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Resistente Keime

Hochrechnungen amerikanischer Forscher zeigen, dass der weltweite Antibiotikaverbrauch in den letzten 15 Jahren um 65 Prozent gestiegen ist. Warum das zunehmend zum Problem werden könnte. 

von Lisi Lang

Diese Daten sind besorgniserregend“, betont Leonardo Pagani, Infektiologe am Krankenhaus von Bozen. Kürzlich haben US-amerikanische Forscher Hochrechnungen veröffentlicht, wonach der weltweite Antibiotika-Verbrauch in den Jahren 2000 bis 2015 um 65 Prozent gestiegen ist. In ärmeren und aufstrebenden Ländern betrug der Anstieg gar 114 Prozent. „Diese Daten überraschen mich eigentlich nicht“, erläutert Leonardo Pagani. Vor allem in den ärmeren Ländern sei diese Zahl durchaus nachvollziehbar, da viele Regionen bisher kaum Zugang zu Medikamenten und damit auch zu Antibiotika hatten bzw. die Bevölkerung in den letzten Jahren stark angewachsen ist. Zudem werde Antibiotika noch immer häufig falsch eingesetzt.

Der weltweite Anstieg des Antibiotika-Konsums ist allerdings ein Problem. „Das Grundprinzip ist relativ einfach: Je öfter Antibiotika eingesetzt werden, desto häufiger entwickeln Bakterien Resistenzen gegen sie“, erklärt Günther Sitzmann, Primar der Allgemeinen Chirurgie in Bruneck. Ärzte müssen in diesem Moment auf Reserve-Antibiotika zurückgreifen, aber auch diese könnten irgendwann ihre Wirkung verlieren, sofern sie immer wieder eingesetzt werden. Letztlich kann es dazu kommen, dass bei bestimmten Erregern keine Antibiotika mehr wirken. „Unsere Ressourcen um neue Antibiotika herzustellen sind nicht unendlich“, unterstreicht Leonardo Pagani, der auch als wissenschaftlicher Berater der WHO für das Antibiotikaresistenz-Programm tätig ist. „Wir riskieren, dass in einigen Jahren selbst einfache Infektionen nicht mehr behandelt werden können, da die Antibiotika nicht mehr wirken“, warnt Leonardo Pagani.

Ein Beispiel: „Tuberkulose war lange Zeit kein Thema mehr, aber jetzt, wo immunveränderte Situationen von bestimmten Patienten auftreten, ist diese Krankheit erneut erwacht“, erklärt Günther Sitzmann. Erschreckend seien in diesem Zusammenhang Vorfälle wie beispielsweise jener in Kannada, wo bestimmte Tuberkulosestämme auf kein Antibiotika mehr ansprachen. „Wir sollten dieses Thema nicht auf die leichte Schulter nehmen, irgendwann wird es keine Reserve-Antibiotika mehr geben“, unterstreicht der Chirurgie-Primar.

Hauptursache für dieses Problem ist der falsche und zu häufige Einsatz von Antibiotika. „Die Experten auf diesem Gebiet haben in den letzten Jahren eine Reihe von Kampagnen gestartet, um vor dem falschen Einsatz von Antibiotika und den Resistenzen zu warnen – in der Praxis werden diese Warnungen aber häufig unterschätzt“, weiß der Infektiologe.

Ein weiteres Problem ist die Anwendung bzw. der Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft. Auch hier gilt: Je öfter Antibiotika eingesetzt wird, umso eher bilden sich Resistenzen. „Das ist wirklich ein ernstzunehmendes Problem, nur leider wird es nicht überall so ernst genommen“, bedauert Leonardo Pagani.

Resistenzen entstehen vor allem dort, wo viele Antibiotika im Umlauf sind. Mit derartigen multiresistenten Keimen hat man in Südtirol derzeit aber noch kein Problem: „Wir merken aber, dass Patienten in größeren Einrichtungen wie beispielsweise Innsbruck oder Verona eher in Kontakt mit resistenten Keimen kommen“, erklärt der Primar der Chirurgie in Bruneck. In Südtirol arbeitet man zudem mit einem effizienten Überwachungssystem, „aber bisher hatten wir kaum Probleme mit multiresistenten Keimen“, unterstreicht Leonardo Pagani.

Was kann man tun, damit sich diese Situation nicht weiter verschlimmert? „Der Einsatz von Antibiotika muss überlegt und gezielt sein“, betont Leonardo Pagani. Er nennt zwei klassischen Beispiele: Die Pharyngitis bei Kindern wird in 70 Prozent der Fällen von Viren ausgelöst. In diesen Fällen sei es sinnlos, die Krankheit mit Antibiotika zu therapieren, da Antibiotika ein gezieltes Mittel gegen bakterielle Infektionen ist. „Wenn wir es schaffen würden, zu verhindern, dass all diese Kinder eine einwöchige Antibiotika-Kur verschrieben bekommen, würden wir schon einen großen Schritt in die richtige Richtung machen“, betont der wissenschaftliche Berater der WHO. Auch im Fokus der Experten ist der Antibiotika-Einsatz bei Grippeerkrankungen. „Die Grippe ist eine typische virale Erkrankung, also ist auch hier der Einsatz von Antibiotika sinnlos – es wird aber noch immer sehr häufig Antibiotika verschrieben“, schüttelt der Infektiologe den Kopf.

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