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„Südtirol ist sicher“

Giancarlo Bramante

Der Leitende Oberstaatsanwalt am Landesgericht, Giancarlo Bramante, über die gefühlte Unsicherheit der Menschen, über das Ermittlungsgeheimnis – und über wahre Freunde.

TAGESZEITUNG Online: Herr Oberstaatsanwalt, Sie sind jetzt seit fast zwei Jahren im Amt. Welcher war Ihr größter Fall?

Giancarlo Bramante: Schöne Frage. Ein großer Fall war sicher der Dopingfall Alex Schwazer. Ich habe in 15 Mordfällen ermittelt. Ein wichtiger Fall war auch der Fall Cuno Kaserer zur Todes-Lawine in Schnals. Ich muss aber dazusagen, dass ich in der Regel von meinen Fällen nicht fasziniert bin.

Sie sehen das ganz nüchtern und emotionslos?

Ja, sobald ein Fall Rechtskraft erlangt, ist er für mich abgeschlossen.

In Bezug auf die Straftaten: Gibt es Trends hin zu mehr Gewaltverbrechen? Nehmen die Delikte gegen die öffentliche Verwaltung ab?

Es geht da um die Wahrnehmung: Natürlich haben Mordfälle in der Öffentlichkeit ein viel größeres Echo. Aber es ist keineswegs so, dass die Delikte gegen die öffentliche Verwaltung abnehmen. Wir hatten in den letzten zwei Jahren den Korruptionsfall im Bozner Spital, eine Korruptionsermittlung, die wir von Trient übernommen haben, dann die Ermittlungen zur Hochgeschwindigkeitsstrecke Genua-Mailand, die auch uns berühren. Dann die Ermittlungen in Sachen Fraktionsgelder …

… den Fall Pius Leitner?

Richtig. Ich würde also nicht sagen, dass die Straftaten gegen die öffentliche Verwaltung rückläufig sind. Was stimmt: Wir gehen damit nicht groß an die Öffentlichkeit, denn wir verfolgen eine andere Informationspolitik …

Darüber sprechen wir noch. Wie erklären Sie sich, dass sich bei vielen Menschen in Südtirol ein Gefühl der Unsicherheit breitmacht, obwohl viele Straftaten laut Statistik rückläufig sind?

Das frage ich mich auch oft! Ich denke, dass diese gefühlte Unsicherheit von den Massenmedien erzeugt wird, die die Fälle teilweise auch aufbauschen. Ich will nicht die Medien beschuldigen, aber dieses Gefühl der Unsicherheit entsteht aufgrund von Informationen, die die Menschen bekommen. Die Meldung bzw. Information, dass laut Statistik die meisten Straftaten rückläufig sind, ist für die Medien und für die breite Öffentlichkeit weit weniger spektakulär als ein Überfall auf den Talferwiesen. Der Umstand, dass solche Nachrichten in großer Aufmachung gebracht und auch über die sozialen Medien kommuniziert werden, erzeugt natürlich eine Stimmung der Unsicherheit oder des Unbehagens.

Dabei ist Südtirol sicher?

Ich bin froh, dass Sie mir diese Frage stellen. Denn ich kann mit Stolz sagen: Fast alle Fälle werden aufgeklärt! Und ich kann die Bevölkerung beruhigen: Wir haben das Territorium sehr gut unter Kontrolle. Das sage nicht ich, das belegen auch die Statistiken.

Nicht jeden Fahrraddieb können Sie fassen …

Die guten „ladri di biciclette“ hat es immer gegeben. Als wir jung waren, mussten wir auch unsere gestohlenen Fahrräder am Zugbahnhof wieder abholen. Auch damals hat man gewusst, wer sie gestohlen hat (lacht).

Das Verhältnis zwischen der Justiz und der deutschsprachigen Bevölkerung in Südtirol war viele Jahrzehnte lang gespannt und von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Heute?

Ich habe ein gutes Gefühl. Es ist für mich als Staatsanwalt logisch, dass ich mit dem Angeklagter in seiner Muttersprache spreche. Das gilt auch für viele Ermittler. Ich habe das Gefühl, dass uns die Menschen vertrauen.

Vom Privatmann Giancarlo Bramante weiß man wenig. Darf man etwas wissen?

(lacht) Nein, ganz wenig, weil ich sehr viel auf meine Privacy halte.

Giancarlo Bramante

Sie haben Familie? Kinder?

Frau und zwei Kinder.

Und Hobbys?

Schachspielen?

Gut?

Ziemlich gut. Ich habe nicht so viele ELO-Punkte, aber Schach hat mich seit jeher fasziniert.

Warum?

Ich habe mit sechs Jahren mit dem Schachspielen begonnen. Dieses Spiel ist eine Mischung aus Mathematik, Strategie und Spannung. Man muss sich in den Kopf des Gegners hineinversetzen. Das Schachspiel färbt auch auf das Leben ab …

Sie sind im normalen Leben?

Mal Verteidiger, mal etwas aggressiv, also eine Mischung!

Sie stehen noch immer unter Personenschutz. Sie wurden von Anarchisten bedroht …

Ja.

Ist es nicht lästig, ständig von Sicherheitsbeamten begleitet zu werden?

Ich antworte mit den Worten des Generalstaatsanwaltes von Trient, der gesagt hat: „La scorta non è un diritto, la si subisce.“

Stichwort Informationspolitik: Seit Sie Chefstaatsanwalt sind, ist der Gerichtspalast zu einem Bunker geworden …

Ich bin aus Überzeugung dafür, dass die Prozesse in den Gerichtssälen und nicht in den Medien ausgetragen werden.

Sie sind ein Staatsanwalt der alten Schule?

Wenn Sie damit meinen, dass ich mit der Presse nicht über laufende Verfahren rede, weil dies nicht objektiv wäre, dann bin ich ein Staatsanwalt der alten Schule.

Es hat in diesem Palast einen Oberstaatsanwalt gegeben, Mario Martin, der seinen Stellvertretern untersagt hat, private Einladungen anzunehmen …

In dem Sinne bin ich sicher auch aus der alten Schule.

Andererseits hat die Bevölkerung aber auch ein Recht informiert zu werden. Von Ihnen wird die Aussage kolportiert: Sie seien nicht verpflichtet, die Öffentlichkeit zu informieren …

Ich habe gesagt, dass ich keine Informationspflicht habe, solange das Ermittlungsgeheimnis besteht. Im Gegenteil, ich selbst würde mich strafbar machen, wenn ich das Ermittlungsgeheimnis verletzte. Und ich habe noch etwas gesagt: Hat es einen Sinn, dass wir Staatsanwälte der Presse mitteilen, dass eine Person eine Benachrichtigung über den Abschluss der Ermittlungen bekommt? Wir Staatsanwälte haben darüber diskutiert und sind übereingekommen: Nein, das hat keinen Sinn, weil es oft vorkommt, dass uns ein Rechtsanwalt, der dann für seinen Mandanten zu den Anschuldigungen Stellung nimmt, überzeugt. Ein Ermittlungsbescheid oder eine Benachrichtigung über den Abschluss der Ermittlungen darf keine Vorverurteilung sein.

Sie sind ein „garantista“?

Absolut! Ich habe zu Ihren Kollegen aber auch zu meinen Mitarbeitern immer gesagt: Wir sollten immer daran denken, dass auch wir auf der anderen Seite stehen könnten. Möchten wir mit Namen und Foto als Person, die unter Ermittlung steht, in der Zeitung sein? Und: Was ist, wenn das Verfahren am Ende archiviert wird?

Machen Sie einen Unterschied zwischen öffentlichen Personen oder Normalbürgern?

Vor Gericht sind alle gleich.

Die Journalisten mögen Sie nicht, weil Sie nie nix sagen …

(lacht) Ich mache meine Arbeit, mir ist es egal, ob mich die Journalisten lieben oder nicht.

Wie viel Bürgernähe soll eine gerichtliche Institution bieten? Kommt jemand, der ein Problem hat, bis zu Ihnen vor?

Viele Leute bekommen einen Termin, entweder direkt  bei mir oder bei meinen Mitarbeitern. Es gibt Leute, die sich über einen Staatsanwalt oder über Gerichtspolizisten beklagen. Natürlich, bei einem Nachbarschaftsstreit bin ich die falsche Adresse.

Sie persönlich treten fast nie bei öffentlichen Anlässen auf. Bewusst?

Ja. Ich habe meine Freunde, meinen Freundeskreis. Ich habe die Segel-Kollegen. Alles, was privat ist, soll nicht meine Arbeit beeinflussen. Ich habe wenige Freunde, aber ich habe – wie sich mehrmals bestätigt hat – wahre und echte Freunde.

Gab es Situation, wo Sie Einladungen ausgeschlagen haben, weil Sie sich sagten, dort hinzugehen, wäre nicht opportun?

Ja.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann einmal in die Politik zu wechseln?

Nein.

Richter Cuno Tarfusser

Der Öffentlichkeit ist nicht verborgen geblieben, dass Ihre beiden Vorgänger Cuno Tarfusser und Guido Rispoli heillos zerstritten sind. Warum?

(lacht) Das sollen Sie die beiden Kollegen fragen.

Wie stehen Sie zu den beiden Kollegen?

Wir haben ab und zu Kontakte. Beide haben sich in meine neue Tätigkeit nie eingemischt.

Ist der Job, den Sie jetzt haben, Ihr Traumberuf?

Das ist immer relativ, denn wir alle entwickeln uns weiter. Staatsanwalt war einer meiner Traumberufe …

Und wenn Sie nicht Staatsanwalt geworden wären …

… dann wäre ich Arzt geworden. Es gibt Parallelen zwischen beiden Berufen. In beiden Berufen kann man Menschen, die in Not sind, helfen. Ich habe ernsthaft überlegt, Medizin zu studieren. Entscheidend war am Ende vielleicht, dass zwei Brüder meines Opas Richter waren.

Welche Bereiche der Medizin hätten Sie fasziniert?

Kardiologie oder Neurologie.

Interview: Artur Oberhofer

 

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