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„Nicht sinnvoll“

Österreich denkt nach den jüngsten Zwischenfällen an Strafen bei grober Fahrlässigkeit in den Bergen. Was Südtirols Bergrettungs-Chef Ernst Winkler davon hält.

von Heinrich Schwarz

In Österreich ist jetzt bundesweit eine große Debatte darüber ausgebrochen, ob grobe Fahrlässigkeit in den Bergen bestraft werden soll. Mit ausgelöst hat sie Toni Mattle, Vizepräsident des Tiroler Landtages (ÖVP), der gleichzeitig Bürgermeister von Galtür und stellvertretender Leiter der Tiroler Bergrettung ist. Er reagierte vor zwei Wochen erbost, nachdem ein dänischer Snowboarder in Westendorf trotz Lawinenwarnstufe 4 die gesicherte Piste verließ und im freien Gelände dann einen Notruf absetzte. Die Rettungskräfte suchten damals unter Lebensgefahr mehrere Stunden nach dem Mann.

Für Mattle war das Fass damit endgültig voll: „Das Verhalten mancher Wintersportler ist einfach unfassbar. Wer in der jetzigen Schneesituation alle Hinweise missachtet und trotz zigfacher Warnungen in abgesperrte Bereiche einfährt, der gehört wegen grober Fahrlässigkeit angeklagt und entsprechend bestraft. Mit seinem Verhalten gefährdet er nämlich nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Retter.“

In solch groben Fällen der Fahrlässigkeit sollen über die Weiterverrechnung der Rettungskosten hinaus auch Geldstrafen verhängt werden können.

Jetzt hat die österreichische Bundesregierung angekündigt, Sanktionen bei grob fahrlässigem Verhalten in den Bergen zu prüfen. Insbesondere wenn Wintersportler trotz Warnungen und Verbotsschildern in ungesichertes Gelände fahren und damit eine Gefahr für andere Sportler und Retter darstellen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vize Heinz-Christian Strache befürworten die Einführung von Strafen.

Was sagt Ernst Winkler, Landesleiter der Südtiroler Bergrettung, zur Diskussion in Österreich?

Tageszeitung: Herr Winkler, halten Sie Strafen für grobe Fahrlässigkeit in den Bergen, wie sie Österreich jetzt andenkt, für sinnvoll?

Ernst Winkler: Eigentlich nicht. Es gibt unterschiedliche Situationen. In Italien haben wir sowieso eine andere Gesetzgebung, wo die Auslösung einer Lawine schon strafbar ist. Damit können wir Alpinisten alle nicht gut leben. Denn auch wenn ich eine Lawine auslöse, ohne dass überhaupt ein Schaden entsteht, sollte ich laut Gesetz bereits bestraft werden. Eine andere Sache ist, wenn ich eine Skitour mache, fahrlässig eine Lawine auslöse und jemand unter mir zu Schaden kommt. Dann wirft sich immer die Frage auf, ob der unter mir nicht so gut ausgebildet sein sollte, dass er nicht dort hinaufgeht, wo darüber eh schon jemand in gefährlichem Gelände unterwegs ist. Es ist manchmal augenscheinlich nicht so einfach abzuschätzen. Aber wenn man zusammen eine Tätigkeit macht, dann erhoffe ich mir, dass es wie beim Fußballspielen ist …

… und zwar?

Wenn ich jemandem beim Fußball ein Bein stelle, habe ich noch nie gesehen, dass die Carabinieri kommen, auch wenn man dem anderen vorsätzlich weh tut. Bei einer Lawine geht es zudem nur um Fahrlässigkeit. Das Skitourengehen sehe ich ebenso als gemeinsame Tätigkeit, wo jeder wissen muss, was er zu tun hat. Natürlich: Wenn jemand eine Tour leitet und Leute dabei sind, die nicht so gut ausgebildet sind, hat derjenige die Verantwortung zu schauen, dass nichts passiert. Das wird auch immer untersucht. In Österreich gibt es viele Urteile, die immer relativ gut ausgegangen sind, weil ein Experte etwa sagen kann, dass die Gefahr einer Lawine nicht abschätzbar war. Wieder eine andere Situation ergibt sich bei den Variantenfahrern, wie es sie in Nordtirol sehr viele gibt, weil die Möglichkeiten dort viel größer sind als bei uns. Die Frage ist, ob man die Leute nicht gut genug aufklärt. Wer sich in Gefahr bringt, sieht das Risiko selbst oft gar nicht.

Beim Fall des Snowboarders in Nordtirol ging keine Lawine ab, sondern er hat einen Notruf abgesetzt, weil er nicht mehr weiter wusste. Damit brachte er die Rettungskräfte auch in Gefahr. Was ist mit solchen Fällen?

Da müssen die Rettungskräfte abschätzen, was sie tun. Wenn sie sagen, der Einsatz sei zu gefährlich, können sie die Person auch oben lassen. Kein Richter wird dann hergehen und sagen „der ist gestorben, weil ihr nicht hinaufgegangen seid“. Komischerweise streiten wir uns fast, wer als erstes die Rettung machen darf. Und danach täte man fast noch über Fahrlässigkeit diskutieren. Wir als ordentlicher Rettungsdienst sollten uns nie in Gefahr begeben, sondern die Situation abschätzen können. Wenn ich der Meinung bin, es ist zu gefährlich, muss ich den Patienten oben lassen und auf einen ungefährlichen Moment warten.

Gibt es in Südtirol öfters Fälle, wo sich Rettungskräfte in größere Gefahr begeben, weil jemand die Warnungen nicht beachtet hat?

Vor einigen Jahren kam ein Retter bei der Suche nach einem Lawinenverschütteten ebenfalls unter die Lawine. Im Fassatal kamen einmal gleich vier Retter unter die Lawine. Man muss auch sagen, dass die Rettungskräfte die Gefahr auch unterschätzen können. Gerade bei Schlechtwetter tun wir uns oft schwer zu sagen, wo die Grenze ist. Der Druck ist immer hoch. Als etwa am Hochferner die vier Rittner unter die Lawine kamen, wurde ja ein paar Tage gewartet, bis Schönwetter kam, anstatt auf Biegen und Brechen bei Schlechtwetter die ganze Lawine durchzugehen. Wir als Spezialisten sollten die Gefahr abschätzen können. Das heißt aber nicht, dass uns nie etwas passiert, da die Abschätzung oft nicht so einfach ist.

Die Diskussion in Österreich halten Sie also für überzogen?

Ich persönlich halte von der Diskussion nicht viel. Wenn ich von Südtirol reden darf: Wir sind alle Alpinisten, die sich im Gelände auskennen. Und wir wissen, dass ein Fehler oder eine Unvorsichtigkeit der Grund ist, wenn etwas passiert. Wir sind aber sicher nicht die ersten, die mit dem Finger auf jemanden zeigen und sagen „du hättest das nicht tun dürfen“ – zumindest nicht öffentlich. Vielleicht stellen wir denjenigen danach zur Rede und sagen es ihm, damit er für die Zukunft lernt. Aber das öffentlich auszubreiten, halte ich nicht für sinnvoll.

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