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Im Keller eingesperrt

Robert Kerer war, als er im April seine Ehefrau Monika Gruber in Stufels tötete, voll zurechnungsfähig, sagt der Gerichtsgutachter. Wie die Verteidigung dagegen vorgehen will.

von Thomas Vikoler

Der großgewachsene Mann, der von Gefängniswärtern zum Gerichtssaal geführt wird, ist nicht wiederzuerkennen. Robert Kerer, 59, trug einmal Bart und war ziemlich beleibt. Inzwischen, während über einem Jahr U-Haft, hat er viele Kilos verloren und wirkt keineswegs betrübt. Der frühere Unternehmer schüttelt mehreren Anwesenden im Gerichtssaal höflich die Hände.

Und wenig später wird Amtsgutachter Eraldo Mancioppi in der Verhandlung zum Beweissicherungsverfahren mitteilen, dass er, Kerer, in der Nacht auf den 21. April 2018 voll zurechnungsfähig war, als er seine schwerkranke Ehefrau Monika Gruber, 58, in der gemeinsamen Wohnung in Stufels/Brixen tötete.

Der Ehemann ist demnach voll schuldfähig und muss mit einer lebenslangen Haft rechnen.

Anderer Ansicht ist Luciano Magotti, der Sachverständige der Verteidigung: Für ihn war Kerer lediglich teilweise zurechnungsfähig. Weil er an einer psychotischen Störung leidet und sich am Tattag in einem emotionalen Ausnahmezustand befand: Schwer verschuldet und alkoholabhängig, arbeitslos, kein Kontakt mit den Kindern, die Ehefrau, die einen Schlaganfall erlitten hatte. Magotti warf gestern die Frage auf, warum Kerer nicht, nachdem er seiner Frau einen Schnitt mit dem Messer zugefügt hatte, die Rettung gerufen hat. Und sich stattdessen neben sie aufs Bett legte. Wenn er sie hätte aus eigenem Antrieb hätte töten wollen, hätte er sie sofort umgebracht, so der Sachverständige. Er sprach von einem Mord/Selbstmord, denn Kerer unternahm nach der Tat vier Selbstmord-Versuche: Zunächst im Bad mittels Stromschlag, dann ein Aufschneiden der Venen, Tabletten-Einnahme und zuletzt der Versuch, sich am Brixner Bahnhof vor einen Zug zu werfen. Die Carabinieri, die ihn dort aufgriffen, verhinderten das.

Magotti erklärte, die psychotische Störung könnte mit Erlebnissen aus der Kindheit zusammenhängen: Kerer sei manchmal für zwei, drei Tage in einem Keller eingesperrt und dort mit einem Stock geschlagen worden. Mehrere Verwandte hätten sich zudem umgebracht, die Bozner Gefängnisleitung hält den U-Häftling weiter für schwer selbstmordgefährdet.

Der Sachverständige kritisierte Amtsgutachter Mancioppi dafür, dass er wegen Fehlens einer Krankenakte zur psychischen Entwicklung Kerers von einer Zurechnungsfähigkeit ausgehe. Außerdem wies die Verteidigung auf mögliche sprachliche Missverständnisse bei der Durchführung einiger Tests durch den Amtsgutachter hin.

Das Beweissicherungsverfahren ist nun abgeschlossen, die Staatsanwaltschaft dürfte bald Anklage gegen den 59-Jährigen wegen vorsätzlichen Mordes erheben. Doch die Verteidigung will das Gerichtsgutachten mit allen Mitteln bekämpfen. Eine teilweise Zurechnungsfähigkeit brächte eine wesentliche Strafreduzierung.

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