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Mies van der Rohe in Südtirol

 

Mies van der Rohe, einer der einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts, hat Skizzen zu einem Haus in den Bergen hinterlassen, deren Entstehungsgeschichte bislang unbekannt war.  Das sogenannte Mountain House entstand 1934 während eines Aufenthalts in Südtirol.

 Die 40 Skizzen und Pläne des Mountain House sind heute im New Yorker Museum of Modern Art verwahrt. Dort fand im Jahr 1947 die erste bedeutende Ausstellung über den 1938 in die USA ausgewanderten deutschen Architekten statt. Mies war an der Konzipierung der Ausstellung stark beteiligt, sammelte Material, wählte Zeichnungen aus und schuf eigens für die Ausstellung neue. Aufgrund des begrenzten Platzes im MoMA musste Mies auf mehrere realisierte Projekte verzichten, selbst sein bekannter Wohnblock in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart von 1927 fand keinen Platz in der Ausstellung. Das von Mies niemals realisierte Mountain House hingegen wurde in wandfüllender Größe ausgestellt. Wieso war ihm dieses Haus beziehungsweise dessen Skizze in der Ausstellung so wichtig?

Skizze zum Mountain House

Unbestritten für die meisten Forscher ist das Entwurfsdatum des Berghauses, nämlich das Jahr 1934, der Entstehungs- oder gar mögliche Standort blieb bisher vage auf Südtirol begrenzt, das MoMA selbst gibt als Verortung Meran an. Der Südtiroler an der ETH Zürich forschende Architekt Ivan Bocchio konnte nun nachweisen, dass die Skizzen in Oberbozen am Ritten, nahe der Südtiroler Hauptstadt Bozen entstanden sind. Dort, wo von 1922 bis 1926 seine Frau Ada mit den drei Töchtern für insgesamt vier Jahre lebte. Mies kannte die Gegend also gut. 1934 – das Bauhaus, dessen Direktor Mies damals war, wurde von den Nazis im Jahr davor geschlossen – verbrachte Mies wiederum einige Wochen am Ritten. Die Einsicht in die persönlichen Dokumente aus dem Nachlass im MoMA geben Aufschluss darüber, wann der deutsche Architekt für die Sommerferien sein Atelier in Berlin verlassen hat und wann er wieder nach Berlin zurückgefahren ist. Die Abreise muss hektisch vonstattengegangen sein, mehrere Telegramme wurden zwischen Berlin und Oberbozen gewechselt. Mies wurde von seinen Ateliermitarbeitern gesucht, da ein Treffen mit der Reichskammer der Bildenden Künste anstand und Mies „sich an einer probeweisen Lösung der Ausstellungsbauten für die Weltausstellung in Brüssel beteiligen“ solle. Mies war bereits abgereist, die Telegramme erreichten ihn nicht, aber wohl die Information, denn er nahm tags darauf am besagten Treffen teil.

Philosophieprofessor Alois Riehl (1844–1924): Der erste Auftraggeber des damals erst zwanzigjährigen Mies van der Rohe.

Auch der Vergleich mit anderen Quellen bestätigt, dass Mies’ Mountain House während eines Aufenthalts auf dem Ritten in Südtirol entstand. Dass dies kein Zufall war, zeigt die tiefe Verbundenheit des Architekten zu seinem ersten Auftraggeber, den aus Bozen stammenden Philosophieprofessor Alois Riehl (1844–1924). Alois Riehl war der zweite Sohn einer angesehenen Bozner Wirtshausfamilie, der später als Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin den Lehrstuhl für Philosophie innehatte. Er veröffentlichte 1897 als Erster ein Buch über den Philosophen Friedrich Nietzsche als „Denker und Künstler“ und bereitete damit der Nietzsche-Rezeption in Künstler- und Architektenkreisen der Jahrhundertwende den Boden. Gerade er war der erste Auftraggeber des damals erst zwanzigjährigen Mies. Durch Alois und seine Frau Sofie lernte Ludwig Mies seine zukünftige Frau Ada Bruhn kennen. Zwischen den Riehls und der Familie Mies entstand eine lebenslange Freundschaft, die wohl auch der Grund für die zahlreichen Aufenthalte in Südtirol sind.

Ivan Bocchio (Hrsg.): Mies van der Rohe. Zwischen Südtirol und New York. Edition Raetia, 192 Seiten.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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