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Süchtige Eltern

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In Deutschland lebt jedes 6. Kind bei suchtkranken Eltern. Wie die Situation in Südtirol aussieht. Und: Warum die Sucht der Eltern auch für die Kinder schwerwiegende Folgen haben kann.

von Lisi Lang

Jedes 6. Kind in Deutschland lebt bei suchtkranken Eltern. Das zeigt eine neue Schätzung der deutschen Bundesregierung. Rund 2,6 Millionen Kinder wachsen in einer Familie auf, in der die Eltern ein Alkoholproblem haben, schätzt die Bundesregierung. Weitere 60.000 Eltern sollen Schätzungen zufolge Probleme mit Drogen haben. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass eine derartige Schätzung bei uns in Südtirol zu ähnlichen Ergebnissen führen würde“, sagt Elisabeth Rechenmacher, Direktorin der Familienberatungsstelle fabe in Bozen.

In Südtirol hat man aber keine konkreten Statistiken oder Schätzungen zu diesem Thema. Diese Zahlen seien aber durchaus realistisch, meint auch der Leiter des Therapiezentrums Bad Bachgart, Helmut Zingerle. „Ich kenne Statistiken, die besagen, dass 10 Prozent der Kinder im Laufe ihrer Kindheit mit einem alkoholkranken Elternteil zu tun haben“, erklärt Helmut Zingerle eine etwas ältere Studie. „Es gibt aber noch weitere Studien die zeigen, dass jedes 2. Kind im Laufe der Kindheit mit einem alkoholkranken Familienmitglied zu tun hat“, so Zingerle.

Wie in Deutschland ist auch in Südtirol vor allem der Alkohol Thema Nummer eins, wenn es um Suchterkrankungen geht. „Das Verhalten der Eltern wird unberechenbar, alles ist eher instabil und es gibt einfach eine hohe Spannung in diesen Familien“, weiß Zingerle von betroffenen Familien. Auch Gewalt oder Missbrauch kommen in Familien mit suchtkranken Eltern vor. „Es entstehen aus dieser Abhängigkeit heraus eine Reihe von Faktoren, die für das Kind sehr schwerwiegend sein können“, so Zingerle.

Es ist daher keine Überraschung, dass Sucherkrankungen sehr häufig Grund und Auslöser von familiären Konflikten sind. „Kinder schämen sich häufig für ihre suchtkranken Eltern und reden mit niemandem darüber, um ihre Eltern zu schützen. Oder sie fühlen sich manchmal sogar für das Verhalten ihrer Eltern schuldig“, erläutert der Leiter des Therapiezentrums Bad Bachgart. Betroffene Kinder verändern daher gerne ihre sozialen Kontakte oder schotten sich ab. „Sie nehmen auch keine Freunde mehr mit nach Hause, weil sie nicht wissen, was sie dort erwartet“, weiß Zingerle.
Kinder verlieren das Vertrauen, die Selbstachtung und begeben sich auch sozial zunehmend in eine Isolation. „Den Kindern wird die Kindheit geraubt“, sagt Elisabeth Rechenmacher.

Um den eigenen Kummer zu betäuben, wird rund ein Drittel der Kinder suchtkranker Eltern später selbst abhängig. Das zeigen die Schätzungen der Bundesregierung. Diesen Wert kann der Leiter des Therapiezentrums durchaus bestätigen. „Mindestens 50 Prozent unserer Patienten hatten selbst einen Vater oder eine Mutter, die Alkoholprobleme hatten“, erklärt Zingerle. „Ich habe teilweise schon drei Generationen der gleichen Familie betreut, weil dieses Problem immer weitergegeben wurde – das ist erschreckend!“, betont Zingerle.

Man merke in diesem Moment sehr deutlich, welchen Einfluss eine unbehandelte Suchterkrankung der Eltern auch Jahre später noch auf die Kinder haben kann. „Es gibt diesen schönen Begriff Transmission: Es wird also das Problem eines Elternteils auf die Kinder weitergegeben – man kann hier aber nicht nur von genetischen Faktoren ausgehen sondern auch von den Erfahrungen, die ein Kind mit einem suchtkranken Elternteil gemacht hat.“ Diese familiären Erfahrungen können aber nicht nur zu einer Suchterkrankung führen, weiß Zingerle. Auch andere psychische Störungen können sehr häufig auf eine problematische Kindheit zurückgeführt werden. „Man muss sich vor Augen führen, was diese Erkrankung für das familiäre Klima und die Kinder bedeutet“, unterstreicht Zingerle.

Kinder gehen aber ganz verschieden mit einer Suchterkrankung ihrer Eltern um. „Man kann meist drei verschiedene Typen beobachten: Es gibt Kinder, die zu einem Aushängeschild der Familie werden, überall gut sind und so versuchen, das Problem der Eltern zu kompensieren. Andere Kinder werden selbst zum schwarzen Schaf, um von den Eltern abzulenken. Und wieder andere Kinder, die stillen Kinder, sagen einfach gar nichts, weil sie die Eltern nicht belasten wollen – diese Kinder rutschen später auch gerne in eine Depression“, erklärt der Leiter des Therapiezentrums Bad Bachgart.

Auch daher sei es wichtig, nicht nur mit den suchtkranken Eltern oder den Patienten zu arbeiten, sondern auch mit den Kindern: „Es ist wichtig den Kindern zu vermitteln, dass sie nicht schuld daran sind, was ihren Eltern passiert ist“, erläutert Helmut Zingerle.

Ein großes Problem sieht der Leiter des Therapiezentrums aber auch darin, dass diese Thematik von der Gesellschaft häufig verkannt wird: „Ich bin nach wie vor der Meinung, dass dieses Thema bei uns in Südtirol etwas bagatellisiert wird – ich glaube, man sieht die Ernsthaftigkeit des Themas oft nicht.“

Zudem sind Suchterkrankungen häufig noch tabu. Nur wenige trauen sich das Problem anzusprechen – das ist auch für Betroffene ein großes Problem. „Wenn ein Kind relativ klein ist, traut sich eine Mutter erst recht nicht dieses Thema anzusprechen, da sie Angst hat, dass man ihr das Kind wegnehmen könnte – es wird also verheimlicht, so lange es nur irgendwie geht“, weiß Helmut Zingerle. Aber genau das verschärfe das Problem noch weiter: „Wir müssten diesen Kreislauf zum Wohle der Kinder unterbrechen. Wir müssen ihnen ersparen, dass sie in unsere Fußstapfen treten.“

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