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Das Neuwahl-Szenario

Renate Gebhard

Sprengt Lega-Chef Matteo Salvini nach seinem EU-Wahltriumph die Regierung? Kommt es bereits im September zu vorgezogenen Parlamentswahlen? Die SVP-Fraktionssprecherin Renate Gebhard mit einem Stimmungsbild.

Tageszeitung: Frau Gebhard, seit den EU-Wahlen geistert das Neuwahl-Gespenst durch das römische Parlament. Werden wir im September wieder an die Urnen gerufen?

Renate Gebhard: Ich möchte vorausschicken, dass all das, was in diesen Stunden gesagt wird, in den nächsten Tagen schon wieder überholt sein kann. Hier in Rom ist zurzeit alles in Bewegung, die Unsicherheit ist groß. Im Raum stehen mehrere mögliche Szenarien. Eines davon sind vorgezogene Neuwahlen im September.
Von welchen Faktoren hängen Neuwahlen ab? 

Wenn wir das Ergebnis der EU-Wahlen aufs Parlament ummünzen, hätte Matteo Salvinis Lega gemeinsam mit Fratelli d’Italia eine Regierungsmehrheit. Salvini betont aber, dass er mit dem Movimento 5 Stelle weiter regieren will, wenn Luigi Di Maio Parteichef bleibt. Wenn sich hingegen Alessandro Di Battista durchsetzt, wird Salvini aller Voraussicht nach die Zusammenarbeit mit dem Movimento 5 Stelle beenden. Ich gehe aber davon aus, dass sich Di Maio behaupten wird. Er ist gestärkt aus der Fraktionssitzung am Mittwoch und der Netz-Abstimmung herausgegangen, die Abgeordneten haben ihm ihre Unterstützung zugesichert. Dies auch, weil viele von ihnen befürchten, dass sie im Falle von Neuwahlen ihren Stuhl im Parlament räumen müssten.

Was ist die Alternative zu Neuwahlen? 

Die Machtverhältnisse innerhalb der Regierung haben sich seit den EU-Wahlen geändert, und zwar zu Gunsten von Matteo Salvini. Er wird versuchen, das für sich zu nutzen und auf eine rasche Umsetzung der großen Projekte wie die Autonomie-Reform oder die Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon drängen. Dies bringt aber die Grillini in enorme Schwierigkeiten. Tatsache ist, dass sich derzeit alle auf Neuwahlen einstellen. Die Arbeiten im Parlament gehen seit Dienstag sehr schleppend weiter, die Abstimmungen zum sog. „Sblocca-Cantieri“-Dekret im Senat als auch jene zum Wachstumsdekret in der Kammer ziehen sich in die Länge. Gleichzeitig ist der Spread bereits auf knapp 300 Punkte angestiegen. Die EU hat Italien bekanntlich gemahnt und aufgefordert, sein Haushaltsdefizit zu korrigieren. Ansonsten droht ein Defizitverfahren. Um dies zu vermeiden, wird wohl ein Nachtragshaushalt im Sommer notwendig werden. Nicht zu vergessen, dass im Herbst der Haushalt für 2020 erstellt werden muss. Eine Herkulesaufgabe, wenn man bedenkt, dass allein für die Vermeidung der Mehrwertsteuer-Erhöhung 23 Milliarden Euro notwendig sein werden. Die jetzige Situation ist jedenfalls äußerst delikat, da die Märkte schnell nervös werden können. Der einzige, der nach meinem Empfinden derzeit wirklich die brisante politische und finanzielle Situation des Staates im Auge hat, ist Staatspräsident Sergio Mattarella. Allerdings hat auch er im Falle einer Regierungskrise nur die Möglichkeit, eine technische Regierung einzusetzen oder Neuwahlen auszurufen. Im Parlament gibt es derzeit nämlich keine anderen Mehrheiten für eine eventuelle Regierungsumbildung ohne Neuwahlen, es sei denn, eine Gruppe der Abgeordneten des Movimento 5 Stelle würden tatsächlich eine eigene Fraktion bilden und eine Mitterechts-Regierung unterstützen. Salvini hat aber bereits klargestellt, dass er nur mit Forza Italia ohne Silvio Berlusconi zusammenarbeiten würde. Es gilt abzuwarten, ob er bei diesem Grundsatz bleibt.

Sie haben vor einem Jahr klargestellt, dass die SVP-Parlamentarier gegen eine Mehrheit mit Beteiligung von Fratelli d’Italia stimmen würde. Bleibt es bei diesem Nein? 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SVP einer Regierung mit Fratelli d’Italia das Vertrauen ausspricht.

Greift im Falle von Neuwahlen im Herbst bereits die Reduzierung der Anzahl der Parlamentarier? 

Da es sich dabei um ein Verfassungsgesetz handelt, muss es von beiden Kammern zwei Mal gelesen und genehmigt werden. Die dritte Lesung im Senat könnte Ende Juni anstehen, jene in der Kammer dann im Herbst. Sollte das Gesetz nicht mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit genehmigt werden, besteht zudem die Möglichkeit eines Referendums. Das heißt, dass die Reduzierung der Anzahl der Parlamentarier bei Neuwahlen im September noch nicht zur Anwendung kommt. Diese würde frühestens bei Neuwahlen im kommenden Frühjahr greifen. Es bliebe also bei der derzeitigen Anzahl von 630 Kammerabgeordneten und 315 Senatoren.

Interview: Matthias Kofler

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