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„Fragwürdiges Dekret“

Ein Flüchtling in Südtirol (Foto: Caritas)

Seit gestern ist das umstrittene „Salvini-Dekret“ in Kraft. Südtiroler Sozial-Vereinigungen haben nun einen Appell an LH Arno Kompatscher gerichtet und warnen vor schwerwiegenden Konsequenzen.

von Markus Rufin

Seit gestern ist das Decreto Salvini in Kraft. Bereits im Vorfeld sorgte das Dekret für zahlreiche Diskussionen.
Die genauen Folgen des Gesetzes sind noch nicht vorherzusehen. Die Lega und andere Mitte-Rechts Parteien hoffen, dass es durch das Dekret zu einer geregelteren Flüchtlingsaufnahme kommt und der Migrantenfluss abnimmt.
Gegner des Dekretes gibt es auch in Südtirol. In einem offenen Brief melden sich nun eine ganze Reihe von Hilfsorganisationen und wohltätigen Vereinen zu Wort und richten an Landeshauptmann Arno Kompatscher und Landesrätin Martha Stocker einen Apell.
Federführend ist dabei die Organisation für eine offene Welt (oew), aber auch Organisationen wie AGB, ANPI, die Alexander Langer Stiftung oder das Haus der Solidarität haben den Apell unterzeichnet. Insgesamt sind es 17 Vereine und Organisationen, die auf die Folgen des Dekretes aufmerksam machen.
Die Lokal-Politik wird im Schreiben dazu aufgefordert, „verstärkt Stellung zu beziehen.“ Außerdem soll die Provinz angemessene Maßnahmen entwickeln.
Insbesondere die Abschaffung des humanitären Schutztitels macht den Organisationen, von denen sich die meisten selbst intensiv um notleidende Menschen kümmern, Sorgen. Dieser Schutztitel steht Menschen zu, die es aus humanitären Gründen zu schützen gilt.
Laut Zahlen des Innenministeriums wurden 2017 41 Prozent aller Asylanträge anerkannt, davon gingen 25 Prozent an Flüchtlinge mit einem humanitären Schutztitel. Das sind 20.116 Personen. Diese Asylanträge sollen allerdings erneut überprüft werden und eventuell nicht mehr verlängert werden.
Das neue Gesetzesdekret möchte diesen humanitären Schutz durch Aufnahme von „speziellen Fällen“ ersetzen. Allerdings umfassen diese „speziellen Fälle“ nicht alle Motive, aus denen bisher der humanitäre Schutz vergeben wurde.
Die Organisationen befürchten daher einen Anstieg der abgelehnten Asylanträge. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass sich mehr Personen illegal auf italienischem Staatsgebiet aufhalten. Das sei deshalb problematisch, da Abschiebungen nicht im entsprechendem Ausmaß zeitnah realisierbar sind, heißt es im Schreiben.
Die Caritas der Diözese Bozen-Brixen, die den Apell ebenfalls unterzeichnet hat, rechnet damit, dass in Bozen 230 bis 260 Personen, die derzeit in einer Asylunterkunft untergebracht sind, daher in absehbarer Zeit obdachlos werden. Die Caritas spricht von „Unsichtbaren, die dazu gezwungen sein werden, auf der Straße zu leben“.
Auch andere Aufnahmezentren, wie die Notschlafstätte in der Ludwig-von-Comini-Straße könne für den bevorstehenden Anstieg von Obdachlosigkeit keine Lösung finden.
Ein weiterer Punkt der bei Caritas, oew und Co. Bedenken auslöst ist die Änderung des Aufnahmesystems. Denn durch das Gesetzesdekret soll das nationale SPRAR-Aufnahmesystem, dem sich viele Südtiroler Gemeinden angeschlossen haben, stark beschnitten werden. So werden künftig alle Asylantragsteller, deren Verfahren noch am Laufen ist, vom System ausgeschlossen. Ebenso verhält es sich mit den Personen mit einem humanitären Schutztitel sowie dem Großteil der Personen, die zu den „speziellen Fällen“ zählen.
Dem Dekret zufolge sollen alle Antragsteller bis zur definitiven Entscheidung in eine CARA- oder CAS-Struktur unterkommen. Bisher sollten CAS-Strukturen aber eine Ausnahme sein.
Gleichzeitig wird das SPRAR-Projekt künftig weniger finanzielle Unterstützung erhalten. Integrationsmaßnahmen wie die Erlernung der Landessprache sollen ausschließlich Personen mit internationalem Schutztitel zustehen.
Für die Organisationen, die den Apell unterzeichnet haben, ist das SPRAR-Projekt aber ein „europäisches Vorzeigemodell“, da es auf individuelle Bedürfnisse eingehe und die Integration erleichtere. Eine Einschränkung hätte dementsprechend zur Folge, dass es zu neuen Formen von sozialen Ausschluss kommt.
Die Unterzeichner sprechen in diesem Zusammenhang von einer „doppelten Verantwortung“, die mit der Flüchtlings-Aufnahme einhergeht: „Wir halten es für äußerst fragwürdig, dass das Gesetzesdekret seinem angeblichen Anliegen gerecht wird und tatsächlich ,Sicherheit‘ bewirkt. Denn ein nachhaltig wirkender gesellschaftlicher Frieden ist unserer Meinung nach nur durch Integration zu erreichen.“ Die Organisationen berufen sich dabei auf die Integrationsvereinbarung der Provinz.
Am Schreiben koppeln die Organisationen außerdem drei wesentliche Forderungen. Die Provinz soll den Einfluss auf den nationalen Gesetzgeber verstärken und die Konsequenzen verhindern. Außerdem sollen die Entwicklung von Strategien zur Verteilung von Asylsuchenden schnellstmöglich aufgenommen werden, um Erschwernisse zu entgegnen. Ebenso sollen schnellstmöglich Strategien zum Umgang mit einer vermehrten Anzahl an Obdachlosen entwickelt werden.
Inwiefern das möglich ist, vermag auch Arno Kompatscher nicht abzuschätzen. Der Landeshauptmann ist aber ebenfalls der Ansicht, dass das Dekret nicht alle Aspekte in Punkto Sicherheit verbessert: „Interessanterweise waren wir auch bei der Regionenkonferenz einhellig dieser Meinung – auch jene Regionen, in denen die Lega regiert hatten Bedenken. Diese Bedenken habe ich stellvertretend auch bei einem Treffen mit Innenminister Matteo Salvini geäußert.“
Eines möchte Kompatscher aber klar stellen: „Jene Asylsuchenden, die jetzt in SPRAR-Unterkünften sind, bleiben so lange dort, bis ihr Verfahren abgeschlossen ist. Erst danach greift das Dekret.“
Ein möglicher Anstieg der Obdachlosen würde dementsprechend einige Zeit dauern. „Wir beraten uns derzeit intern in den Ämtern und mit em Regierungskommissariat darüber, wie wir diese Probleme reglen werden.
Der Landeshauptmann erinnert aber auch daran, dass es wichtig ist, Regeln einzuhalten und Gesetzesbrüche zu vermeiden.
„Wir werden uns darum bemühen, dass wir die Situation in Griff behalten und die Befürchtungen nicht so eintreten“, versichert Kompatscher.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (31)

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  • erich

    Nun suchen die linken Idiologen und Sozialvereine jede Gelegenheit um gegen Salvini mobil zu machen. Natürlich gibt es Härtefälle und tragische Schicksale, wenn wir nicht wollen, dass wir überrannt werden dann müssen Maßnahmen getroffen werden. Die neue Spanische linke Regierung hat die Grenzen aufgemacht und was passiert, nun werden sie reihenweise wieder abgewählt. Im Mittelmeer wurden von sogenannten Lebensrettern die Migranten von den Schleppern übernommen und in Italien an Land gebracht anstatt gleich nach Hamburg zu bringen. Dank Salvini wurde diesem Treiben ein Ende gesetzt.

    • george

      Ihr Blindgänger und Übertreiber.
      Vereine und soziale Einsatzhelfer trifft überhaupt keine Schuld, sie müssen nur unter äußerst geringer Beistandshilfe und unter prekärsten Bedingungen einstehen und helfen, was die Machtinstitutionen versämt haben und versäumen, unabhängig ob rechts, links oder Mitte. Also was lasst ihr euch so niederträchtig darüber aus? Salvini ist nicht der Retter, er hat das zu tun, was als Innenminister seine Aufgabe ist und die macht er zwischendurch mehr schlecht als recht, weil er auch wiederum in der anderen Seite jegliche humane Unterstützung missen lässt. ‚erich‘ und co., ihr setzt immer nur Extreme, den ausgleichenden und gerechten Mittelweg findet auch ihr nicht und sät nur Hass und betreibt Hetze. Ihr seid halt eben Salvini-Jünger. So war es in den 30-iger Jahren des letzten Jahrhunderts auch und wohin haben diese geführt? Viele, die damals gelebt haben, könnten euch die Augen öffnen, aber ihr wollt sie ja nicht auftun.

  • morgenstern

    Der Lohnschreiber der SVP (Andr) war heute noch nicht hier, hoffentlich ist ihn nichts passiert.

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