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„Wir können nicht still sein“

Centaurus-Sprecher Andreas Unterkircher über die unsägliche Schlagzeile von „Libero, die neue Homophobie-Welle – und über das Schwul-Sein in Südtirol.

TAGESZEITUNG Online: Herr Unterkircher, die Zeitung „Libero“ titelte am Mittwoch: „C`é poco da ridere, calano fatturato e Pil ma aumentano i gay“. Haben Sie noch Worte?

Andreas Unterkircher: Ich finde den Titel irreführend, denn es geht nur darum, dass die Zahl der geouteten Homosexuellen steigt. Allerdings: Die Schlagzeile ist darauf ausgerichtet, ein Feindbild zu schaffen und Hass gegen eine Minderheit zu schüren, indem unterstellt bzw. suggeriert wird, dass wir Schwulen wirtschaftlich privilegiert wären.

Ihr Fazit?

Die Schlagzeile ist einfach nur dumm und wäre nicht der Rede wert, wenn es in der Geschichte nicht schon oft passiert wäre, dass man Minderheiten unterstellt, sie wären privilegiert. Ich denke in diesem Kontext an die Juden. Es ist also bequem, Minderheiten als Sündenbock hinzustellen, wenn die Wirtschaft nicht funktioniert.

Aber mit Verlaub: Was haben Schwule mit dem Bruttoinlandsprodukt zu tun?

Gar nichts! Ich habe ja gesagt: Der Titel ist dumm. Der Artikel selbst ist ja ganz nüchtern geschrieben, da steht nur, die Sichtbarkeit der Homosexuellen habe zugenommen. Das ist wahr.

Wo ist dann das Problem von „Libero“?

Die Sichtbarkeit der Schwulen hat mit der Wirtschaft nichts zu tun, die Schlagzeile ist also fehl am Platz und tendenziös. Die Zeitung ist für ihre Titel berüchtigt …

… Vittorio Feltri hat erst zuletzt mit der Schlagzeile „Comandano i terroni“ für einen Eklat gesorgt …

… oder mit der Schlagzeile „Bastardi islamici“. Stets wird eine Minderheit als Sündenbock hingestellt, es ist immer dasselbe Spiel. Indem man sich über „Libero“ aufregt, macht man der Zeitung Werbung, aber wir können nicht still sein. Auf Facebook habe ich deswegen auch geschrieben: „Es beginnt mit Worten und endet im Blut.“

Arcigay hat eine Eingabe bei der Journalistenkammer angekündigt …

Ja, das Maß ist voll.

In Bozen hat es erst vor wenigen Tagen den Eklat um die „Associazione dei finocchi“ von Kurt Pancheri von der Lega gegeben. Haben wir es mit einer neuen Homophobie-Welle zu tun?

Es mehren sich die Fälle. Ich habe den Eindruck, dass vor allem die verbale Gewalt zugenommen hat – auch auf institutioneller Ebene. Aber auch Meinungs- und Pressefreiheit hat ihre Grenzen. Man darf nicht beleidigen!

Glauben Sie, dass „Libero“ auf diese marktschreierische Art und Weise mehr Zeitungen verkauft?

Wer keine Inhalte verkaufen kann, ist offenbar auf solch effektvolle Titel angewiesen.

Wie würden Sie die Situation der Schwulen und Lesben in Südtirol beschreiben? Wie schwierig ist es, in Südtirol schwul zu sein?

Es ist nicht leicht, und die Situation ist sehr verschieden. Es gibt viele Homosexuelle, die sich total geoutet und keine Probleme haben. Aber in den Bergdörfern und in den Tälern ist es beinhart. Ich habe erst vor kurzem eine E-Mail bekommen, da hat einer geschrieben: „Tu was für die Pusterer, weil die Situation ist nicht leicht …“ In den Städten kommt es halt immer wieder zu Übergriffen.

Bei Jugendlichen beobachtet man vielfach, dass alles schwul ist, was nicht cool ist. Ist das Homophobie? Oder Dummheit?

Beides! Dass die Selbstmordrate unter jugendlichen Homosexuellen um ein Vielfaches höher ist, das ist kein Zufall. In dem Alter sind die Jugendlichen sehr verletzlich. Da kann oft ein Wort schon zu viel sein. Daher sollte man auch solche Titel wie die von „Libero“ nicht unterschätzen.

Interview: Artur Oberhofer

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