine Opferrolle gedrängt werden, können sich stärkere Schüler profilieren.“ Deshalb würde sie sich wünschen, dass Völkerball an Schulen überhaupt nicht mehr gespielt werden würde: „Warum sollte man mit den Schülern Völkerball spielen? Wenn die Chance besteht, dass Schüler gemobbt werden könnten“, so Fikus. Zudem kritisiert sie, dass es beim Völkerball um Abwerfen geht: „Es geht darum, wirklich jemanden am Körper zu treffen. Das kann Schmerzen verursachen“, sagt sie. Zudem hätten viele Angst vor einem Ball.

Laut Patrizia Gozzi, Vorsitzende der Interessensvertretung der Südtiroler Sportlehrer, lässt sich dies jedoch weitgehend umgehen: „Es gibt mittlerweile verschiedene Varianten von Völkerball, bei denen es nicht allein darum geht, sich gegenseitig abzuwerfen.“ Früher sei es durchaus der Fall gewesen, dass es nur um das Abwerfen ging. „Da war es effektiv asozial, doch heute ist das anders“, sagt sie. Unter den vielen Varianten gebe es zum Beispiel die Möglichkeit, dass nur ein Schüler abgeschossen werden darf. „Damit jene, die keine Angst vor dem Ball haben, diesen abfangen können.“ So können sich die schwächeren Schüler hinter den stärkeren verstecken.

Fikus ist dabei aber anderer Meinung: „Diese alternativen Spielregeln, bei denen es darum geht die Schwächeren zu schützen, sind genauso diskriminierend. Da nochmal unterstrichen wird: Da sind die Schwachen und da die Starken. Die Schüler werden also in gewisse Rollen gezwängt.“ Auch die Bildungswissenschaftlerin Joy Butler, eine der Autorinnen der kanadischen Studie, sagte gegenüber der Washington Post: „Die Botschaft des Spiels ist, es ist okay andere zu verletzen.“ Laut Gozzi geht dies aber zu weit: „Völkerball vermittelt den Kindern nicht, dass es okay ist andere zu verletzen. Es ist auch ein hartes Stück hier von legalisiertem Mobbing zu sprechen. Hier muss man dann schon aufpassen, was man hier behauptet.“ Zudem sagt Gozzi: „Mittlerweile ist es auch gang und gebe, dass bei Völkerball ausgemacht wird, dass Treffer am Kopf oder im Gesicht nicht zugelassen sind. Der Ball darf dann nur die Füße oder den Körper berühren“, sagt sie. Zudem sei es immer auch abhängig von der Lehrperson, wie diese den Ballsport vermittelt und ob sie auch eingreifend wirkt.

Ähnlich sieht es auch Kornelia Stuffer, Motologin und Sportlehrerin: „Es hängt sehr stark vom Sportlehrer ab, was er daraus macht. Wenn man die Spielregeln abändert, einen Schaumstoffball verwendet und nicht immer die gleichen Mannschaften zusammen spielen lässt, kann Völkerball den Teamgeist fördern.“ Sie kann die Kritik an Völkerball nicht nachvollziehen: „Ich habe es immer gerne gespielt.“ Und um zu vermeiden, dass jemand als Letztes in ein Team gewählt wird, überlassen die beiden Sportlehrerinnen das Wählen nicht den Schülern: „Ich zähle dann aus oder ernenne zwei Kapitäne, denen sich die Schüler dann anschließen können. Das Wählen sollte man im im modernen Sportunterricht überhaupt nicht mehr machen. Denn da bleiben immer die Schwächsten übrig“, sagt Gozzi.

Nichtsdestotrotz weiß Gozzi, dass Völkerball für manche Schüler und Schülerinnen unterdrückend sein kann. Vor allem von Mädchen habe sie die Rückmeldung erhalten, dass sie schlechte Erfahrungen mit Völkerball in der Grundschule hatten: „Ich beobachte ganz oft, dass Oberschülerinnen deswegen Angst vor Bällen haben und andere Ballsportarten meiden, weil sie in der Grundschule schlechte Erfahrungen mit Völkerball gemacht haben. Sie trauen sich dann nicht mehr“, sagt sie. Deshalb sieht sie es durchaus kritisch, bereits in der Grundschule mit den Schülern Völkerball zu spielen. „Völkerball in der Grundschule ist nicht geeignet, um die Mädchen auf die Ballspiele vorzubereiten“, sagt sie.

Deshalb fordern die Wissenschaftler der kanadischen Studie, Völkerball vom Sportunterricht zu verbannen. Für Gozzi wäre das aber dennoch keine Option: „Wenn man jetzt sagt, wir müssen diese Art von Spielen abschaffen, dann kann man bald auch den Geschichtsunterricht abschaffen, weil dauernd vom Krieg gesprochen wird“, sagt sie. Zudem gebe es auch andere Sportarten, die dann in Frage gestellt werden könnten, wie etwa Fußball oder Volleyball. „Hier kommt noch der Körperkontakt dazu“, sagt sie. Fikus sagt hingegen: „Ich würde es nie spielen.“

Insgesamt fordern die Forscher der Studie, dass die Lehrer mehr über die Spiele im Sportunterricht nachdenken und dabei auch die schwächeren und stilleren Schüler berücksichtigen. Sportlehrer sollten sich ihren Lehrplan anschauen und für mehr Ausgewogenheit sorgen. Das kann heißen, auf einige Spiele zu verzichten und andere Disziplinen aufzunehmen: Outdoor-Aktivitäten, Fitness, Gymnastik oder Wassersport, heißt es in der Studie.  Ähnlich sieht es auch Fikus: „Es gibt so viele andere kooperative Spiele, die viel wertvoller sind und bei denen die Stärken von allen zum Tragen kommen“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich freue mich, dass über dieses Thema diskutiert wird, da ich es notwendig finde. Völkerball ist mittlerweile so zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass dieses Ballspiel gar nicht mehr in Frage gestellt wird.“

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Kommentare (7)

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  • andreas

    Wenn man den Unsinn folgen würde, wäre gemeinsam den Namen tanzen oder klatschen die einzige Tätigkeit, welche niemanden diskriminieren würde, wobei wenn einer noch zu blöd zum Klatschen wäre, dies für ihn auch ein traumatisches Erlebnis sein kann.
    kurtl und yannis haben gewiss viele solcher erlebt, sonst hätten sie kaum so einen Dachschaden… 🙂

  • asterix

    Und dann wundern sie sich dass keiner mehr lernt auf eigenen Füssen zu stehen, oder beim ersten Problemchen aus den Socken kippt. Das bei weitem größte pädagogische Problem sind die Pädagogen selbst, die auf die Kinder losgelassen werden.

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