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Die Gefahren der Schneeschmelze

Webcam-Bilder von der Schutzhütte Schneeberg in Passeier (siehe unten)

Der meterhohe Schnee auf den Bergen sorgt in den nächsten Monaten für eine erhöhte Hochwasser-Gefahr. Roberto Dinale vom Hydrographischen Amt erklärt, wann und wo es gefährlich werden könnte – und wie man die Situation beobachtet.

Tageszeitung: Herr Dinale, in der Höhe und in vielen Nebentälern liegt teilweise noch meterhoher Schnee. Ist aufgrund der Schneeschmelze heuer mit einer besonderen Gefahr zu rechnen?

Roberto Dinale

Roberto Dinale: Aufgrund der Schneeschmelze an sich nicht. Aber durch die erhöhte Wasserführung in den Gewässern braucht es im Verhältnis eine geringere Zusatzmenge an Niederschlag, damit es zu Hochwasser kommt. Grundsätzlich ist es eher positiv, wenn viel Schnee liegt, da wir länger viel Wasser für die Landwirtschaft und für die Wasserkraftwerke haben. Das ist abgesichert. Natürlich ist aber – wenn während der starken Schneeschmelz-Phase starker Niederschlag eintrifft – die Gefahr eines höheren Hochwassers als normal gegeben. Die Hochwasser-Saison beginnt meist mit Mai und endet im November. Es war in der Vergangenheit schon einige Male der Fall, dass wir im Juni Hochwasser-Ereignisse hatten. Auch heuer könnte es kritisch werden. Aber die Schneeschmelze allein reicht dafür nicht: Es muss auch Niederschlag geben.

Wie lange bzw. wie stark müsste es regnen, damit es wirklich gefährlich wird?

Es müsste schon ordentlich regnen. Ich würde sagen 100 Millimeter an einem Tag oder 200 bis 300 Millimeter innerhalb weniger Tage.

Ist heuer ab Mai Aufmerksamkeit geboten?

Die akuteste Phase der Schneeschmelze ist im Monat Juni, normalerweise gefolgt von Mai und Juli. In diesen Monaten würden sich die Wassermengen bei starken Niederschlägen summieren. Auch 2014 hatten wir viel Schnee auf den Bergen, als es jedoch zu einem August-Hochwasser kam. Es ist schwer vorherzusehen. Aber die Ausgangslage ist heuer etwas kritischer als in anderen Jahren. Man muss immer auch das Positive sehen: Wir brauchen unbedingt Wasser für die verschiedenen Nutzungen – und in diesem Jahr werden wir sicher nicht viel über Trockenheit hören.

Wie lange ist es her, dass so viel Schnee wie in diesem Winter gefallen ist?

So einen Winter wie heuer gibt es in Südtirol ungefähr alle fünf Jahre. Wir hatten in den letzten Jahrzehnten schon einige Male eine solche Situation – auch mit verhältnismäßig mehr Schnee. Wir hatten sowohl 2014 als auch 2001 zu dieser Jahreszeit noch mehr Schnee als in diesem Jahr. 2009 hatten wir eine ähnliche Situation wie heuer. Dennoch kam es in all diesen Jahren zu keinem Hochwasser. Aber ausschließen kann man es nie. Ein Hochwasser ist heuer wahrscheinlicher als in anderen Jahren, aber dass es zu einem kommt, ist überhaupt nicht sicher.

Auf der Schutzhütte Schneeberg (2.355 Meter) in Passeier: Oben im August 2017, unten am Ostermontag 2018
Fotos: Webcam Erlebnisbergwerk & Schutzhütte Schneeberg/Heinz Widmann

2014 lag in der Höhe mehr Schnee als heuer?

Ja, und auch 2001, als es den meisten Schnee der letzten 30 Jahre gab. 2014 begann die Schneeschmelze etwas früher. Dieses Jahr beginnt sie erst jetzt.

Werden heuer besondere Vorkehrungen getroffen, um für den Ernstfall vorbereitet zu sein?

Wir haben Systeme, die rund um die Uhr laufen und ständig gewartet werden. Es gibt Messnetze, aber vor allem auch Modelle: Hochwasser-Vorhersage-Modelle, aufgrund der wir drei bis vier Tage vor einem Ereignis gute Prognosen erstellen können. Indem diese Systeme kontinuierlich laufen, sind wir entsprechend vorbereitet, falls sich ein Ereignis ankündigt.

In die Wasserschutzbauten wurde in den letzten Jahren viel investiert. Sind wir auf einem guten Niveau?

Ja, in die Wasserschutzbauten wurden allgemein viel investiert. Natürlich reagiert man oft auch auf Ereignisse. So gab es in den letzten Jahren einige lokale Hochwasser- bzw. Mur-Ereignisse wie im Vorjahr in Prags, 2012 in Pfitsch und 2009 an der Talfer. Danach wurden auf lokaler Ebene jeweils noch größere Maßnahmen getroffen. In der Vergangenheit waren immer auch die Dämme der Etsch ein Schwachpunkt. Das Hochwasser 1981 an der Etsch in Salurn entstand durch einen Dammbruch, denn die Etsch fließt oberhalb des Geländes im Unterland. Ein Dammbruch kann natürlich immer passieren und auch bei einem nicht allzu großen Hochwasser zu großen Schäden führen. Deshalb wird laufend in die Verstärkung der Dämme investiert, um Schwachstellen zu beseitigen.

Welche Gebiete in Südtirol sind erfahrungsgemäß am meisten von Hochwasser-Ereignissen betroffen?

Am meisten sind historisch die typischen Südstaulagen – also die Gebiete von Ulten über Passeier bis Wipptal – betroffen. Und im Normalfall jene Gebiete, wo es keine größeren Stauseen gibt. Denn Stauseen haben meist immer noch eine Rückhaltefunktion. Entsprechend sind Passeier und Wipptal stärker betroffen als Ulten, wo es einen Stausee gibt. Es gibt aber auch andere Wetterlagen wie aus Südosten das Adriatief: In diesem Fall sind die Dolomiten auch betroffen. Historisch gesehen gab es das größte dokumentierte Hochwasser im Jahr 1882, als vor allem das Dolomitengebiet und somit auch die Rienz stark betroffen war.

Interview: Heinrich Schwarz

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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