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„Wenn unser Kind stirbt …“

Sarah Merler

Der Tod eines Kindes ist der denkbar schlimmste Einschnitt in das Leben eines Menschen. Eine Diskussion mit verwaisten Eltern löste Betroffenheit aus.

Dem schwierigen Thema „Der Trauer Raum geben – Wenn unser Kind stirbt“ haben sich das Rittner „Haus der Familie“ und 20 Südtiroler Einrichtungen bei der  offenen Veranstaltung „MutterNacht“ am Samstag auf dem Musterplatz in Bozen gewidmet.

Eine Diskussion mit verwaisten Eltern löste Betroffenheit aus. Es ging außerdem um Trauerrituale in den Religionen. Trauer im Tanz, Trauer in der Musik, Trauer im Schreiben kamen zum Ausdruck, um sich dem Thema zu nähern. Ein Lichterherz in Erinnerung an verstorbene Kinder und als Stärkung für die Eltern rundete die Veranstaltung ab.

Am Abend vor dem Muttertag beging das „Haus der Familie“ am Bozner Musterplatz die „MutterNacht“.

Mario Gretter und Laura Sedda

Zum vierten Mal in Folge beleuchtete das Rittner Bildungszentrum in Zusammenarbeit mit 20 Südtiroler Organisationen eine besonders schwierige Seite des Elternseins. Ging es im vergangenen Jahr um Kinder mit Behinderung, standen heuer verwaiste Eltern im Mittelpunkt.

Die rund 100 Anwesenden ließen sich vom Thema berühren. Immer wieder blieben Passanten stehen und wischten sich Tränen aus den Augen, während sie den Geschichten lauschten, die Günther Götsch vortrug. Betroffene Eltern hatten sie auf einen Aufruf des Katholischen Familienverbandes hin geschrieben.

Sarah Merler aus Waidbruck versuchte sich dem Verlust eines Kindes durch Körperausdruck und Tanz zu nähern. Der Priester Mario Gretter ist Diözesanbeauftragter für interreligiösen Dialog. Er berichtete von Trauerritualen in verschiedenen Religionen und erklärte beispielsweise, dass Muslime für verstorbene Kinder bis sechs Jahren nicht beten, weil Kinder unschuldig seien.

Laura Sedda von der jüdischen Kultusgemeinde Meran erzählte vom Umgang mit der Trauer in der jüdischen Religion: Nach der Beerdigung eines Kindes sitzen Angehörige und Freunde sieben Tage auf dem Boden des Elternhauses, erzählen, beten, weinen und lachen gemeinsam. Nachdem sich der Abgrund des Todes aufgetan hat, würden sie so wieder Boden unter den Füßen bekommen. Versorgt werden sie von der Nachbarschaft. Sie essen runde Speisen wie Linsen, Eier, Tomaten: Der Tod rundet das Leben ab.

Am meisten beeindruckte die Diskussionsrunde mit betroffenen Eltern: Ingrid Riegler verlor ihren Sohn Alexander, als er elf Jahre alt war und acht Jahre später ihren Zweitgeborenen als 17-Jährigen. Nach dem Tod des ersten Sohnes habe der Jüngere sehr gelitten, sagte sie und rief Betroffene dazu auf, auf die Trauer der Geschwister Rücksicht zu nehmen.

Im Notizheft ihres zweiten Sohnes fand sie nach dessen Tod den Satz: „Die Dinge sind nie, was sie sind, sondern was man daraus macht.“ Sie machte ihn zu ihrem Leitsatz. Dass sie ihr Herz für geöffnet und sich aus dem Selbstmitleid befreit habe, habe ihr beim Überleben geholfen, sagt Ingrid Riegler.Barbara Marmsolers Sohn ist in der 34. Schwangerschaftswoche gestorben: „Auf Trauernde zugehen ist wichtig“, rät sie Menschen aus dem Umfeld. In den ersten sieben Wochen nach der Totgeburt war Barbara Marmsoler keinen Moment allein. Das sei sehr wertvoll für sie gewesen.

Das Kind von Willi Gasser hatte einen Herzfehler und starb im Bauch seiner Frau: „Wir haben uns begleiten lassen und waren in ein gutes Umfeld eingebunden“, sagte er. Gerlinde Goller hat ihr drittes Kind in der 14. Schwangerschaftswoche verloren: Es sei wichtig, dass Menschen, die eine Fehlgeburt erleiden, in ihrer Trauer gesehen werden, betonte sie. Sätze wie „Du bist noch jung und kannst weitere Kinder bekommen“, seien mehr als fehl am Platz.

Der Paartherapeut und Priester Josef Torggler verwies auf die unterschiedlichen Ausdrucksformen von Trauer bei Frau und Mann und auf die Gefahr, dass sich Eltern nach dem Tod eines Kindes verlieren. Die Psychiaterin Claudia Ravaldi aus Prato hat selbst ein Kind verloren. Fachleuten helfe die persönliche Betroffenheit, sagte sie.

Eltern, die ein Kind verlieren, dürften zornig sein, traurig sein, weglaufen wollen. Wichtig seien das Gespräch und die Inanspruchnahme von Hilfe. Sie befürwortete die offene Diskussion auf dem Platz. „Hier kann man das rauslassen“, sagte sie, hier man könne den Schmerz teilen.

Das Haus der Familie und dessen Partnerorganisationen haben bewusst auf dem offenen Platz diskutiert. „Wir müssen dieser Realität Raum geben“, sagte Astrid Di Bella als Projektleiterin. Zu viele Mütter, Väter und Geschwister seien betroffen, zu oft werde über das Thema geschwiegen.

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