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Die Blumauer Entdeckung

Am vergangenen Samstag wurde in Blumau ein Gedenkstein zu einem bisher unbekannten Gefangenenlager enthüllt und ein Buch dazu vorgestellt. Geschichtsschreibung mit besonderem Zuschnitt.

Von Thomas Vikoler

Die Schützenkompanien von Karneid, Steinegg und Gummer schießen Salut, die Musikkapelle Karneid spielt die Schützen-Hymne. Und zwei Jungschützen enthüllen am Eingang der alten Tierserstraße in Blumau eine Gedenktafel. Die Aufschrift: „In Erinnerung Prato Isarco 1941-1943, Faschistisches Konzentrationslager. Nie wieder Faschismus und Krieg. Gezeichnet: Südtiroler Heimatbund, Schützenkompanien Karneid, Steinegg, Gummer, Heimatpflegeverein Karneid, Gemeinde Karneid“.

Eine eher martialische Feier zu einer wichtigen geschichtlichen Entdeckung: Auf dem Areal der ehemaligen Bierbrauerei Blumau-Vilpian befand sich ein vom faschistischen Regime eingerichtetes Gefangenenlager. Laut seinem Entdecker, dem früheren AGB/CGIL-Gewerkschafter Günther Rauch, ein „von der offiziellen Geschichtsschreibung verschwiegener“ Ort der Gewalt. Rauch hat im Auftrag des Südtiroler Heimatbundes ein Buch über das Lager in Blumau geschrieben, das auf dem Umschlag als „Italiens vergessenes Konzentrationslager“ bezeichnet wird.

Ein problematischer Begriff, auch wenn in den im Buch zitierten Dokumenten tatsächlich von „campo di concentramento“ die Rede ist. Allerdings erlangte der Begriff Konzentrationslager (KZ) erst durch den von den Nazis verübten Holocaust seine heute gebräuchliche Bedeutung. Autor Rauch sagt aber in seiner Rede vor der Gedenktafel: „Der italienische Faschismus war hier dem Nationalsozialismus in Sachen Unterdrückung voraus“.

In seinem Buch schreibt er hingegen: „Der von den Internierten und vom italienischen Innenministerium verwendete Begriff „campo di concentramento“ suggeriert automatisch ein „Vernichtungslager“, das heißt massenhafte und systematische Hinrichtung menschlichen Lebens. Davon ist allerdings aus dem „KZ Campo d’Isarco“ nichts überliefert. Außer man hat, wie vieles andere in der Geschichte Südtirols, alles vertuscht und verschwiegen. Im Lager „Campo d’Isarco“ dürften wohl eher die Einschüchterung, psychologische Erniedrigung und die Zwangsarbeit im Vordergrund gestanden sein. Es diente zur Internierung von Kriegsgefangenen und zur Bestrafung von Deportierten und Zwangsarbeitern.“

Zur Zahl der Inhaftierten gibt es unterschiedliche Angaben: Im Buch ist von 600 Häftlingen die Rede, kurz vor der Gedenkstein-Enthüllung wurde die Nachricht verbreitet, in Blumau seien „zeitweise bis zu 3.000“ Personen eingesperrt worden. Bewacht von 66 faschistischen Scharfschützen, wie Rauch in seiner Rede berichtet.

Bemerkenswerter sind andere Recherche-Ergebnisse: In der Ex-Bierbrauerei, die bereits Jahrzehnte davor geschlossen worden war, wurden Kriegsgefangene und Zivilisten aus Australien, Großbritannien, Indien, Jugoslawien und der Sowjetunion untergebracht. Berichtet wird auch von indischen Sikhs, die in der englischen Armee in Ägypten, Libyen und Tunesien gegen die italienische Armee kämpften und zu Kriegsgefangenen wurden. Die Welt in Blumau.

„Die Haftbedingungen waren für die Internierten je nach Haftperiode und nationaler Zugehörigkeit und politischem Status sehr heterogen. Es lag auch im Ermessen des faschistischen Wachpersonals, wie die Gefangenen behandelt und diszipliniert wurden. Darüber herrschte Stillschweigen. Ansonsten war das Alltagsleben im Lager von Blumau ähnlich wie in anderen italienischen Lagern“, heißt es im Buch „Italiens vergessenes Konzentrationslager“.

Denn tatsächlich handelte es sich um einen von vielen Gefangenenlagern, welche das faschistische Regime ab der zweiten Hälfte der 1930iger Jahre auf dem gesamten Staatsgebiet errichten ließ. Autor Rauch spricht von 250 derartiger „Campi“, die Friulaner Historikerin Alessandra Kersevan in ihrer kurzen Rede bei der Gedenksteinenthüllung von 200.

Die örtliche Bevölkerung hat offenbar wenig von dem Gefängnis in der Ex-Brauerei mitbekommen. „Es handelte sich um eine „geheime Staatssache“ unter Aufsicht und Führung der italienischen Armee“, schreibt Rauch. „Die im Lager gefangenen Soldaten wussten ebensowenig von den Dorfbewohnern. Es wurde nur überliefert, dass sie jeden Sonntag die Dorfbewohner beobachteten, wie sie in Tracht zur Messe des dem hl. Antonius geweihten Pfarrkirche gingen“.

Die gegenseitige Abschottung erklärt vielleicht, warum das Gefangenenlager in Vergessenheit geraten ist.

Dass es nun der Südtiroler Heimatbund propagandistisch als einen (von wem auch immer zurückhaltenden) Beweis für die Brutalität des italienischen Faschismus präsentiert wird – offenbar auch als Gegenstück zum in den 1980iger Jahren von der linken Geschichtsschreibung „entdeckten“ KZ-Durchgangslager in der Bozner Reschenstraße -, mag zwar dem eigenen Geschichtsbild dienen, entspricht aber nicht den Kriterien einer objektiven historischenAufarbeitung. Der anklagende Ton des Buchs aber offensichtlich den Vorgaben des Herausgebers.

Bei der Feier in Blumau waren als Ehrengäste zahlreiche Vertreter der Freiheitlichen und der Südtiroler Freiheit präsent. Als einziger SVP-Exponent – neben der Karneider Bürgermeisterin Martina Lantschner – der Landtagsabgeordnete Christian Tschurtschenthaler.

Heimatbund-Obmann sagte zur TAGESZEITUNG: „Die Inhaftierten von Blumau waren Freiheitskämpfer, deshalb war es uns wichtig an sie zu erinnern. Und bei den Gedenkfeiern vor dem Lager in der Reschenstraße waren wir auch anwesend. Das Bauwerk, an dem sie stattfinden, gehört sogar mir“.

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