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„Bahnbrechendes Urteil“

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Nach dem Aufsehen erregenden Urteil zum Ehegattenunterhalt im vergangenen Jahr, rudert das Kassationsgericht nun zurück. Ein Kompromiss wurde gefunden.

von Greta Pichler

Im vergangenen Jahr entschied das italienische Kassationsgericht, dass die Höhe des Unterhaltsanspruches für Ehepartner nicht mehr vom Lebensstandard des Paares während der Ehe abhängig sein solle, sondern anhand neuer Parameter bestimmt werden müsse.

Diese Neuerungen hatte man vor allem deshalb eingeführt, weil das alte Urteil nach 30 jährigem Bestehen überholt war und der aktuellen gesellschaftlichen, sozialen und rechtlichen Situation nicht mehr entsprochen hat.

Während die Rechtsprechung im Falle von Unterhaltszahlungen an den Ehegatten bisher immer vom gemeinsamen Lebensstandard ausging, wurden mit 2017 neue Parameter eingeführt, die nur noch die ökonomische Eigenständigkeit der wirtschaftlich schwächeren Partei im Falle einer Scheidung im Auge hatten. „Sollte zum Zeitpunkt der Scheidung resultieren, dass der Ehepartner, der Unterhaltszahlung fordert, im Stande ist, sich selbst zu versorgen, steht ihm demnach kein Geld mehr zu. Unabhängig davon, welche Position diese Person in Ehe und Familie eingenommen hatte und ob sich die Eheleuten etwa im Vorhinein darauf geeinigt hatten, dass eine der beiden Parteien auf Karriere und Beruf verzichtet, um Arbeiten im Haushalt zu erledigen“, erklärt Rechtsanwältin Isabel Brunner.

Die Neuregelung des Unterhaltsanspruchs hatte somit in den meisten Fällen eine Benachteiligung der Frauen zur Folge. Einerseits, da Ehemänner nicht mehr dazu verpflichtet waren, ihre Frauen nach der Ehe angemessen zu unterstützen. Andererseits sah die Neuregelung auch keine Ausgleichszahlungen für jahrelang verrichtete Familienarbeit vor.

Frauenrechtlerinnen und Scheidungsanwältinnen warnten nach diesem Paukenschlag junge Frauen davor, sich auf ein Familienmodell mit Alleinverdiener-Mann einzulassen. Dies sei aufgrund der Neuregelung einfach zu riskant, die Probleme und das Risiko für Frauen im Falle einer Scheidung zu groß.

Nun haben sich die Vereinten Sektionen des Kassationsgerichtshofes diesem strittigen Thema aber noch einmal zugewandt und einen Kompromiss zwischen dem alten Kriterium des Lebensstandards und dem neueren Kriterium der wirtschaftlichen Selbständigkeit, gefunden. „Jetzt gilt es die Vermögenssituationen beider Parteien zu vergleichen und zu überprüfen, ob eine eventuell vorhandene schwächere Position die Möglichkeit hat, sich selbst zu versorgen. Gleichzeitig soll aber auch geklärt werden, aus welchem Grund eine der beiden Parteien wirtschaftlich schwächer ist und ob es einen Zusammenhang mit der von dieser Partei eingenommenen Rolle in der Familie gibt“, erläutert Isabel Brunner die Neuerungen. Auch werde künftig untersucht, ob dieser Ehepartner, durch die von ihm übernommene Arbeit in der Familie, indirekt die Vermögenssituation und Karriere des vermögenderen Ehepartners ermöglicht hat.

Außerdem spiele auch die Dauer der Ehe und das Alter des Ehegattens, der Unterhalt beansprucht, bei der Entscheidung eine Rolle. Es müsse überprüft werden, welche Chancen dieser auf dem Arbeitsmarkt hat und ob er sich nach der Scheidung beruflich noch etablieren könne. „Diese Neuerungen erkennen unter anderem die Familien- und Erziehungsarbeit an und beleuchten auch, ob ein Ehepartner zugunsten der Familie auf seine eigene Karriere verzichtet hat“, ergänzt Isabel Brunner.

Das neue Urteil zum Ehegattenunterhalt sei nach 30 Jahren mit veralteten Bestimmungen eine Wende von 180 Grad, auf die seit Monaten gewartet wurde. „Die Bemessungsmethoden des Unterhaltes wurden endlich an die europäische Situation angepasst – das ist ein bahnbrechendes Urteil“, sagt Brunner.

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