Du befindest dich hier: Home » Gesellschaft » „Wie im Zweiten Weltkrieg“

„Wie im Zweiten Weltkrieg“

Radames Gabrielli

Innenminister Matteo Salvini hat angekündigt, die Roma in Italien einer Volkszählung unterziehen zu wollen. Radames Gabrielli, Oberhaupt einer in Bozen lebenden Sinti-Familie, sieht darin einen Akt der Diskriminierung.

Tageszeitung: Herr Gabrielli, Der Innenminister hat am Montag angekündigt, er wolle die Roma in Italien mittels Volkszählung erheben. Welche war Ihre erste Reaktion darauf?

Radames Gabrielli: Ich habe mich an das erinnert, was mir meine Eltern vom Zweiten Weltkrieg erzählt haben. Damals wurden Sinti und Roma verfolgt und getötet. Das was Salvini jetzt machen will, versetzt uns in diese Zeit zurück. Anstatt unsere Situation zu verbessern, macht man damit einige Schritte zurück.

Der Plan bzw. die Ankündigung sind für Sie also grundsätzlich rassistisch?

Ja, auf jeden Fall. Das, was Salvini vorhat – auch wenn er seine Aussagen teilweise zurückgezogen hat – ist keine Volkszählung. Er will nur die Sinti und Roma diskriminieren. Wir sind bereits seit über 200 Jahren in Südtirol. Bei meiner Geburt habe ich einen Vor- und einen Nachnamen bekommen, wie jeder andere auch. Wir sind also bereits registriert. Wozu braucht es dann noch eine Volkszählung? Das ist wirklich unerhört.

Salvini geht offenbar davon aus, dass es unter den Sinti und Roma viele Straftäter gibt.

Das ist Quatsch. Nicht alle sind Straftäter. In jeder Volksgruppe dieser Welt gibt es Straftäter, vielleicht sogar in Salvinis Familie. Dass unter den Sinti und Roma besonders viele Straftäter sind, ist totaler Blödsinn. Das einzige was Salvini erreichen will, ist die Eliminierung der großen Nomaden-Lager. Und das erinnert mich in diesem Zusammenhang sehr stark an die ersten Maßnahmen, die Hitler gegen die Juden ergriffen hat.

Salvini deutete auch an, dass sich viele Sinti und Roma rechtswidrig in Italien aufhalten. Stimmt das?

Schauen Sie, das Gesetz ist für alle gleich, auch für uns. Wenn jemand ein Kind bekommt, dann muss man den Namen und die Gemeinde eintragen. Das gilt auch für uns Sinti und Roma. Natürlich könnte es sein, dass es einige gibt, die sich illegal in Italien aufhalten, aber der Großteil unserer Volksgruppen lebt legal hier und sie verhalten sich auch korrekt.

Der Innenminister begründet seine Volkszählung-Ankündigung damit, dass die Roma ihre Kinder zum Teil nicht in die Schule schickten und damit zu Delinquenten ausbildeten. 

Salvini verdreht hier Tatsachen. Wenn er von Roma spricht, meint er alle: Sinti, Roma, Straftäter, Italiener und Illegale. Das, was Salvini sagt, ist falsch. Die Mehrheit der in Italien lebenden Sinti-Kinder geht zur Schule. Ich bin 60 Jahre alt und auch ich habe die Schule besucht. Die meisten Roma gehen ebenfalls zur Schule. Es gibt aber einige, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken. Das ist deshalb so, weil sie staatenlos sind und keine Dokumente haben. Man darf nicht alle über einen Kamm scheren. Es gibt Sinti, die in normalen Wohnungen, sogar relativ wohlhabend leben. Die meisten Sinti arbeiten und sind bereits integriert. Nur wollen einige nicht, dass wir uns integrieren.

Wie meinen Sie das?

Einige haben Schwierigkeiten eine Arbeit zu finden, weil man uns keine Arbeit gibt. Wenn man auf Südtirol schaut, leben die meisten von uns zwar in Bozen in einer Gemeinschaft, aber einige die außerhalb wohnen, haben Schwierigkeiten. Es gibt Personen, die nicht akzeptieren wollen, dass ihre Nachbarn Sinti oder Roma sind. Wir wissen wirklich nicht mehr, was wir tun können, um voll akzeptiert zu werden.

Werden die Sinti und Roma vom Staat geschützt bzw. gefördert?

Nein, die Sinti und Roma sind zunächst einmal zwei unterschiedliche Völker. In Italien werden weder die Sinti noch die Roma als Volk angesehen. Wenn Salvini jetzt will, dass ich mich als Sinti erkläre, muss er sich zunächst mit meiner Kultur und mit meinem Volk beschäftigen. Wir brauchen Rechte und müssen von Italien als Volk anerkannt werden. Momentan ist das nicht der Fall.

Die Autonomie Südtirols ist auf dem Minderheiten-Schutz aufgebaut. Werdet Ihr auch hier nicht ausreichend respektiert?

Nein, auch hier sind wir nicht offiziell als Volksgruppe eingestuft. Ich habe diesbezüglich mehrere Versuche unternommen. Immerhin sind wir seit 200 Jahren hier. Ich arbeite seit zwölf Jahren für die Anerkennung der Sinti und Roma. Bisher haben wir kaum etwas erreicht. Praktisch sind wir in Südtirol bereits integriert: Die Mehrheit lebt in Häusern und zahlt Steuern. Aber wir sind noch immer nicht anerkannt. Erst wenn unsere Sprachen und unsere Kulturen mit den Ladinern, den Deutschen und den Italienern gleichgestellt sind, kann sich auch etwas ändern. Ich hoffe, dass wir irgendwann endlich erhört werden. Aber durch Salvini sieht die Lage jetzt noch schlimmer aus.

Interview: Markus Rufin

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (28)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen