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Geplatzter Kuhhandel?

Die SVP will die heiße Kartoffel Toponomastik an den nächsten Landtag weiterreichen. Doch nach der Implosion beim PD schöpft die Süd-Tiroler Freiheit wieder Hoffnung, dass sie das in ihren Augen viel zu lasche SVP-Gesetz wieder kippen kann.

von Artur Oberhofer

Den Schwarzen Peter schiebt Cristian Kollmann der SVP und (großen Teilen) der deutschsprachigen Bevölkerung in Südtirol zu. „Während unsere Leute reflexartig behaupten, es gebe Wichtigeres als die Toponomastik, hat die italienische Seite längst verstanden, dass man mit den Ortsnamen ein Land und seine Bewohner manipulieren kann.“

Und: Wenn die Toponomastik nicht so wichtig wäre, so folgert der Sprachwissenschaftler und STF-Mann, dann gäbe es gegen das Toponomastik-Gesetz nicht so großen Widerstand bis in höchste Regierungskreise in Rom.

Cristian Kollmann kann sich trösten. Sein großes Steckenpferd, die Toponomastik, wird Südtirol und die Südtiroler wohl noch länger beschäftigen. Denn was seinem Vorgänger Luis Durnwalder nie gelungen ist – nämlich in der leidigen Toponomastik-Frage eine Quadratur des Kreises zu finden –, schafft offenbar auch sein Nachfolger Arno Kompatscher nicht. Die heiße Kartoffel wird wohl an den nächsten Landtag weitergereicht.

Eigentlich hätte das römische Verfassungsgericht am gestrigen Mittwoch über das Toponomastikgesetz der SVP entscheiden müssen. Doch der Rechtsstreit vor den Höchstrichtern wurde auf Antrag der Regierung (sprich: auf Antrag von Staatssekretär Gianclaudio Bressa) und auf Wunsch der Volkspartei vertagt.

Das Kalkül: Die SVP möchte auf dem Verhandlungsweg eine Einigung mit der Regierung erzielen. Ein ursprünglicher Kompromiss, nur mehr Namen, die im Gebrauch sind, zu übersetzen, war bekanntlich am Widerstand von Landtagspräsident Roberto Bizzo gescheitert.

Nur gibt es jetzt für die SVP ein zusätzliches Problem: Niemand weiß, welche Parteien in Rom an die Macht kommen.

Vor diesem Hintergrund der politischen Ungewissheit scheint klar, dass die Toponomastik-Frage in dieser Legislaturperiode nicht mehr auf die Tagesordnung des Landtages kommt.

Cristian Kollmann von der Süd-Tiroler Freiheit ist felsenfest davon überzeugt, dass es sich um eine abgekartetes Spiel handelt, dass die SVP Zeit gewinnen wollte. „Die SVP“, so Kollmann, „hat bei den Parlamentswahlen Maria Elena Boschi unterstützt, im Gegenzug hat der PD einer Vertagung des Rechtsstreits am Verfassungsgericht zugestimmt und der SVP die Chance eingeräumt, das Toponomastik-Gesetz nach den Vorgaben des PD anzupassen.“

Nur: Durch die Implosion des PD wittert man bei der Süd-Tiroler Freiheit die Chance, den zwischen SVP und PD angebahnten Toponomastik-„Kuhhandel“ (so Kollmann) zu torpedieren. Noch ist unklar, wer der künftige Verhandlungspartner der SVP in Sachen Toponomastik sein wird. „Die Frage ist, ob das Toponomastik-Gesetz noch einmal zurück in die Sechser-Kommission kommt und, wenn ja, wer dieser Kommission dann angehören wird“, so Cristian Kollmann.

Die STF will mit all ihren Kräften dafür kämpfen, dass die Toponomastik-Frage wissenschaftlich erörtert wird.

Die Süd-Tiroler Freiheit hat bereits die Petition zur Abschaffung der faschistischen Ortsnamendekrete – garniert mit 4.000 Unterschriften – an das Verfassungsgericht nach Rom geschickt.

In dieser Petition appelliert die STF an die Höchstrichter, sie möchten wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Entscheidung mit einfließen lassen. Denn: „Nur ein wissenschaftlicher Diskurs“, so Cristian Kollmann, „kann die Grundlage für die Lösung des Toponomastik-Problems sein.“

Und damit wäre man – zumindest laut Cristian Kollmann – beim Grundproblem. Erstens gebe es in Südtirol – neben dem inzwischen greisen Historiker und Germanisten Egon Kühebacher – nur einen Sprachwissenschaftler mit Spezialisierung im Fachbereich Toponomastik, nämlich ihn, Cristian Kollmann. „Es mag überheblich klingen, aber leider ist es so“, sagt der Sprachwissenschaftler.

Und zweitens, so gibt Kollmann zu bedenken, wolle die SVP ja nicht, dass in Südtirol geforscht wird. Seit die von ihm geleitete Toponomastik-Stelle beim Land im Jahr 2005 aufgelassen wurde, geschehe praktisch nichts mehr. „Weder an der Eurac wird geforscht, noch an der Freien Uni Bozen“, ärgert sich Cristian Kollmann. Und die SVP weigere sich hartnäckig, das Thema Toponomastik mit einem wissenschaftlichen Ansatz anzugehen.

Klar scheint, dass die SVP verhindern will, dass die Toponomastik – neben dem Doppelpass und der Einwanderungsproblematik – zu einem großen (und lästigen) Wahlkampfthema wird.

Ob ihr das gelingt, das hängt auch von der provokatorischen Kreativität des Cristian Kollmann und dessen Mitstreitern der STF ab.

Das sind die Kritikpunkte des Sprachwissenschaftlers Cristian Kollmann am Toponomastigesetz der SVP.

  1. Das Kriterium des Gebrauchs reicht nicht aus. Der Name muss zudem historisch fundiert sein. Dies ist dann der Fall, wenn der Name im Deutschen und Ladinischen und insbesondere im Italienischen über eine Etymologie verfügt und eine Kontinuität in der Sprachgeschichte aufweist (z.B. Bolzano, Merano, Bressanone, Venosta).
  2. Im Landesbeirat für Kartographie sind nur Fachleute aus den Bereichen Geographie, Geschichte und Kartographie vorgesehen. Am wichtigsten wären jedoch Fachleute aus dem Bereich Toponomastik. Die Spezialisierung im Fachbereich Toponomastik ist dann gegeben, wenn die betreffende Person das Studium der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft sowie diverse einschlägige Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften nachweisen kann.
  3. Der Landesbeirat ist paritätisch besetzt. Dies widerspricht dem ethnischen Proporz.
  4. Für die Ladiner ist ein eigener Unterausschuss vorgesehen. Dies bedeutet eine Ungleichbehandlung.
  5. Der Landesbeirat für Kartographie bleibt nur für die Dauer einer Legislaturperiode im Amt. Wie kann dieser in dieser kurzen Zeit ein Toponomastikgesetz ausarbeiten, zumal er nicht nur „für die Erstellung des Ortsnamenverzeichnisses“ sorgen soll, sondern unter anderem „Hinweise zu den [in den Ortsnamen] erkennbaren sprachlichen Substraten, zur geographischen Verteilung der Sprachen, dialektale Besonderheiten, Bezug zwischen Dialekt und Hochsprache, Quellenmaterial, Erhebungs- und Befragungskriterien, Glossar der für die Lesbarkeit der Karten erforderlichen Worte, amtliche Abkürzungen, und zu den Verwaltungsbegriffen“ erarbeiten soll. Die Dokumentation von historischen Namenformen kann zudem nicht die Zielsetzung eines amtlichen Orts- und Flurnamenverzeichnisses sein, sondern eines wissenschaftlichen, mehrjährigen Forschungsprojekts.
  6. Dass am Toponomastikgesetz keine sprachwissenschaftlichen Experten mitschreiben, ist auch daran ersichtlich, dass sich darin widersprüchliche Formulierungen finden. So heißt es, dass „den in den jeweiligen Sprachen geläufigen Benennungen und der Beibehaltung der ursprünglichen Fassung der historischen Namen Rechnung getragen wird.“ Diese Formulierung ist deshalb ein Widerspruch, weil die jeweilige ursprüngliche Fassung eines historischen Namens nicht mehr existiert, da jeder ursprüngliche Name im Laufe der Geschichte Änderungen erfahren hat und somit von späteren Fassungen überlagert wurde. Nicht mehr existente Fassungen können demnach auch nicht beibehalten, sondern höchstens dokumentiert werden (z.B. Pons Drusi für Bozen oder Sublavione für Lajener Ried).
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