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Die innere Uhr

Das EU-Parlament hat für die Abschaffung der Zeitumstellung gestimmt. Der Psychiater Mario Horst Lanczik erklärt, warum man die Winterzeit dauerhaft beibehalten sollte.

Tageszeitung: Herr Lanczik, Hauptgrund für die Abschaffung der Zeitumstellung durch die EU ist die angebliche psychische Belastung. Ist diese Belastung durch die Zeitumstellung tatsächlich gegeben?

Mario Horst Lanczik: Ja, die ist für jeden Menschen gegeben, aber die ist sehr kurzfristig. Für die meisten sind das zwei, drei Tage. Meistens treten diese Belastungen bei der Umstellung im Frühjahr auf, weil sich die Zeit in der man Tageslicht hat, künstlich verkürzt. In den ersten Tagen nach einer solchen Umstellung treten aber auch in der psychisch gesunden Bevölkerung tatsächlich Konzentrationsstörungen häufiger auf, deswegen nimmt auch die Unfallhäufigkeit und die Anzahl an Depressionen zu, letztere aber nur bei den Menschen, die entsprechend veranlagt sind.

Ist die Zeitumstellung für alle Menschen problematisch oder nur für einen Teil der Menschen?

Es gibt sicher Menschen, die merken gar nichts oder nur sehr wenige, andere leiden nicht nur drei Tage sondern auch länger. Es ist erwiesen, dass Depressionen durch die Zeitumstellung getriggert – also ausgelöst werden können. Es ist nicht die alleinige Ursache, aber die Zeitumstellung kann ein Auslöser sein. Wir haben gerade bei depressiven Erkrankungen eine Häufigkeit im Herbst und im Frühjahr, das sehe ich auch in meiner klinischen Praxis. Es gibt ohnehin Menschen, die im Winterhalbjahr empfindlicher sind – wir nennen das saisonal abhängige affektive Störung – viele nennen es Winterdepressionen. Diese Menschen neigen dazu, weniger fit zu sein, weniger Antrieb zu haben, schlechtere Stimmung zu haben und dann kommt noch die künstliche Verkürzung des Tageslichtes dazu. Deshalb ist die Zeitumstellung im Herbst nicht so relevant. Deshalb hat die deutsche Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung sich dafür ausgesprochen, dass man zukünftig als Normalzeit die bisherige Winterzeit nehmen soll. Das entspricht eher dem Bio-Rhythmus – natürlich nur für die Menschen, die auf der Achse Mitteleuropa leben.

Menschen in Ost- und Westeuropa Europa bräuchten eine andere Zeit?

Aus rein medizinischer Sicht wäre es sinnvoll, wenn man innerhalb der EU gar nicht nur eine Zeit hätte, wie es derzeit angestrebt wird, sondern unterschiedliche Zeitzonen. Bukarest und Tallin im Osten hätten dann einen andere Zeit als Berlin und Rom und wiederum Lissabon, Dublin und Madrid. Bei der jetzigen Zeitumstellung stehen viele Menschen im Dunkeln auf und gehen im hellen ins Bett. Sie haben letztendlich weniger Licht. Wir wissen, dass der Mensch leichter Depressionen, Alkoholabhängigkeit oder Suizidgedanken bekommt, wenn er zu dunkleren Zeiten wach ist. In Skandinavien ist das beispielsweise besonders schlimm. Die Zeitumstellung spielt da nicht die überragend große Rolle, aber sie spielt eine Rolle. Sie stellt einen von mehreren Faktoren dar.

Eine Zersplitterung ist also sinnvoller?

Ja, aber nur aus medizinischer Sicht, weil wenn wir eine medizinisch ideale Zeit in Mitteleuropa hätten, würde das für Rest-Europa nicht gelten. Wenn Menschen in Ost-Europa aufstehen, wenn es hell ist, müssen Menschen in West-Europa aufstehen, während es noch dunkel ist. Sozial, ökonomisch und ökologisch mag das ganz anders sein.

Was macht die Zeitumstellung mit Menschen, die bereits psychisch belastet sind?

Es geht Zeit bei Tageslicht verloren.  Das betrifft zunächst mehr oder weniger alle Menschen.  Durch die Zeitumstellung im Frühjahr wird die Zeit, in der man im Hellen ist, aber wieder verkürzt, Dadurch sind bei vielen, auch psychisch Gesunden, Schlafstörungen vorprogrammiert, weil man beispielsweise noch im Dunkeln aufsteht und schon im Hellen zu Bett geht, während der Bio-Rhythmus noch ein anderer ist und man eigentlich eine Stunde länger schlafen könnte. Die Menschen, die im Winterhalbjahr empfindlicher auf Tageslichtmangel reagieren, sollten sinnvollerweise mehr Licht haben. Übrigens mit Lichttherapie-Geräten versuchen wir ärztlicherseits bei entsprechend empfindlicheren Menschen die Tageszeit im Winterhalbjahr zu verlängern. Wenn jetzt im Frühjahr aber die Zeitumstellung kommt, gehen tendenziell durch eine Zeitumstellung Tageslicht-Stunden wieder verloren, d.h. daß  bei diesen entsprechend veranlagten Menschen, das Risiko depressiv zu erkranken wieder ansteigt, auch wenn es zahlenmäßig nicht sehr ins Gewicht fällt.

Wie wirkt sich die Zeitumstellung auf die Entwicklung eines Kindes aus?

Für Kinder ist die Zeitumstellung aber sicher spürbar, besonders für Schulkinder und die, die in den Kindergarten gehen. Kinder müssen in der Sommerzeit früher raus und auf dem Schulweg im Dunkeln gehen. Am Vorabend sind sie später eingeschalfen, weil sie noch den alten Rhythmus haben.  Man sollte aber auch nicht übertreiben, denn mit der Zeit pendelt sich das von alleine ein. Für die Entwicklung eines Kindes entsteht kein großer Schaden. Ich würde das nicht überzeichnen.

Trotzdem gab es im zuständigen Ausschuss die Diskussion darüber, ob man den Schulbeginn auf neun Uhr verlegt. Wäre das im Zusammenhang mit der Abschaffung der Zeitumstellung sinnvoll?

Ehrlich gesagt, mir persönlich wäre man früher als Schüler damit sehr entgegengekommen. Aber das gilt eben nicht für alle. Der Aufwand ist am geringsten, wenn man eine Zeit hat, an die man sich organisatorisch gewöhnt hat und die innere Uhr sich anpassen lässt. Alles andere wäre schon wieder eine Umstellung, die den Stress erhöhen kann. Wenn man dann zusätzlich meint, Schul- und Arbeitszeiten anzupassen, kann das einen kleinen, zusätzlichen positiven Effekt bewirken, würde aber meines Erachtens organisatorisch mehr Verwirrung stiften und eine potentielle psycho-medizinisch Wirksamkeit ginge schnell wieder verloren. Man sollte einfach das so lassen, wie es ist.

Interview: Markus Rufin

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