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Das Geschäft mit der Zahnspange

Für viele Familien sind Zahnspangen eine große finanzielle Herausforderung. Aber brauchen wirklich alle Kinder eine Spange? Und: Warum greift das Land den Familien nicht stärker unter die Arme?

Tageszeitung: Frau Dr. Schneider-Moser und Herr Dr. Moser, wie viele Kinder in Südtirol haben eine Zahnspange?

Ute Schneider-Moser und Lorenz Moser (Kieferorthopäden in Bozen): Wir würden sagen, dass man bei uns von jedem dritten Kind in der Grund- und Mittelschule sprechen kann. Es gibt selten Kinder, die ein perfektes Gebiss aufweisen und Eltern achten heute einfach generell mehr als früher auf die Zahn- und Kieferstellung – nicht zuletzt weil schöne Zähne in unserer Gesellschaft eine wesentliche Rolle spielen.

Aber auch Erwachsene tragen immer mehr Zahnspangen, oder?

In Südtirol gibt es noch einen gewissen Nachholbedarf durch nicht durchgeführte kieferorthopädische Behandlungen im Kindes- und Jugendalter – Zahnspange waren schon immer teuer und mussten privat bezahlt werden. In Deutschland beispielsweise übernimmt die Krankenkasse 80-100 Prozent der Kosten, aber hier in Südtirol müssen die allermeisten Familien selbst dafür aufkommen. Unterstützung gibt es nur für Minderjährige, wenn das Einkommen der Eltern unter 23.000 Euro netto bleibt. Wenn beide Eltern arbeiten, ist diese Obergrenze aber sehr schnell überschritten und dementsprechend klein ist die Gruppe derjenigen, die um einen Beitrag ansuchen kann.

Die Kosten einer Zahnspange sind also für viele Familien eine große finanzielle Belastung…

Das stimmt sicher. Es ist ja auch häufig so, dass eine Familie nicht nur ein sondern zwei oder drei Kinder hat und diese dann oft zeitgleich oder zumindest zeitnah behandelt werden müssten. Dann ist eine kieferorthopädische Behandlung für viele Familien ganz sicher eine enorme finanzielle Belastung und es wäre wünschenswert, wenn es auch für kinderreiche Familien, die über ein bereinigtes Einkommen von über 23.000 Euro verfügen, Zuzahlungen der Krankenkasse gäbe.

Braucht wirklich jedes Kind eine Zahnspange?

Ein ganz wichtiger Punkt ist die Wahl des richtigen Zeitpunkts für eine kieferorthopädische Behandlung. Nicht jede Fehlstellung muss bereits im Kindesalter korrigiert werden, einige jedoch schon. Zu diesem Thema gibt es ganz eindeutige evidenzbasierte Studien, um den besten Moment für den Beginn einer Spangenbehandlung zu erkennen. Für den Patienten ist wohl eine möglichst wirksame, schnelle und günstige Behandlung besser als eine jahrelange Regulierung, die neben höheren Kosten auch mehr psychische und physische Belastung mit sich bringt.

Und warum macht man das dann nicht immer?

Häufig werden kieferorthopädische Leistungen nicht von qualifizierten Kieferorthopäden erbracht, sondern auch von Allgemeinzahnärzten – was der Gesetzgeber auch nicht verbietet. Sobald ein Zahnarzt seine Zulassung hat, darf er auch kieferorthopädisch tätig werden – auch ohne Facharztausbildung. Die Zahnheilkunde ist aber heute ein so umfangreiches Gebiet, dass ein normaler Zahnarzt unmöglich alle Bereiche beherrschen kann.
Wir sehen bei uns in der Praxis leider immer wieder junge Patienten, die schon jahrelang in Behandlung aber ohne adäquates Resultat sind und wundern uns dann schon recht häufig, warum etwas angerannt wurde, was man eigentlich in kürzerer Zeit wesentlich effizienter hätte lösen können. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch, dass der beste Zeitpunkt für eine Behandlung verpasst wurde. Es wäre daher wünschenswert, sollte es Beiträge für kieferorthopädische Leistungen geben, dass die Behandlungspläne von qualifizierten Kieferorthopäden überprüft werden.

In Deutschland wird aktuell sehr intensiv über die Sinnhaftigkeit von Zahnspangen diskutiert…

Ob eine Zahnspange sinnvoll ist und wie die individuelle Behandlung gestaltet werden sollte, hängt davon ab, ob derjenige, der den Patienten betreut, auch die Kriterien kennt: Was macht Sinn, wann soll man behandeln und vor allem wie soll man behandeln. Kieferorthopädie bedeutet nicht nur Zähne begradigen, sondern eine gute Kaufunktion, Ästhetik und Zahnstellung in Einklang mit dem knöchernen Fundament zu schaffen. Das Ziel sollte keinesfalls sein, dass ein Kind unnötig lange mit der Zahnspange herumlaufen muss, sondern dass in kürzest möglicher Zeit das beste Resultat mit dem geringstmöglichen Aufwand erzielt wird.

Eine feste Zahnspange kostet im Durchschnitt zwischen 4.500 und 8.000 Euro. Warum gibt es so große Schwankungen?

Die bloße landläufige Bezeichnung „feste Spange“ bedeutet eigentlich gar nichts – nur, dass man ein paar Brackets auf die Zähne klebt und diese mit Drähten verbindet. Über den Schwierigkeitsgrad der individuellen Fehlstellung gibt das überhaupt keinen Aufschluss. Daher sprechen seriöse Kieferorthopäden auch nicht von den Kosten der Spange, sondern den Kosten der Behandlung. Sehr komplexe Behandlungen können wohl kaum das gleiche kosten wie einfache Behandlungen, bei denen nur kleinere Verschiebungen vorgenommen werden. Dann gibt es natürlich auch Unterschiede bei den Materialkosten: man kann zum Beispiel ein Bracket für rund 2 Euro oder für 17 Euro pro Stück kaufen. Und unter Umständen benötigt man noch zusätzliche Accessoires zum Dehnen oder zum Verankern von Zähnen, welche die Kosten der Behandlung wiederum erhöhen.

In Deutschland gelten ausgeprägte Fehlstellungen als Krankheit, sprich ein Großteil der Kosten wird in diesen Fällen von der Krankenkasse übernommen. Wie sieht die Situation bei uns aus?

Eine Fehlstellung gilt bei uns nicht als Krankheit – es sei denn, es handelt sich um ein angeborenes Syndrom oder um die Auswirkungen eines Unfalls mit Kiefer- oder Zahnbeteiligung. Solange der Patient keine gesundheitlichen Beschwerden hat, muss eine Fehlstellung nicht unbedingt behandelt werden.
In Deutschland werden 80 bis 100 Prozent der Kosten einer Zahnspange übernommen, wenn die zu behandelnde Fehlstellung funktionelle und nicht nur rein ästhetische Beschwerden verursacht. In Südtirol ist das Hauptkriterium der Bezuschussung vom Land – auch bei ausgeprägten Fehlstellungen mit bereits bestehenden oder drohenden Folgeschäden – immer nur die Höhe des bereinigten Einkommen (laut EEVE-Erklärung). Nur ein ganz kleiner Patientenanteil, der aufgrund eines angeborenen Syndroms wie beispielsweise die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte oder ausgedehnten Zahn-Nichtanlagen eine Zahnspange benötigt, kann unabhängig vom Familieneinkommen die vollständige Kostenübernahme durch die Provinz beantragen.

Also wird die Zahnspange unter diesem Aspekt schon fast zu einem Luxusgut…

Sehr viele Familien tun sich schwer, vor allem wenn sie mehrere Kinder haben.

Weil die Kosten so hoch sind, weichen mittlerweile nicht wenige Familien auf andere Regionen aus. Wie kann es sein, dass man in einer anderen Region für die gleiche Leistung Tausende Euro weniger bezahlt?

Richtung Süden wird die zahnärztliche Konkurrenz immer größer. Dort ist auch das Phänomen der Low-cost-Dienstleistungsfirmen verbreitet, die junge unerfahrene und dementsprechend billige Zahnärzte und Kieferorthopäden anstellen, um Leistungen im Niedrigpreisniveau anbieten zu können.
Wir glauben aber nicht, dass die gleiche Behandlungsqualität tatsächlich für Tausende Euro weniger anzubieten und erreichbar ist. Eine universitäre Fachausbildung mit Spezialisierung in Kieferorthopädie nach dem normalen Studium, kontinuierliche Fortbildungen, eine moderne Praxisstruktur mit High-tech-3D-Kamera und Röntgengeräten, der Einsatz hochwertiger Materialien – all das kostet den Behandler nicht nur viel Geld, sondern vor allem Zeit und maximales Engagement, das der Patient natürlich entsprechend honorieren muss. Wenn man bei diesen Dingen spart, kann man natürlich „die Spange“ billiger anbieten – aber die Qualität des Resultats wird wohl kaum vergleichbar sein.

Müsste die Krankenkasse den Südtiroler Familien stärker unter die Arme greifen – zum Wohle der Kinder?

Absolut. Wenn ein gesundheitlicher bzw. funktioneller Bedarf vorhanden ist, dann wäre es wichtig, wenn mehr Familien von der Provinz finanziell unterstützt würden. Bei einer rein ästhetischen Verbesserung, die zwar auch für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden wichtig ist, sollte der Patient bzw. sollten die Eltern die Kosten selbst tragen. Zwar ist gutes Aussehen und damit eben auch ein ansprechendes Lächeln im Beruf ein wichtiges Auswahlkriterium geworden, aber dafür muss die Krankenkasse nicht aufkommen. Das sollten Eltern ihren Kindern als sinnvolles Geschenk für eine erfolgreiche Zukunft mit auf den Weg geben.

Interview: Lisi Lang

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (6)

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  • erich

    Unglaublich wie einfache Ratschläge verschwiegen werden, auch in diesem Artikel. Wenn bei Jugendlichen rechtzeitig die Weisheitszähne entfernt werden dann braucht kaum jemand eine Zahnspange. Das hat bei allen funktioniert die ich kenne.

  • meintag

    Ich wurde vom Zahnarzt im öffentlichen Bereich darauf aufmerksam gemacht dass mein Sohn(damals in der Grundschule) dass Er eine Zahnspange braucht und Er als Experte in sogenannter Inramoenia also Privat in den öffentlichen Räumen des KH Dies erledigen könnte. Die Anfangssumme von ca. 2000€ musste ich vor Beginn über den Schalter einzahlen. Während der Behandlung und den Gesprächen mit dem Arzt kristalisierte sich heraus dass der Körper der Kinder in den angehenden Jugendjahren dazu neigen dass sich dabei auch die Gebissstellung wiederum verändern kann welches für mich die Schlussfolgerung war mit der Behandlung abzubrechen. Nun nach ca. zehn Jahren Abstand habe ich die Behandlung bei meinem Sohn im erwähnten Jugendalter nach vier Jahren privat abgeschlossen und dabei Einiges an Geld erspart welches mir der damalige Experte abnehmen wollte. Soviel zu den Zahnärzten im öffentlichen Bereich.

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